© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Karneval: Ein Streifzug durch die schunkelnden Säle der Frohsinnsmetropole Köln
Kölsch und andere Fremdsprachen
Achim Volz

Fred und Inge, erstmalige Besucher einer rheinischen Karnevalssitzung, sehen sich verwundert an: Daß der Jux so teuer werden würde, konnte man nicht wissen! Nach fast siebzig Euro für zwei Eintrittskarten, anderthalbhundert Euro Leihgebühr für die beiden Kostüme und zwanzig Euro fürs Taxi nun dreißig Euro für den Käse-Igel. Sechzig Käsestückchen auf hölzernen Spießchen, das Ganze auf einen Kohlstrunk drappiert und mit Paprika bestäubt. Fred hatte, in gehobener Stimmung, geordert: „Bringen Sie uns auch so einen Igel!“, ohne auf die Speisekarte geschaut zu haben.

„Fast sechzig Mark!“, rechnete Fred instinktiv in alter Währung um; die beiden Mineralwasserfläschlein rechts und links vom eßbaren Igel schienen aus einer Apotheke zu kommen, wurden doch jeweils dreieinhalb Euro für das fade Gesöff verlangt. Fünf Stück davon hatte Inge bald intus und Fred eine Flasche Ahrwein, neunundzwanzig Euro, sowie drei Glas Kölschbier - kleine, versteht sich - zu jeweils drei Euro, dazu ein Euro für Garderobe und fünfzig Cent für die freundliche Dame von den sanitären Anlagen. „Ein teures Vergnügen!“, findet Fred, am kommenden Wochenende würde er mit Sicherheit wieder schwarzarbeiten gehen müssen, um das Loch in der Kasse zu stopfen. Ab und an haben Fred und Inge sogar Spaß an der Karnevalssitzung. Weniger an dem, was auf der Bühne geboten wird, und in der Bütt, einem Faß, darin stehend die Redner ihre Vorträge zum besten geben, sondern an dem, was sich im Saal abspielt. Da ist zum Beispiel jener kleine dicke Knubbel am Nebentisch, der ordensgeschmückte Frack mit Halbglatze, bei dem man von „Sitzung“ nicht sprechen kann. Kaum sitzt er zehn Sekunden, da erblickt er abermals einen Bekannten und winkt ihm wild rudernd, solange, bis der Betreffende ihn seinerseits gewahrt und zurückgestikuliert. Beide arbeiten sich durch die Menge, streben aufeinander zu und umhalsen sich. Der speckige Frack kennt offenbar die gesamte Karnevalsprominenz: „Küste morrje zoo de Funke?“ „Ei looojisch!“ „Joot dassde ooch kumme doos. Besss morje Jupp!“

Nehmen Redner, Tanz- oder Gesangsgruppen nach dem Auftritt, beim „Ausmarsch“, ihren Weg durch den Gang in der Saalmitte, schnellt der Frack raketenartig hoch, sobald das Objekt seiner Begierde in Reichweite gerät. Da werden ranke Schnäuzer-Kerls, meist semiprofessionelle Musikanten aus der Vorstadt, umarmt, geherzt und schultergeklopft; mit den jungen Dingern von der Tanzgarde wird man feixend handgemein und versichert den schrill herausgeputzten Jungstuten uralter Traditionsvereine: „Suuuperauftritt! Suuperklasse! Mädels, Ihr seid einsame Spitze!“ Am Tisch zurück läßt Frackglatze dann alle wissen: „Datt Mariesche, datt känn isch juut. Watt e lecker Mädsche!“ Rülpst und läßt die lauwarme Pfütze aus seinem Bierglas im weit aufgerissenen Rachen verschwinden.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Denkt Fred bei sich und dreht sich zu seiner Inge: „Die meisten kennt man schon vom Fernsehen. Und die Witze auch.“ Ein Promi-Redner steigt in die Bütt; im Scheichkostüm lästert er ab, über Allah, den Muselmann an sich und die „janzen bekloppten Osamas da unten“. Der Saal explodiert gleichsam, als der Bütten-Scheich seine Haremspointen abschießt, darunter seinen in tausend Sitzungsschlachten bewährten Mordskracher: Wo wer „beim Bart des Propheten“ schwören will und es stattdessen „beim Griff der Macheten“ tut: „Schnippschnapp Krummschwanz ab!“ Hohoho, hihihi - da taumelt Kegelbruder Rudi wider Hausmeister Krause, beider feiste Gattinnen nicht minder und das hiesige Krähwinkeltum ist abermals ganz bei sich selbst. Fred: „Ich versteh den Dialekt nicht. Kommt bald der Bernd Stelter? Der von RTL?“ Frackglatze versetzt brüllend, um schmetternden Blechklang zu übertönen: „Enäää, dää Bäärnd kann hück nitt. Dä hätt ett im Hals!“

