© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Martin Lindner
Nicht links, nicht anecken
von Ronald Gläser

Die politische Bühne Berlins hat sich fundamental verändert. Eine neue Generation von Schauspielern hat die Bretter betreten, die Diäten und Pension bedeuten. Einer, der dazugehört, ist der neue FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner. Der 37jährige besitzt seit 1998 das gelbe Parteibuch. In den Parteien werden solche Blitzkarrieren normalerweise durch das Spargelprinzip verhindert: Wer den Kopf raussteckt, der wird gestochen.

Lindner löst Günter Rexrodt ab, der sich von Anfang an nur widerwillig in die Niederungen der Landespolitik herabgelassen hatte. Als Wahlkampflokomotive war er unersetzlich, jetzt, nach dem Platzen der rot-gelb-grünen Seifenblase, wird er nicht mehr gebraucht. Lindners Wahl zum Fraktionschef ist auch ein Signal, daß sich das bürgerliche Lager in Berlin konsolidiert und den Gegenangriff vorbereitet.

Der Wowereit-Senat soll nicht pragmatisch, sondern fundamental als Volksfrontregierung attackiert werden. Auf den Bau eines Rosa-Luxemburg-Denkmals antworten die Liberalen mit der Initiative für ein Denkmal zu Ehren des Reichswehrministers Gustav Noske. Dieser Sozialdemokrat hatte zur Niederschlagung der kommunistischen Aufstände die Freikorps in Dienst gestellt, aus deren Reihen Luxemburg und Liebknecht im Januar 1919 erschossen wurden.

Lindner ist ein Wirtschaftsliberaler, der dem rechten Flügel weniger Vorbehalte entgegenbringt als sein Vorgänger. Manche wollen darin einen Rechtsschwenk erkennen. Aber trotz des Noske-Denkmals, über das sich die FAZ zu echauffieren genötigt sieht, wäre dies ein vorschnelles Urteil. Der Rechtsanwalt gehört zu den vielen Neu-Berlinern, die eine Mischung aus Goldgräber- und Aufbruchsstimmung in die Spreemetropole gezogen hat. Er pflegt mit Weißwürsten, Bier und Brezeln sein bajuwarisches Image. In Berlin wohnt er inmitten seiner bürgerlichen Wählerschaft in Steglitz-Zehlendorf; hier wählen 17 Prozent FDP. Wer sich hier in seinem Jachtklub selbst als „Linker“ klassifiziert, der sagt einfach, Lindner sei ein Linker. Der Rechte definiert seine Position aber lieber als „nicht links“ oder ordnet sich in der „politischen Mitte“ ein. Als Gerüchte über nationalliberale FDP-Abgeordnete in der Berliner Presse kursierten, legte sich Lindner umgehend eine weiße Weste zu. Er gehöre keinem politischen Flügel an, versicherte der Aufsteiger.

So flüchtet sich der konservative Liberale in Politikfelder, in denen man nicht aneckt. Er präsentiert sich als Vertreter der New Economy und fordert den radikalen Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben. Standortattraktivität ist wichtiger als Gewerbesteuer und Opernhäuser. Linksliberale Leib- und Magenthemen gehören nicht zum Repertoire Lindners. Über die Homo-Ehe und andere rot-grüne Steckenpferde äußerte er sich mit größter Distanz. Doch für ein Eintreten zu Gunsten eines alternativen Gesellschaftsmodells und klarer Kritik an der political correctness fehlt Martin Lindner dann doch der Mut.


 
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