© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Die Einschläge kommen näher
NPD: In der V-Mann-Affäre gerät Innenminister Schily immer mehr in Bedrängnis
Paul Rosen

Ein so schwieriges Verfahren, em-pörte sich Bayerns Innenmini-ster Günther Beckstein, „kann man nicht mit Volltrotteln machen“. Gemeint ist der NPD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht und das Verhalten der Bundesregierung, allen voran von Innenminister Otto Schily (SPD). Für die rot-grüne Koalition wird die NPD auf einmal, wenn auch indirekt, zum Herausforderer: Wie kein anderer hat Schily seit dem 11. September das Prinzip staatlicher Härte vertreten. Der Innenminister predigte „Law and Order“ als uralte sozialdemokratische Prinzipien und löste damit einmal mehr Verwunderung aus. Doch im Kampf gegen den Rechtsextremismus verzettelten sich Schily und sein Ministerium in die Wirrungen der sogenannten V-Mann-Affäre. Statt Überzeugungsarbeit zu leisten, gerät der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat unter Verdacht, die für ein Verbot notwendigen Beweise selbst konstruiert und diese Tatsache dem Verfassungsgericht verschwiegen zu haben.

Die Hintergründe sind inzwischen weitgehend ausgeleuchtet. In einem Telefonat hatte ein Mitarbeiter von Schily dem Bundesverfassungsgericht eher beiläufig mitgeteilt, ein Zeuge im NPD-Verbotsverfahren sei Mitarbeiter eines Landesamtes für Verfassungsschutz. Als die Sache durch die Bekanntgabe der Aufhebung der mündlichen Verhandlungstermine vom Gericht bekannt gemacht wurde, wurden binnen weniger Tage die V-Mann-Strukturen innerhalb der NPD deutlich und auch die Tatsache, daß ein Teil des Beweismaterials der Antragsteller (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) auf „Behördenzeugnisse“ gründete, Angaben von Schlapphüten also. In der NPD-Zentrale rieb man sich die Hände, während die Gutmenschen der rot-grünen Koalition fragten, warum ein Verfahren, dessen Ausgang nach dem amtlich organisierten „Aufstand der Anständigen“ so sicher erschien, auf einmal wegen einer verfahrensrechtlichen Kleinigkeit (so erste Stellungnahmen) zu scheitern droht. Doch die vermeintliche Kleinigkeit entpuppt sich als großer Bock im Garten der Verfassungsrichter. Auch Schilys Zukunft steht auf Messers Schneide, selbst wenn ein Rücktritt nicht im Sinne von Bundeskanzler Gerhard Schröder sein kann, der den Innenminister immer noch für sein bestes Wahlkampfroß hält.

Wie viele V-Männer noch enttarnt werden, ist inzwischen weitgehend bedeutungslos geworden. Und daß in der NPD weit mehr Leute als nur die jeweiligen Schriftführer Protokoll führen, war auch vorher in der politischen Szenerie kein Geheimnis. Wichtiger ist, welche Bedeutung solche Tatsachen für das Verbotsverfahren haben. Die Antwort gab der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda in der Sendung „Berlin Mitte“: Wenn Personen, Strukturen, Arbeit und Ziele der NPD den Sicherheitsbehörden bestens bekannt seien, stelle sie keine Gefahr für den Staat und seine demokratische Ordnung dar. Ein hoher Verfassungsschützer aus Köln bestätigte dies in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten: Man kenne alle NPD-Mitglieder sozusagen persönlich, so daß sie gar nicht abtauchen oder nach einem Verbot Untergrundorganisationen bilden könnten.

Schily war von Anfang an darauf bedacht, die Angelegenheit herunterzuspielen und nur das zuzugeben, was ihm nachgewiesen werden konnte. Er stellte sich vor seinen unter Beschuß geratenen Staatssekretär und Abteilungsleiter. Das sollte ritterlich wirken, hatte aber einen anderen Hintergrund: Hätte Schily die beiden Beamten gefeuert, hätte die Sache nicht weiter verniedlicht werden können. Als die Opposition von ihrem guten Recht Gebrauch machte und weiter Fragen nach der Verantwortung stellte, verwickelte sich Schily in Widersprüche. Und es wurde immer deutlicher, daß die Verbotsanträge mit V-Männer-Erkenntnissen durchsetzt sind: Nach Angaben der Tageszeitung Die Welt sind in den Anträgen der Verfassungsorgane insgesamt 126 „Behördenzeugnisse“ enthalten.

Nach der alten politischen Erkenntnis, daß Angriff immer noch die beste Verteidigung ist, ging jetzt SPD-Fraktionschef Peter Struck ans Werk. Die Opposition laufe Gefahr, sich zum „Förderverein der Rechtsradikalen“ zu machen, sagte Struck und vertauschte damit Ursache und Wirkung. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt mache sich zum „Hilfsanwalt des NPD-Juristen Horst Mahler“, tobte Struck.

Nur das zugeben, was ohnehin nachzuweisen ist

Von Experten kamen derweil vernichtende Testate für die Arbeit der Bundesregierung. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Eckart Werthe-bach verlangte Korrekturen in den Verbotsanträgen. Alle Erkenntnisse von V-Leuten müßten gestrichen werden, und „Nachbesserungen“ in den Anträgen seien zwingend erforderlich. Wollte man Werthebachs Forderung entsprechen, würden die Anträge ziemlich dünn werden. FDP-Chef Guido Wes-terwelle faßte die Kritik zusammen und sprach von einem „Totalausfall“. Die FDP hat ohnehin gut reden. Als einzige Fraktion des Bundestages hielt sie ihre Linie durch, statt auf Verbote auf die politische Auseinandersetzung mit der NPD zu setzen. Die anderen Fraktionen waren von Beckstein in Zugzwang gebracht worden. Nachdem der bayerische Innenminister die Verbotsforderung erhoben hatte, konnte die Union trotz vieler Bedenken nicht mehr zurück. SPD, Grüne und PDS wollten sich in ihrer antifaschistischen Grundhaltung nicht ausgerechnet von der CSU übertrumpfen lassen.

Daher hat es ein Geschmäckle, wenn jetzt die CDU/CSU Schily in die Zange nimmt. Aber die Fehler des Innenministers auszuschlachten, ist das gute Recht der Opposition. Wie dünn Schilys Nerven inzwischen sind, zeigte eine sechsstündige Befragung des Ministers im Innenausschuß des Bundestages. Als der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl genauer nachfragte und die Widersprüche in den Aussagen des Innenministers über Zeitabläufe und Informationen über V-Leute aufgeklärt haben wollte, geriet Schily in Panik und wurde laut. Damit ist selbst für politische Laien klar, daß im Verbotsantrag noch mehr Probleme stecken als der Minister bisher zugegeben hat. Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages wäre das geeignete Instrument, das Verfahren aufzuklären. Die Union sollte sich nicht von solchen Argumenten an der Nase herumführen lassen, während der Dauer eines Untersuchungsausschusses könne das Verbotsverfahren nicht weiter betrieben werden. Das ist ohnehin geplatzt. Und die Dauer der Untersuchungsarbeit ist begrenzt. Mit dem Ende der Legislaturperiode stellt das Gremium die Arbeit ein. Doch die Zeit würde reichen, um Schily zu jagen. Oder muß die Union wieder zum Jagen getragen werden?


 
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