Das Kölnische Dreigestirn ergreift Besitz vom Saal: Ein närrischer Geleitzug aus Kapellen, Tanzgardisten, Funkenmariechen, Konfetti-Artilleristen, Fahnenträgern, Trommlern, Literaten, Zeremoniaren und auffällig unauffälligen, handybewehrten Ablaufkontrollettis wälzt sich vor Bauer, Jungfrau (traditionell von einem Kerl gegeben!) und Prinz der Bühne entgegen, um dort von elf ordenübersäten Honorablen in schwarzem Zwirn empfangen zu werden. Der Geräuschpegel nähert sich dem einer startenden Viermotorigen, Fred und Inge fliehen zu einem Bierstand im Foyer: „Mensch, ist das laut im Saal!“ Drinnen erreicht die sogenannte Stimmung ihren Zenit, als es zum „Stippefötche“ der Garden kommt. Was einen Ulktanz meint, bei dem altpreußisch uniformierte Männer ihre weißbehosten Hinterbacken aneinanderpressen und zum Gaudium des Volkes hin- und herreiben. Dazu denkt „dä kölsche Minsch“ dreierlei: 1). Unser Herrgott hat eine große Menagerie; 2). Man muß auch gönnen können; 3). Jedem Narr’ gefällt sein’ Kapp. Wie stets stellt der deutsche Geist auch hierin seine Zukünftigkeit unter Beweis.

Fred und Inge treffen im Foyer auf Dirk, Mechaniker, und Anke, Callcenteragentin (früher: Telefonistin), gute Bekannte, die auch zum ersten Mal eine Karnevalssitzung besuchen. Gemeinsam schlendert man zu den Stellwänden mit den Buntfotos. Knipsprofis lichten vor Sitzungsbeginn alles ab, was sich bewegt; für neun Euro pro Aufnahme kann man sich anschließend sein Sitzungssouvenir kaufen. Fred findet seine Fotos und darauf sich und die Seine unvorteilhaft, ganz unvorteilhaft getroffen; kurzentschlossen dreht er das Zeug um, bevor Inge auf dumme Gedanken kommen kann. Dirk und Anke aber kaufen ihre Konterfeis, finden sich „optimal getroffen“ und haben „eine Erinnerung für später“. In der Tat ist es spät geworden; man kehrt zu den Plätzen zurück, zum teuren Wein, zum teuren Käse-Igel. Und ärgert sich, daß von beidem konsumiert worden sein muß, als man selbst sich draußen erging.

Nach sechs Stunden veloziferischem Sing-, Schunkel- und Lachstreß ist das Spiel endlich aus. Erschöpft und abgespannt entfährt Fred ein letztes, ironisch gemeintes „Kölle alaaf!“, fast zwei Stunden nach Mitternacht. Fahruntüchtige Graumelierte kramen in der Hosentasche nach ihrem Autoschlüssel. Fünfhundert Handys bestellen Taxis. Ein letztes Mal dröhnt der DJ Ötzis Gassenhauer „Die Hände zum Himmel“ aus der Saalanlage, vor Garderobe und Damenklo lange Schlangen. Ein feuerwasserbedingt torkelnder Indianerhäuptling fühlt sich von einem beschlipsten Anzugträger provoziert: „Superkostüm! Als Staubsaugervertreter hier?“ „Exakt“, versetzt der Attackierte, „und gestern war ich den ganzen Nachmittag bei Ihrer Frau.“ Karneval ist eben eine todernste Sache.


 
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