© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Kampf gegen Heroin und Gotteskrieger
Singapur: Der nach westlichen Maßstäben autoritäre Stadtstaat zerschlägt mutmaßliche islamistische Terrorgruppe
Albrecht Rothacher

Singapur hatte stets geglaubt mit seinen harten Gesetzen, seiner effizi-enten Polizei und seiner niedrigen Verbrechensrate eine Oase der Ruhe und Sicherheit in einer turbulenten Weltgegend zu sein. Die Kriminalitätsrate in der 600 Quadratkilometer kleinen Commonwealth-Republik ist sehr gering. Speziell Rauschgiftdelikte werden rigoros verfolgt. Schon der Besitz relativ geringer Drogenmengen führt zu hohen Freiheitsstrafen oder sogar zur Todesstrafe (ab 15 Gramm Heroin). „Die rechtlichen Verfahren entsprechen anderen als den deutschen Standards“ - so warnt das Auswärtige Amt deutsche Touristen. Die im vergangenen Dezember erfolgte Entdeckung einer fünfzehnköpfigen in Afghanistan ausgebildeten islamistischen Terrortruppe namens „Jemaah Islamieh“, die im wichtigsten südostasiatischen Finanzzentrum Singapur in zwei Gruppen operierte, zerstörte diese Illusion.

Die erste Zelle hatte Sprengstoffanschläge auf Pendelbusse, die US-Soldaten regelmäßig vom Marinestützpunkt Sembawang zum Bahnhof Yishun bringen, bereits vollständig vorbereitet und zum geplanten Ablauf auch ein Video produziert, das den al-Quaida-Führern vom Zellenchef Mohammad Khalin in Afghanistan zur Genehmigung vorgespielt wurde. Obwohl er wohlwollend aufgenommen wurde, kam der Plan nicht zur Ausführung. Das Video fiel den Amerikanern in einem zerstörten al-Quaida-Unterschlupf in die Hände. Weiter bereitete die erste Zelle Bombenanschläge auf US-Kriegsschiffe, die vor dem Marinehafen Changi im Nordosten ankerten, vor.

Die zweite Zelle hatte eine Attacke auf den US-Luftstützpunkt Paya Lebor geplant. Doch wurde die Zelle nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von zwei Ausländern für neue Objekte engagiert. Ein arabischer Verbindungsmann der al-Quaida („Jimmy“) und der indonesische Bombenspezialist Al Ghozi (alias „Mike“), der für die Islamische Moro-Befreiungsfront auf Mindanao arbeitete und seit einem Bombenanschlag im Dezember 2000 in Manila auch 22 Menschenleben auf dem Gewissen hat, verlangten Bombenattentate von mit Ammoniumnitrat gefüllten Lastwagen auf die Botschaften der USA, Israels, Großbritanniens und Australiens sowie auf US-Firmenvertretungen. Videos geeigneter Objekte wurden angefertigt und der Kauf von 17 Tonnen Ammoniumnitrat eingeleitet. Über vier Tonnen verfügte die Zelle bereits. Bei seiner Verhaftung in Manila im Januar fanden Ermittler in Mikes Waffenlager auf Cebu auch 17 Sturmgewehre, 300 Zünder und 1.100 kg Sprengstoff. Im Oktober hatte er noch die zweite Zelle in Singapur geschult.

