© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
„Perfide eingefädelte Schmutzkampagne“
Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Drogenverdacht gegen Ronald Schill bestätigt sich nicht / Kritik aus Niedersachsen / Antritt zur Bundestagswahl weiter unklar
Peter Freitag

Selten hat ein negatives Ergebnis für so gute Stimmung gesorgt: Am Montagabend präsentierte der Staatsrat der Hamburger Innenbehörde, Walter Wellinghausen, das Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität München, aus welchem hervorgeht, daß Ronald Schill keine Drogen konsumiert hat und für Kokain sogar gelegentlicher Konsum unwahrscheinlich sei.

Der Zweite Bürgermeister und Innensenator der Hansestadt geißelte auf derselben Pressekonferenz sogleich die vom politischen Gegner und Teilen der Medien „perfide eingefädelte Schmutzkampagne“, die ihn zur Abgabe einer Haarprobe gezwungen habe. Das Untersuchungsergebnis aus München belege die Haltlosigkeit der Vorwürfe. Ein Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigte unterdessen, daß die Behörde die Ermittlungen gegen Schill wegen Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen habe. Das Verfahren basiere auf der staatsanwaltlichen Vernehmung eines anonymen Zeugen, der zuvor in der ARD-Sendung „Panorama“ behauptet hatte, er sei Zeuge gewesen, wie Schill weißes Pulver auf sein Zahnfleisch gerieben habe. Das Ergebnis der Haarprobe werde in ihre Untersuchung aufgenommen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Zugleich leitete dieselbe Behörde auch ein Verfahren gegen den Zeugen wegen übler Nachrede und Falschaussage ein. Schill hatte seinerseits Anzeige gegen Unbekannt erstattet und angekündigt, gegen die Verantwortlichen bei „Panorama“ juristisch vorgehen zu wollen.

Bei dem von der Staatsanwaltschaft genannten Zeugen „H.“ handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Marcel Hartung, der bereits Ende November vergangenen Jahres als Ortsvorsitzender der Schill-Partei in Barmbeck gegen Schill in der Öffentlichkeit ins Feld gezogen war. Damals präsentierte sich Hartung als Kopf eines sogenannten Reformer-Flügels, der das „Führerprinzip“ des Parteivorsitzenden geißelte und mehr innerparteiliche Demokratie verlangte. Auch hatte Hartung zum damaligen Zeitpunkt bereits das Privatleben und die Aufenthalte Schills in Kreisen der „Schickeria“ kritisiert: „Die Feierei muß aufhören“, zitierte das Hamburger Abendblatt im November den selbsternannten Sprecher des linken Flügels. Hartung sprach außerdem von der Furcht vieler reformerischer Mitglieder vor Repressionen, gegen die nur ein „vorsichtiger Gang in die Öffentlichkeit“ helfe. Sein Gespür für Vorsicht scheint Hartung nun offensichtlich verlassen zu haben. Seitens der Partei übte man noch Zurückhaltung bezüglich des Verdachts gegen Hartung. „Wir wollen nicht mit denselben unsauberen Methoden vorgehen wie unsere Gegner, und dem vermeintlichen Zeugen erst die Möglichkeit einräumen, sich uns gegenüber zu äußern“, so ein Mitgliedder Schill-Fraktion aus der Bürgerschaft zur JUNGEN FREIHEIT.

Vorgehen gegen Schill ist geschichtlich ohne Vorbild

Losgetreten wurde die Affäre, die in der „historisch einmaligen“ Abgabe der Haarprobe eines amtierenden Ministers gipfelte, durch die Behauptung des Bürgerschaftsabgeordneten Mahr, Schill sei auf einer Party gewesen, auf der Gäste Kokain konsumiert hätten. Als Sekundant sprang, nachdem Schill diesen Vorwurf zunächst ignoriert hatte, der Bundesverfassungsrichter und ehemalige Hamburger Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem bei, der in einem Offenen Brief unter mehrfacher Wiederholung des Wortes „Kokain“, Schill zur Stellungnahme aufforderte, um Schaden von seinem Amt abzuwenden. Dieser Vorgang ist in der bundesrepublikanischen Geschichte genauso ohne Vorbild, wie das danach einsetzende gesteigerte Interesse der Medien am Privatleben eines Politikers.

Wenig später tauchte ein ominöser, angeblich von Schill stammender Aktenvermerk auf, in welchem das Vorgehen der Drogenfahndung in erster Linie auf die offene Szene und nicht auf „Schickeria-Kreise“ gerichtet werden sollte. Im gleichen Atemzug sagte man Schills Staatsrat Walter Wellinghausen nach, er habe in seiner vorherigen Tätigkeit als Anwalt Mandaten aus der organisierten Kriminalität vertreten. Schills Verdacht, es handele sich um eine Kampagne gegen seine Person und seine politische Arbeit, läßt sich nicht ohne weiteres abtun: So ist Mahr nicht nur als Mitglied der Fraktion der Grün-Alternativen Liste (GAL) ein politischer Gegner, der Polizeibeamte ist zudem Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Kritischer Polizisten“, einer links stehenden Standesvertretung. Als deren Vertreter steht er Schills Konzept vom starken Staat, von erhöhter Polizeipräsenz und wahrscheinlich auch der Auflösung der sogenannten „Polizeikommission“ ablehnend gegenüber. Die Verlockung, von linker Seite an Schills „Saubermann-Image“ zu kratzen, war augenscheinlich groß. Die Versuche, Schill zu demontieren, werden jedoch auch nach dem Ergebnis der Haarprobe nicht aufhören. So erhob gleichfalls am Montag der niedersächsische Justizminister Pfeiffer (SPD) den Vorwurf, der Hamburger Innensenator habe bei der Vorstellung seiner Kriminalitätsstatistik „die Öffentlichkeit bewußt getäuscht“. Schill sei nur unzureichend auf die Delikte eingegangen, bei denen ein starker Rückgang zu verzeichnen gewesen sei, wie beispielsweise Mord, Vergewaltigung und Gewaltkriminalität von Jugendlichen. Und nur aufgrund der Aufklärung eines großen Anlagebetrugs, durch die mehrere tausend Einzelfälle in die Statistik eingingen, sei die Kriminalitätsrate um 12,1 Prozent gestiegen. Schill wies die Vorwürfe aus Hannover energisch zurück und erwähnte, daß die zurückgegangenen Delikte die erhöhten Zahlen (besonders Drogendelikte und Körperverletzungen) nicht aufwiegen könnten, so zum Beispiel die Steigerung von Diebstahl unter Jugendlichen um 900 Prozent.

Allerdings sorgt auch der Vorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive mit seinen Äußerungen für Verwunderung. So zitierten am Montag einige Zeitungen eine Meldung von „Focus online“, wonach Schill ein Antreten seiner Partei zur Bundestagswahl als „eher unwahrscheinlich“ bezeichnete, da man aus Termingründen nicht bis Juli in allen Bundesländern Landesverbände gründen könne. Demgegenüber bestätigte die Parteizentrale in Hamburg, daß die Entscheidung (JF 7/02 berichtete) „erst auf dem Bundesparteitag am 27. April endgültig gefällt wird“. Der Vorstand werde zuvor eine Empfehlung abgeben, in die auch das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt einfließe.

Neue Landesverbände werden aus der Taufe gehoben

Schill hatte schon früher die Frage nach einem Antreten seiner Partei von der Entscheidung der Union, wer ihr Kanzlerkandidat werde, abhängig machen wollen, woraufhin ihm jedoch von einigen Vorstandskollegen „unter anderem seinem Stellvertreter Mario Mettbach“ widersprochen wurde. Auch mit Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat der Union sei die Schill-Partei nicht abgeneigt, zur Bundestagswahl anzutreten, meinte Wolfgang Barth-Völkel, Geschäftsführer der Partei in Hamburg, auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Auch wenn demokratischen Gepflogenheiten gemäß der Parteitag und nicht allein der Vorsitzende darüber entscheiden wird: Mit seiner neuesten Äußerung, ein Antritt bei der Bundestagswahl sei unwahrscheinlich, bot Schill wieder eine Angriffsfläche für alle, die ihm vorwerfen, er sei nur ein Appendix der mächtigen Münchner. Und immerhin werden allen Terminschwierigkeiten zum Trotz als nächstes drei neue Landesverbände aus der Taufe gehoben, in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Daß die noch junge und erst im Aufbau befindliche Partei ihre Ressourcen schonen muß, daß eine Profilierung im Wahlkampf mit Stoiber anstatt Merkel schwieriger sein wird, liegt auf der Hand; dennoch sollte die Entscheidung, ob man eigene Schill-Listen aufstellt, so spät wie möglich gefällt werden. Schon um sich des Eindrucks zu erwehren, man betreibe mit dem politischen Konkurrenten einen Kuhhandel um Wählerpfründe.


 
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