© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Mir geht nichts über mich 
Eine FDP-nahe Rechtsethik
Uwe Paysen

Die Frage, wer über die Ordnung menschlichen Zusammenlebens in den letzten 2.500 Jahren am gründlichsten nachdachte, ist von den Glücklichen, die noch vor der „geistig-moralischen“ Wende von 1982, oder, besser noch, vor der von 1968, ihr Abitur gemacht haben, relativ leicht zu beantworten - Rechts- und Staatsdenker wie Aristoteles, Hobbes oder Hegel.

Die Lektüre der „Rechtsethik“ des jungen Erfurter Rechtsphilosophen Dietmar von der Pfordten scheint nun solch solides Schulwissen zu entwerten. Kreiert man anhand der Autoren, die sein Literaturverzeichnis am häufigsten nennt, einen neuen Kanon abendländischer Rechtsdenker, so werden von der Pfordten und Julian Nida-Rümelin im 21. Jahrhundert Aristoteles und Hegel außer Kurs setzen. Alte Münchener Beziehungen spiegeln sich hier wider: Zwischen dem sozialdemokratischen Philosophen und dem Rechtsethiker, in dessen Verwandtschaft wohl jener OLG-Rat zu suchen ist, der als „Blutzeuge der Bewegung“ in die NS-Mythologie einging.

Von diesem auf Volk und Nation fixierten „Kollektivismus“ der Ur-Großväter sowie von Carl Schmitts „militärischer Reduktion des Politischen auf den Freund-Feind-Gegensatz“, setzt sich von der Pfordten entschieden ab. Auf die Frage: Welches Recht ist gerecht? - lautet seine simple Antwort: Recht, das sich als politische Entscheidung auf die Interessen der jeweils betroffenen Menschen stützt. Er nennt das „normativen Individualismus“. Das klingt nach einer FDP-nahen Neuauflage von Max Stirners „Mir geht nichts über mich!“ Dabei gelingt von der Pfordten nicht einmal eine brauchbare Abgrenzung von den gescholtenen „Kollektivisten“, die Gemeinschaftspflichten oft genug im Interesse des einzelnen einfordern. Und mit dem universalistisch- „multikulturellen“ Aspirationen gehorchenden „Normativismus“ ist es erst recht nichts. Hier sollte der Autor beim alten Skeptiker Max Horkheimer nachschlagen: Was Recht und Gerechtigkeit sein sollen, ist wissenschaftlich nicht verifizierbar, sondern Sache persönlichkeitsgebundener - „Entscheidung“!

Dietmar von der Pfordten: Rechtsethik. C.H.Beck, München 2001, 575 Seiten, 38,90 Euro


 
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