© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Zum Tode von Astrid Lindgren
Gesa Steeger

Niemals wolle sie Schriftstellerin werden, schwor sich Astrid Anna Emilia Ericson mit 13 Jahren. Da hatte sie nämlich einen Schritt in die Erwachsenenwelt getan und war böse gestolpert: Eine Regionalzeitung druckte „Das Leben auf unserem Hof“, was ihr ihre Mitschüler mit dem Spott als „Selma Lagerlöf von Vimmerby“ lohnten. Aus dem behüteten Kind, das mit drei Geschwistern unter der liebevollen Obhut der Eltern aufwuchs, wurde eine unglückliche Pubertierende. Mit 19 bekam sie einen Sohn, weigerte sich aber, dessen Vater zu heiraten. Sie schlug sich in Stockholm als Sekretärin durch, 1931 heiratete sie Sture Lindgren und bekam eine Tochter. Dieser Tochter zuliebe griff sie zu Papier und Bleistift. Prompt gewann sie mit den Geschichten das Preisausschreiben eines großen Verlages.

Was sich wie Aschenputtel anhört, erblickte 1945 als erste antiautoritäre Kinderbuchheldin der Literatur das Licht der Öffentlichkeit: Pippi Lang-strumpf, das stärkste Mädchen der Welt. Der Aufstieg der Lindgren zur vielgelesenen Autorin war unaufhaltsam, insgesamt veröffentlichte sie an die 70 Titel. Dabei hat Astrid Lindgren nicht für den Markt geschrieben, sondern für das Kind in ihr. Ob Rührstücke wie „Mio, mein Mio“ (1956) oder „Klingt meine Linde“ (1959), Krimis wie „Kalle Blomquist“ (1946), sagenhafte Epen wie „Ronja Räubertochter“ (1980) und die „Brüder Löwenherz“ (1973), Lausbubengeschichten wie „Michel von Löneberga“ (1963) und „Rasmus und der Landstreicher“ (1958) oder realistische Erzählungen wie „Ferien auf Saltkrokan“ (1964) - sie hatte alles zu bieten. Sogar aus ihren unspektakulären Kindheitserinnerungen zauberte sie noch den Kassenschlager „Wir Kinder aus Bullerbü“ (1947).

Meist schreibt sie als allwissende Erzählerin und verzichtet zugunsten des Geschehens auf alle Stilexperimente. Greift sie hingegen zur personalen Erzählsituation, paßt sie die Sprache dem Protagonisten an. Das naive Erzählen der Lisa in „Bullerbü“ verschafft dem undramatischen Geschehen einen eigenartigen Zauber. In „Michel“ ergreift ein Erwachsener, der voll Verständnis sowohl für den Jungen als auch für seine Eltern ist, das Wort. Lange Sätze mit Wiederholungen und Partikeln ahmen den Tonfall eines direkten Erzählers nach. Nur ab und zu wird der Redefluß unterbrochen, um dem jugendlichen Leser mal eben zu erklären, was denn so ein Armenhaus eigentlich ist.

Wie steht es mit Lindgrens Elternbild? Mio, Rasmus, Pippi und die Brüder Löwenherz sind elternlos, Michel hat einen prügelnden Vater und Herr Melcher erzieht allein. Dabei ist das Zeichen der guten Eltern, wie in „Bullerbü“, „Madita“ und „Ronja Räubertochter“, daß sie die Nebenrolle spielen. Sie sind ihrer Pflicht nachgekommen, den Kindern eine „nörgelfreie Zone“ zu schaffen. Dann ziehen sie sich zurück, um die Kinder in größtmöglicher Freiheit aufwachsen zu lassen.

Lindgrens kleine Helden siegen immer, nicht durch Zauberkraft und Feenhilfe, sondern durch ihren guten Willen, ihre Phantasie und Solidarität. Doch nicht alle Geschichten sind sonnenhell, ihr Buch „Die Brüder Löwenherz“ beginnt und endet mit dem Tod der Brüder, die sich jeweils für den anderen opfern. Doch es endet auch mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Bleibt zu hoffen, daß Karl Löwenherz’ letzte Worte auch ihre eigenen waren: „Und dann werde ich nie mehr Angst haben. (…) Ich sehe das Licht.“


 
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