© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Die gute Absicht allein reicht nicht
In seinem neuen Buch schildert Günter Grass die Tragödie der Versenkung der „Wilhelm Gustloff“
Thorsten Thaler

Ausgerechnet Günter Grass! Ausgerechnet dieser Literaturnobelpreisträger, der seit mehr als zwanzig Jahren keine lesbare Zeile zu Papier gebracht hat. Ausgerechnet jener Vergangenheitsbewältiger, der noch Anfang 1990 gegen die Wiedervereinigung zu Felde zog mit Sätzen wie diesen: „Wer gegenwärtig über Deutschland nachdenkt, muß Auschwitz mitdenken.“ Ausgerechnet Günter Grass also hat sich nun einer der größten deutschen Tragödien gegen Ende des Zweiten Weltkrieges angenommen, der Versenkung des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“.

In seinem am Dienstag dieser Woche erschienenen neuen Buch „Im Krebsgang“ (Steidl, Göttingen) schildert er den Untergang der am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot torpedierten „Gustloff“, bei dem etwa 9.000 Flüchtlinge, in der Mehrzahl Frauen, Kinder und Jugendliche, in den eisigen Fluten der Ostsee ums Leben kamen (JF 49/01).

Bemerkenswert an der Novelle ist der von Grass kalkulierte Tabubruch, verbunden mit dem durchaus auch selbstkritisch gemeinten Vorwurf, die Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen aus dem Osten über Jahrzehnte hinweg ausgeblendet, verdrängt und verschwiegen zu haben. „Mochte doch keiner was davon hören, hier im Westen nicht und im Osten schon gar nicht“, legt Grass seinem Ich-Erzähler Paul Pofriefke treffende Worte in den Mund.

Ärgerlich - wiewohl für ihn typisch - ist dagegen Grass’ Verbeugung vor dem politisch korrekten Zeitgeist, indem er einen jugendlichen „Neonazi“ auftreten läßt, der zum Schluß auch noch einen Mord begeht. Kurzum: Man merkt der neuen Novelle von Grass die Absicht an - und ist verstimmt.


 
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