Die 15 verhafteten Übeltäter sind zumeist 30-40jährige Familienväter, die als kleine Geschäftsleute oder technische Angestellte unauffällig ihren Lebensunterhalt verdient hatten, 14 waren Bürger Singapurs, einer stammt aus dem benachbarten Malaysia (wo ebenfalls im verganenen Dezember 13 Islam-Terroristen verhaftet wurden). Alle hatten staatliche Schulen besucht, keiner die einschlägigen indoktrinierenden Masadrah-Koranschulen. Sechs hatten ihren Wehrdienst bei der Armee Singapurs geleistet. Auch besuchten sie unterschiedliche Moscheen (deren Prediger ohnehin unter strenger Regierungsaufsicht stehen). Zusammengeführt hatte die Männer der Besuch der religiösen Klassen des Führers der „Schuria“ der malaysischen Jemaah Islamieh, dem schon 1993 in Afghanistan ausgebildeten Ibrahim Maridin. Die meisten hatten daraufhin zur weiteren religiösen und militärischen Schulung ein Dschungellager in Negri Sembilan in Malaysia besucht. Sie vollendeten ihre Ausbildung nach dem Transit via Pakistan mit falschen Papieren und Legenden zur Täuschung ihrer Familien und Arbeitgeber in den afghanischen Lagern der al-Quaida. Diese muß man sich wie den „Club Med“ vorstellen: Einmal zugelassen, kann sich der Probant sein Ausbildungsprogramm und seine Intensität selbst zusammenstellen. Die soliden Singapurianer entschieden sich für drei bis sechs Monate Infanteriegefechtsausbildung und die Sprengmeisterei der Pioniere.

Nach dem Verhaftungsschock ist das offizielle Singapur im Erklärungsnotstand. Lange wurde unter der Hand verbreitet, die „Dschungelmoslems“ Südostasiens mit ihrer hinduistischen und animistischen Vergangenheit seien - aller Christenverfolgungen auf Mindanao, Timor, Java und Borneo zum Trotz - toleranter als die militant-asketischen „Wüstenmuslime“ Arabiens, Nordafrikas und Zentralasiens. Auch glaubte man, durch „social engineering“ die muslimisch-malayische Minderheit, die 15 Prozent der 3,1-Millionen-Bevölkerung des Inselstaates ausmacht, voll in die prosperierende chinesisch-westlich geprägte Multikultur Singapurs eingebunden zu haben. Die letzten blutigen Rassenkrawalle liegen 35 Jahre zurück. Seither wurden fast alle ethnischen Viertel aufgelöst und die drei Großgruppen des Immigranten-Stadtstaates, Chinesen (75 Prozent), Malaien (15 Prozent) und Inder (7 Prozent), in den Trabantenstädten, in denen 90 Prozent der Bevölkerung mittlerweile wohnen, zwangsweise durchmischt. Eine strenge Zensur verbietet jede kontroverse Äußerung „chauvinistischer“ oder fundamentalistischer Art der großen Volks- und Religionsgruppen, die wie andernorts auch trotz aller Regierungspropaganda eher nebeneinander als miteinander leben.

So hat denn offiziell der geplante Terror der Jemaah Islamieh nichts mit der islamischen Religion und der malayischen Volkszugehörigkeit aller Inhaftierten zu tun, sondern nur mit ihrem irregeleiteten Anti-Amerikanismus. Sie selbst können sich dazu nicht äußern. Nach dem von den Briten bei der Niederschlagung des kommunistischen Aufstandes von 1948 eingeführten „Internal Security Act“ werden die 13 als Angehörige einer subversiven Bande zunächst zwei Jahre lang ohne Anklage („incommunicando“) inhaftiert. Ob sie dann einen Prozeß bekommen, wird man sehen.

Das malayisch-islamische Establishment Singapurs distanzierte sich pflichtbewußt eilig von seinen verirrten Schafen. Eine Vereinigung namens Fateha, die Verständnis zeigte und die pro-amerikanische Politik des Inselstaats und das Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen als ursächlich kritisierte, wurde schnell zum Schweigen gebracht.

Es ist die feste Überzeugung von Lee Kuan Yew, des Gründervaters der Republik Singapur, daß Multikultur und eine liberale Demokratie westlicher Prägung unvereinbar sind. Entsprechend streng sind die staatlichen Kontrollen und die einschlägigen Zensurgesetze des Landes. Die knappe Vereitelung des beinahe-GAUs zeigt jedoch deutlich die Grenzen der Nützlichkeit jener die Bürgerrechte opfernden Politik.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen