© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Im Klub der Skeptiker
Georg Meyers Biographie über Adolf Heusinger, den Mitgründer und ersten Generalinspekteur der Bundeswehr
Tobias Wimbauer

Der Freiburger Militärhistoriker Georg Meyer hat nach jahrelangen Forschungen und akribischer Recherche die erste umfassende Biographie über den in vier deutschen Armeen dienenden Soldaten und ersten Generalinspekteur der Bundeswehr, Adolf Heusinger (1897-1982) vorgelegt. Bevor es zur Drucklegung des Bandes kam, waren zunächst Schwierigkeiten im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) zu überwinden, die sich gegen Meyers angeblich mangelnde Distanz richteten. So wurde ihm vorgeworfen, daß er sich in den Kapiteln zum Zweiten Weltkrieg hauptsächlich der privaten Aufzeichnungen und Briefwechsel Heusingers bediene, was, so das MGFA, eine Verknappung der Objektivität zur Folge habe. Die Haltlosigkeit dieser Vorwürfe kann allerdings durch Meyers gewaltige Anzahl der Quellen widerlegt werden; etwa 2.500 Fußnoten sind beredtes Zeugnis seiner Akribie.

Adolf Heusinger wurde 1897 in Holzminden geboren. Als Schüler stets Primus, war er ein humanistisch geprägter Bildungsbürger im klassischen Sinne. Im Kriegssommer 1915 wollte der junge Abiturient Offizier werden, wenngleich er diesen Beruf so gut wie gar nicht kannte, weder seine Licht- noch seine Schattenseiten. Nach gerade einmal vier Monaten Ausbildung kam der frisch ernannte Fahnenjunker an die Front. Im Sommer 1917 geriet Heusinger, nach Kämpfen an der Westfront und Dienst als Ordonnanzoffizier in Flandern, in britische Kriegsgefangenschaft, in der er anderthalb Jahre lang blieb. Nach der Entlassung mündeten seine Überlegungen in der „Frage nach dem Offiziersberuf“, und er trat daraufhin 1919 in die Reichswehr ein. Seinen Dienst verrichtete der inzwischen zum Oberleutnant und Bataillonsadjutant Beförderte in Rudolstadt, Sondershausen und ab 1922 in Kassel.

Heusingers Wunsch nach einer Revision des „Vertrages“ von Versailles ist es gewiß geschuldet, daß er die proklamierten Ziele der Regierung Hitler anfangs guthieß. Das „Dritte Reich“ erlebte er „zunächst mit Zuversicht“ und „mit einem gewissen Vertrauen in der Hoffnung, daß vielleicht doch aus der Sache etwas Gutes würde.“ Die Zeit von 1935 bis zum 20. Juli 1944 wirkte der am Ende zum Generalleutnant Aufsteigende in Generalstabsverwendungen, so 1937-39 als Gruppenleiter im Generalstab des Heeres und arbeitete in dieser Stellung an der operativen Planung der Feldzüge gegen Polen und Frankreich mit. Im Herbst 1940 wurde Heusinger Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres. Bei all den raschen Erfolgen wähnte er immer England als den Hauptgegner, den es zu schlagen gelte, da es als gewichtigster Feind einer deutschen Kontinentalherrschaft zu erachten sei. Größtes Mißtrauen hegte er gegenüber den Italienern, deren Verhalten er nach dem siegreichen Abschluß des Westfeldzuges mißbilligte.

Nach einem Gespräch mit Adolf Hitler - das „Unternehmen Barbarossa“ war bereits im Gange - notierte Heusinger, man hätte den Ostfeldzug „auf jeden Fall führen müssen. Die Russen hätten uns in Kürze sonst überfallen“. Waren zunächst die militärischen Erfolge „mal wieder märchenhaft“, so mehrten sich rasch Zweifel, daß man diesen Gegner auf vielen Gebieten „weit unterschätzt“ habe. Nach Lektüre der Gespräche Napoleons mit Caulaincourt schrieb der Generalstabsoffizier seiner Frau über das Buch, es sei „außerordentlich interessant und bietet viele Parallelen. Napoleon ging zugrunde daran, daß er nicht rechtzeitig in seinen Zielen zurücksteckte. Hoffentlich verpassen wir nicht auch diesen Moment.“ Es kam zu internen Auseinandersetzungen: Halders und Heusingers Planungen fanden nicht die Zustimmung Hitlers. Die verheerende Lage an der Ostfront brachte Heusinger zunehmend in schwere innere Konflikte. Seine Bemühungen, im Generalstab abgelöst zu werden, waren freilich für den gerade frisch beförderten Generalleutnant erfolglos. Zu sehr schätzte man seine Sachkenntnis in taktischen Fragen und die stets unaufgeregte Zuverlässigkeit seiner Situationsdiagnostik.

Beim Hitler-Attentat Stauffenbergs am 20. Juli 1944 wurde Heusinger während seines Lagevortrages verwundet. Drei Tage nach dem Attentat, noch im Lazarett liegend, verhaftete man ihn mit dem Vorwurf der Mitwisserschaft. Zwar stand Heusinger in Verbindung zu Persönlichkeiten des militärischen Widerstandes, etwa zu Erich Fellgiebel oder Henning von Tresckow, und im Generalstab gehörte er dem sogenannten „Klub der Skeptiker“ an, jedoch kam die Durchführung des Attentates für ihn überraschend. Gleichwohl wußte er, daß ein Anschlag auf Hitler geplant wurde. „Nach erwiesener Unschuld“ kam er im September wieder auf freien Fuß. Vier Tage vor Kriegsende geriet Heusinger in amerikanische Kriegsgefangenschaft, in der er bis Februar 1948 verblieb, da er in den Nürnberger Prozessen der Siegerstaaten als Zeuge aussagen mußte.

Noch in der Zeit der Gefangenschaft, nunmehr als Zivilinternierter, erreichte ihn die Anfrage seines einstigen Untergebenen Reinhard Gehlen, an der von den Amerikanern installierten, später sogenannten „Organisation Gehlen“, aus der der BND hervorgehen sollte, mitzuwirken. Heusinger sagte zu. In Pullach war er zur Verhinderung einer Bolschewisierung Europas für die Auswertung zuständig. Geschickt zeigte Heusinger in Studien die mögliche Gefahr einer sowjetischen Expansion im Falle einer weiteren Nichtwehrhaftigkeit Westdeutschlands und einer Gefährdung des übrigen Westeuropa auf.

Alsbald beschäftige sich das „Triumvirat“ Heusinger, Hans Speidel und Hermann Foertsch mit den „Vorarbeiten für den Aufbau einer deutschen Wehrmacht im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft.“ Im Herbst 1950 wurde die Planung in Himmerod konkret. Die Himmeroder Denkschrift - endgültig formuliert von Johann Adolf Graf von Kielmansegg - war gleichsam der „Grundstein“ für die spätere Bundeswehr. In das Ende 1950 formierte „Amt Blank“, aus dem hernach das Bundesverteidigungsministerium hervorging, wurden Speidel und Heusinger folgerichtig als Berater berufen.

Bei den Petersberg-Gesprächen waren Heusinger und Speidel offiziell als Beauftragte der Bundesregierung tätig. Diesen Posten als Sachverständiger trat Heusinger aus rein nationalem Pflichtbewußtsein an; er fühlte sich „ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt“, was ihm, dem zurückhaltenden Soldaten, eher unlieb war; in einem Brief schrieb er 1951 von der „neuen Last“. Das inneramtliche Organisationschaos in der Dienststelle Blank wurde nach internen Kompetenzstreitigkeiten 1952/ 53 mit einer Neustrukturierung geordnet. Heusinger stand nun auch dem „Ausschuß Innere Führung“ vor. Dieses war notwendig geworden, da man sich nunmehr nicht mehr mit „Planspielen” beschäftigte, sondern die Formierung einer neuen deutschen Armee dringlichste Angelegenheit geworden war und die Umsetzung der Überlegungen in greifbare Nähe gerückt schien.

In seiner 1950 erschienenen militärischen Reflexion „Befehl im Widerstreit” wollte Heusinger „bei engster Anlehnung an die Tatsachen die Grundlinien der Entwicklung aufzeigen“, ohne ein Stück Rechtfertigungsliteratur zu produzieren. Rezensionen dieses Buches, die auch die Rolle der Bundeswehroffiziere in der Wehrmacht hinterfragten, erschienen zahlreich - womit auch die Legende der fehlenden „öffentlichen Diskussion“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit widerlegt ist.

1955 wurde Heusinger als Generalleutnant reaktiviert, ab Juni 1957 war er der erste Generalinspekteur der Bundeswehr. Das letzte große Amt des Bundeswehrgenerals war das des Vorsitzenden des Ständigen Militärausschusses der Nato in Washington.

Meyer zeichnet nicht nur den Lebensweg eines „Soldaten der vier Armeen“ nach, sondern zeigt überdies auf anschauliche Weise den Weg des deutschen Heeres von der Reichswehr über die Wehrmacht bis hin zur Bundeswehr der BRD. Bezüglich der heute kritisierten Rolle Heusingers in der Wehrmacht begeht Meyer nicht den häufig anzutreffenden Fehler zeitgenössischer Historiker, die Geschichte von „1945 bis 1933“ zu betrachten, was eine „Verzerrung aus der Ex-post-Perspektive“ (Rolf Peter Sieferle) nach sich ziehen würde, wie es auch schon Victor Klemperer 1942 im Tagebuch beklagte („Man kennt höchstens, was geschah, nicht wie es zustande kam“), sondern er beschreibt Geschichte - den Quellen und Dokumenten folgend - aus ihrer Zeit heraus und schafft damit eine objektive, historisch wertvolle Biographie. Tobias Wimbauer

Georg Meyer: Adolf Heusinger. Dienst eines deutschen Soldaten 1915-1964. Koehler / Mittler, Hamburg 2001, 960 Seiten, 49,80 Euro


 
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