© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Pankraz,
Bart Kosko und die Fuzzifizierung der Welt

Im Zentrum der Schwarz-weiß-Malerei begehrt man auf. Bart Kosko, Komponist und Professor für Elektrophysik an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles, will öffentlich festgestellt wissen, daß es auch in der Politik keine eindeutigen Optionen und Konzepte gibt, keine simple Einteilung in „gut“ und „böse“ à la Präsident Bush, daß auch die Unterscheidungen der Politik immer „fuzzy“ sind, also unscharf, ausgefasert, eine Abstufung von Grautönen.

Der Einspruch kommt aus den Tiefen der modernen Wissenschaft. Die sogenannte „Fuzzy-Logik“ (ursprünglich angelsächsisch wie „Fassi-Logik“ ausgesprochen, mittlerweile aber auch schon eingedeutscht) hat in den letzten zwanzig Jahren beispiellosen Siegeszug in Theorie und Praxis absolviert. Sie ist das aktuelle Paradigma, an dem sich alles zu orientieren beginnt. Unzählige technische Systeme funktionieren bereits „fuzzy“, Klimaanlagen, Waschmaschinen, Wasser-Aufbereitungsanlagen, Müll-Verbrennungsanlagen. In guten neuen Autos sind bereits mehr als hundert Chips eingebaut, die alle möglichen Vorgänge nach Fuzzy-Logik steuern und optimieren.

Ironischerweise war es gerade die digitalisierende Chip-Industrie, die der Fuzzy-Logik zum Durchbruch verholfen hat. „Digitalisierung“ heißt ja Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Entweder und Oder. Aber die Möglichkeit, ungeheure Summen solcher Entweder-Oder-Entscheidungen auf einem einzigen millimetergroßen Chip zu ganzen elektrischen Entscheidungssystemen zusammenzufassen, erlaubte es, mit nunmehr größter Souveränität auf die unendlich feinen Graduierungen der wirklichen Welt zu reagieren und sie in präzise, hocheffektive und ressourcensparende Handlungsanleitungen umzusetzen. Digital operieren hieß alsbald, sich in Nuancen einzurichten und die Realität als eine Skala von Grautönen zu akzeptieren.

Es ist dies eine gewaltige Revolution des abendländischen Denkens. Während der asiatische, taoistische und buddhistische Denkstil schon immer auf Grautöne orientiert war („Yin“ und „Yang“ waren keine Gegensätze, sondern Prinzipien des gegenseitigen Sichdurchdringens), propagierte die abendländische Wissenschaft seit Aristoteles mit Vehemenz die binäre Logik und die Eindeutigkeit der Begriffe. Eine Sache sollte entweder wahr oder unwahr sein, und zwar zu jeweils hundert Prozent. Was nicht in dieses Schema paßte, wurde einfach weggelassen oder so lange zurechtgeschnitten bzw. auseinandergezogen, bis es tatsächlich „paßte“.

Man hatte auch Erfolg mit solchen Methoden, es ließen sich damit eine Technik und eine Ethik modellieren, mit denen man zweitausend Jahre lang einigermaßen über die Runden kam und Macht über andere Kulturen gewann. Doch heute fängt man an zu erkennen, wie urtümlich und grob diese Technik und diese Ethik waren. Sie wenden sich immer häufiger gegen sich selbst, produzieren unerwünschte „Nebenfolgen“ am laufenden Band und richten Verheerungen an. Denn die Welt ist fuzzy, und deshalb gehört die Zukunft der Fuzzy-Logik.

Ahnherren dieser neuartigen Logik sind Bertrand Russel, Jan Lukasiewicz, Lotfi Zadeh, vor allem aber Georg Cantor mit seiner Mengenlehre. Die Fuzzy-Logik selber ist nicht fuzzy, nicht unscharf, sie taktiert durchaus im Stil der traditionellen mathematischen Logik, aber ihre Grundeinheit ist nicht die Zahl oder die homogene Menge, sondern das „Muster“, eine Menge mit unscharfen Grenzen, eben die „Fuzzy-Menge“. Der Begriff „Kühle Luft“ ist beispielsweise eine solche Fuzzy-Menge: ein „vages Konzept“, dessen Bedeutung mit den Sprechern und sogar bei demselben Sprecher mit der Zeit variiert. Der Begriff „Kühle Luft“ hat eine unendliche Menge von Bedeutungen - und bildet dennoch eine Einheit.

Mit derlei Mengen kann man nicht einfach „rechnen“, sondern man muß sie, sagt Bart Kosko in seinem Buch „The Fuzzy Future“ (deutsch: „Die Zukunft ist fuzzy“, Pieper Verlag, München) ständig zu optimieren suchen, so wie sich ein neuronales System im Gehirn ständig optimiert. Man kann das auch als „Lernen“ bezeichnen. Der Fuzzy-Logiker arbeitet nicht mit ein für allemal festgelegten Regeln und Funktionen, sondern er „lernt“, indem er arbeitet, seine Arbeit besteht vorwiegend im Lernen, im Erkennen des Musters im einzelnen Element und in der Bestimmung von dessen Abbildung und prozentualer Mächtigkeit.

Koskos Anliegen ist es, den Habitus der Fuzzy-Logik in möglichst viele gesellschaftliche Diskurse einzuführen und diese dadurch zu modernisieren, nicht nur in die Wissenschaft, sondern auch in die ethische Diskussion (beispielsweise um die Zulassung von Stammzellen-Forschung), in das öffentliche Ausstellungsgebaren, in künstlerische Workshops, in die staatliche Verwaltung (Steuerrecht), in die Leitung von Wirtschaftskonzernen, vor allem aber in die Politik. Das Kapitel über die „Fuzzyfizierung“ der Politik ist zweifellos das interessanteste und brisanteste in Koskos Buch (das übrigens lange vor dem 11. September erschienen ist).

Es gibt dort Ausführungen zur modernen Kriegführung („Smart War“), die einen das Blut in den Adern gefrieren lassen können. Nichts, so lernt man, ist - bei Lichte betrachtet - digital definierbar, alles ist eine Frage der prozentualen Anteile, alles geht ineinander über: Krieg und Frieden, Angriff und Verteidigung, Terror und Terror-Abwehr. Und die verantwortlichen Kräfte operieren in der Regel wie Neandertaler im Feinkostgeschäft, weil sie eben noch keine Ahnung von moderner Fuzzy-Logik haben.

Am albernsten aber (und am gefährlichsten) sind diejenigen, die allen Ernstes glauben, sie hätten „das Gute“ für sich gepachtet und wüßten genau, wo die „Achsen des Bösen“ verlaufen. Solchen Zeitgenossen, legt Kosko nahe, könne gar nicht früh genug ein smarter Fuzzy-Chip ins Gehirn eingepflanzt werden. Denn auch die Übergänge zwischen Gehirn und Chip seien fließend.


 
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