© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Teuer erkaufte Beweise
Verfassungsschutz: NPD durchtränkt von Spitzeln / Verbotsverfahren in der Schwebe
Alexander Griesbach

Der Skandal um die vom Staat bezahlten Spitzel, die vor dem Bundesverfassungsgericht als Zeugen im Verbotsverfahren gegen die NPD auftreten sollten, war ebenso vorhersehbar wie die politischen Konsequenzen. Nicht nur der frühere Präsident des Gerichts, Ernst Benda, spricht von einer „schlimmen Blamage“. Es sei klar, daß das Verfahren so nicht fortgesetzt werden könne, unterstrich Benda in einem Interview. Deshalb müßten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat prüfen, ob sie ihre Verbotsanträge überhaupt noch aufrechterhalten wollten oder nicht besser zurückzögen.

Bundesinnenminister Schily (SPD) glaubt, die Verantwortlichen dingfest gemacht zu haben. Für die Informationspanne macht er einen Staatssekretär und zwei Abteilungsleiters seines Ministeriums verantwortlich, die er „in scharfer Form rügte“. Personelle Konsequenzen aus der Affäre wurden bisher aber keine gezogen. Und dies trotz des Eingeständnis des Innenministers, daß sein Haus bereits im August vergangenen Jahres darüber informiert worden sei, daß ein als Zeuge in dem Verfahren geladener NPD-Funktionär Verbindungsmann des Verfassungsschutzes war. Der zuständige Abteilungsleiter will den Vorgang aber schlicht „vergessen“ haben. Schily selbst will erst mit dem Bekanntwerden der Spitzelaktivitäten von dem Sachstand unterrichtet worden sein.

Undurchsichtig bis auf den heutigen Tag bleibt auch die Rolle von Bayerns Innenminister Beckstein, der als erster lautstark ein Verbot der NPD gefordert hatte. Schily warf der bayerischen Landesregierung vor, sie habe sich dafür eingesetzt, das Bundesverfassungsgericht gar nicht erst über die V-Mann-Tätigkeit des langjährigen NPD-Funktionärs Wolfgang Frenz zu informieren und Minister Beckstein soll Informationen über den V-Mann der NPD zurückgehalten haben.

Der Solinger Heilpraktiker Frenz war 1964 ein Mitbegründer der NPD, der von sich selbst sagt, er kenne in der Partei „Gott und die Welt“. Nach Auskunft eines NPD-Sprechers hatte Frenz, der es bis zum Vizechef der Partei in Nordrhein-Westfalen und beisitzer im Bundesvorstand gebracht hatte, für die Wahlen zum Bundesvorstand im Januar 1998 erneut kandidiert, war aber „auf Empfehlung“ des Bundesvorsitzenden Udo Voigt durchgefallen. Frenz sei in den Verfassungsschutzberichten einfach zu oft aufgetaucht.

Seit Schilys Aussage, außer Frenz nach „bisherigem Kenntnisstand“ keine weiteren V-Leute kennen zu wollen, die als Zeugen nach Karlsruhe geladen wurden, schießen die Spekulationen darüber, ob sich weitere V-Leute in Spitzenfunktionen der NPD befinden, ins Kraut. FDP-Chef Westerwelle und Unions-Vize Bosbach orakelten, daß ihnen zwei weitere Namen konkret genannt worden seien. Insgesamt seien sogar bis zu vier im Gespräch.

Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt sagte, er sei sicher, daß zwei weitere V-Leute an Schlüsselstellen der Partei säßen. Er gehe davon aus, daß sie auch auf der Zeugenliste stünden. Namen wollte er nicht nennen. Gleichzeitig wandte sich die NPD in einer Pressemitteilung gegen die mediale „Desinformationskampagne“, mittels derer Parteifunktionäre wie Erwin Kemna, Holger Apfel oder Doris Zutt ebenfalls in den Geruch gebracht worden seien, Spitzel zu sein. Das Präsidium der NPD sieht darin den Versuch, die Partei „durch gezielte Desinformationen” zu zerstören.

Als erhärtet kann inzwischen gelten, daß mit dem NPD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Udo Holtmann, ein weiterer Spitzel überführt worden ist. Äußerungen des vom Bundesamt für Verfassungsschutz als V-Mann geführten Holtmann sind im NPD-Verbotsantrag der Bundesregierung mehrfach zitiert worden. In einem Schreiben an die Abgeordneten des Innenausschusses des Bundestages, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, hat der NPD-Anwalt Horst Mahler am Dienstag dieser Woche zudem darauf hingewiesen, daß Holtmann und Frenz die Deutsche Zukunft, das offizielle Verbandsblatt des nordrhein-westfälischen NPD-Landesverbandes, verantwortet haben. Zahlreiche Artikel aus dieser Zeitschrift seien in allen drei Verbotsanträgen als Belastungsmaterial angeführt. Inzwischen hat das NPD-Präsidium Holtmann und Frenz von ihrem Ämtern suspendiert; gegen sie läuft ein Parteiausschlußverfahren.

Auch die ehemals führenden Funktionäre der NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten, Thorsten Crämer und Nico Wedding, werden immer wieder als mögliche Spitzel genannt. Ein Überfall Crämers und Weddings auf die KZ-Gedenkstätte Kemna wird in den Verbotsanträgen als Beleg für die Gewalttätigkeit der NPD aufgeführt. Ein Skandal im Skandal, über den bis heute mit auffälligen Stillschweigen hinweggegangen wird.

Mit den bekannt gewordenen Namen dürfte sich die Liste von Spitzeln innerhalb der NPD allerdings nicht erschöpfen. Verschiedene Innenminister haben sich in der Vergangenheit damit gebrüstet, wie „billig“ man Spitzel in „rechten Kreisen“ haben könne.

Festgehalten werden kann zum jetzigen Zeitpunkt, daß sich Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat offenbar weitaus intensiver auf verdeckte Quellen stützen als bisher bekannt. Die Welt will in erfahren haben, daß bis zu 126 Mal auf Aussagen von V-Männern Bezug genommen worden sei, was etwa 20 Prozent der angeführten Belege entspreche. Besonders in denjenigen Passagen der Anträge, mit denen angebliche interne Äußerungen von NPD-Funktionären belegt werden sollen, soll immer wieder auf „Behördenzeugnisse“ zurückgegriffen worden sein. Hiermit werden in Geheimdienstkreisen geheime Quellen, zumeist V-Mann-Berichte und Abhörprotokolle, bezeichnet.

Trotzdem haben SPD, Grüne und die Union ihren Willen bekundet, die Anträge vor dem Bundesverfassungsgericht aufrechtzuerhalten. Einzig die FDP fordert, die Anträge zurückzuziehen. Daraufhin warf SPD-Fraktionschef Peter Struck der FDP „schlechten demokratischen Stil“ vor. Wenn die Opposition so weitermache, komme sie in Gefahr, sich zum „Förderverein der Rechtsradikalen“ zu machen.


 
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