© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
CD: Klassik
Kreuzritterdrama
Julia Poser

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Neapel das musikalische Eldorado Europas und das dortige Teatro San Carlo sein Olymp. Schon lange vorher verliehen Namen wie Scarlatti, Pergolesi, Cimarosa und Paisiello der Stadt klingenden Glanz. Nach Napoleons Sturz konnte der Bourbone Ferdinand IV., ein großer Förderer der Musik, in die Stadt am Vesuv zurückkehren. Während seiner Herrschaft galt das Teatro San Carlo als das schönste und am großzügigsten ausgestattete Theater Europas. Im Jahr 1815 übernahm der geschäftstüchtige Theaterunternehmer Domenico Barbaja die Leitung des San Carlo.

Die Geschichte, daß Rossini in Rom von einem Barbier rasiert wurde, der am Abend in der Oper die erste Klarinette spielte, wäre in Neapel unmöglich gewesen. Barbaja konnte sich rühmen, die besten Sänger der Welt an seinem Haus engagiert zu haben: die Primadonna Isabella Colbran, Rossinis spätere Frau, und die drei Tenöre Garcia, David und Nazzari. Barbaja holte den jungen erfolgreichen Komponisten Gioachino Rossini nach Neapel, und die Opern, die er dort schuf, gehören zu den großartigsten Werken dieser Zeit.

„Ricciardo e Zoraide“ aus dem Jahr 1818 ist eine wichtige Oper aus Rossinis Übergangszeit, in der er neue musikalische Einfälle entwickelt. Erstmalig läßt er eine banda spielen, ein Orchester hinter der Szene oder auf der Bühne. Diese opera seria ist reich an herrlichen Melodien, phantasievollen Duetten und großartigen Ensembleszenen. Das Libretto des Marchese Berio ist ein etwas konfuses Kreuzritterdrama. Es handelt von dem nubischen Potentaten Agorante, von einem asiatischen König Ircano, der sich an Nubiens Grenze angesiedelt hat, und von christlichen Kreuzrittern. Ircano wird von Agorante besiegt und vertrieben. Ircanos Tochter Zoraide verliebt sich auf der Flucht in den tapferen Ritter Ricciardo. Sie wird jedoch von dem gewalttätigen Agorante geraubt, der sie zu seiner Frau machen möchte. Das mißfällt seiner schwarzen Gattin Zomira. Trotz des wirren Textbuchs haben Eifersucht, Rache, Todesgefahr, Intrige, Verzweiflung und Liebe Rossini zu einem Werk von großer Schönheit inspiriert. Bis 1846 war „Ricciardo e Zoraide“ eine der beliebtesten ernsten Opern Rossinis, geriet aber plötzlich in Vergessenheit. Erst 1990 wurde in Pesaro, Rossinis Geburtsstadt, die Oper wiederaufgeführt. Sechs Jahre später nahm die englische Firma Opera Rara, die sich um die Wiederbelebung seltener und zu Unrecht vergessener Opern des 19. Jahrhunderts große Verdienste erworben hat, das Werk auf CD auf.

Erstaunlicherweise steht nicht das Liebespaar im Mittelpunkt, sondern der bösartige schwarze König, dem Bruce Ford mit seinem kraftvollen und technisch sicheren Baritenor starkes Profil verleiht. William Matteuzzi in der Partie des edlen Ritters Ricciardo gelingen nicht nur die brillanten Spitzentöne mit stupender Leichtigkeit, sondern auch Töne kämpferischen Muts und zärtlicher Liebe. Beide Tenöre zeigen ihr großes Können im Duett „Donala a questo core“ (Gib sie diesem Herz). Die von beiden Männern umworbene Zoraide wird von Nelly Miricioiu mit innigem und strahlendem Sopran gesungen. Della Jones als rachsüchtige Nubierkönigin ist ihr mit prachtvollem Alt eine ebenbürtige Rivalin. Im Duett „In van tu fingi“ (Vergeblich verstellst du dich) harmonisieren die Stimmen der beiden Frauen aufs Schönste. Der besiegte Ircano, der seine Tochter sucht und für sie zu kämpfen bereit ist, läßt im Quartett „Contro cento” (gegen Hundert) seinen imposanten Baß hören. Kraftvoll und mit viel Italianta singt der „Geoffry Mitchell“ Chor. David Parry dirigiert partiturgerecht die Academy of St. Martin im the Fields mit schwungvoller Lebendigkeit und starker Intensität. Als Weltersteinspielung ein großer Wurf!


 
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