© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Weißwurst gegen Currywurst
Wahlkampf: Das Duell zwischen Kanzler Gerhard Schröder und seinem Herausforderer Edmund Stoiber
Paul Rosen

Die Deutschen stehen vor der S-Frage. Wen wollen sie als Kanzler? Amtsinhaber Gerhard Schröder oder Herausforderer Edmund Stoiber? Eigentlich geht es um mehr als Gesichter oder die Frage, ob der mächtigste Mann in der deutschen Politik nun schwarze, angeblich nicht gefärbte oder schlohweiße Haare haben soll. Die Bundesbürger haben die Wahl zwischen der Fortsetzung der Spaßgesellschaft, die durchaus Soldaten in ungewisse Abenteuer zu schicken vermag, oder dem mühsamen Weg des Wiederaufstiegs vom letzten Platz in Europa. Der Ausgang des Duells zwischen dem Niedersachsen und dem Bayern kann derzeit als offen betrachtet werden.

Die jüngsten Umfragen seit der Nominierung Stoibers zum Kanzlerkandidaten zeigen für die durch die Spendenaffäre schwer gebeutelten Unionsparteien einen klaren Aufwärtstrend. CDU und CSU liegen bei allen Meinungsforschungsinstituten zwischen 39 und 42 Prozent, so daß es bei den zwischen acht und zehn Prozent liegenden Werten der FDP zu einer Wiederauflage der 1998 abgewählten bürgerlichen Koalition kommen könnte. Zwar hat sich FDP-Chef Guido Westerwelle bisher nicht auf eine Koalition festgelegt, aber die zentrale Forderung der FDP nach einer Steuerreform, die breite Schichten und vor allem den Mittelstand schnell entlastet, dürfte mit der SPD nicht zu machen sein. Schröder müßte in diesem Fall damit rechnen, daß ihm der linke Flügel der Partei die Gefolgschaft verweigert.

Für die Regierungsparteien machen die Demoskopen derzeit schlechte Werte aus. Schröders SPD kann von dem Effekt des Jahres 1998, daß viele Bürger Helmut Kohl nicht mehr ertragen konnten, naturgemäß nicht mehr profitieren. Die von der SPD so umworbene und gewonnene „Neue Mitte“ hat Fahnenflucht begangen. Nach einer Serie von Steuer- und Abgabenerhöhungen, die das Nettogehalt hinwegschmelzen ließ, haben sich viele gut verdienende Angestellte wieder von der SPD abgewandt.

Es darf auch nicht vergessen werden, daß die SPD-regierten Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen heute ohne die CDU-Spendenaffäre wahrscheinlich von der Union regiert werden würden und Schröders Kabinett genau in die Erstarrungsphase eingetreten wäre, in der sich die Kohl-Regierung in den letzten Jahren befand.

Die Grünen, gebeutelt durch ihre Zustimmung zu Bundeswehr-Einsätzen fast rund um den Globus, haben ihre pazifistischen Wurzeln selbst abgesägt. Die Ein-Generationen-Partei, deren Aktive dem Rentenalter immer näher rücken, schwankt in den Umfragen zwischen vier und sechs Prozent. Vielleicht reichen die Stimmen im Herbst noch einmal, 2006 dürfte das grüne Experiment jedoch nach heutigen Erkenntnissen beendet sein. Der Erbe steht fest: die PDS. Die SED-Nachfolger haben sich fest etabliert, regieren in zwei Ländern mit, weil die SPD ihren Unvereinbarkeitsbeschluß von 1994 in den Mülleimer der Geschichte warf. Die PDS liegt stabil bei sechs Prozent. Daß Schröder mit den Postkommunisten ein Bündnis eingehen könnte, gilt in Berlin trotz aller gegenteiligen Beteuerungen als durchaus wahrscheinlich. Schröder war schon immer ein Politiker, der Wert auf Unabhängigkeit von seinen eigenen Positionen legte. Stoiber hat ihn trefflich als den „Kanzler der Beliebigkeit“ charakterisiert.

Bei der inhaltlichen Auseinandersetzung steht zu Beginn des Wahlkampfes die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt. Schröder und sein Kabinett wollen mit dem Job-Aqtiv-Gesetz und Kombilohn-Modellen die Arbeitslosigkeit, die mit 4,3 Millionen Stellensuchenden einen Höhepunkt erreicht hat, bekämpfen. In Wirklichkeit weiß die Koalition genau, daß alle von ihr beschlossenen Maßnahmen nicht einmal einen Strohfeuer-Effekt haben werden. So hofft Schröder nun darauf, daß durch besseres Wetter die Arbeitslosenzahlen sinken. Außerdem redet die Koalition einen Aufschwung herbei, der weit und breit noch nicht zu sehen ist. Nach der volkswirtschaftlichen Faustformel sind in Deutschland mindestens zwei Prozent Wirtschaftswachstum notwendig, um die Arbeitslosigkeit zurückgehen zu lassen. Der aktuelle Schätzwert liegt jedoch gerade bei einem Wachstum von 0,7 Prozent.

Ein Bündnis Schröders mit der PDS ist möglich

Stoiber hat die wirtschaftlichen Schwächen sehr geschickt für sich thematisiert. Ohne das bayerische Modell mit niedriger Arbeitslosigkeit und hohem Wachstum in anderen Bundesländern lehrmeisterhaft zu präsentieren, verweist er ständig auf die Schlußlichtposition Deutschlands im europäischen Vergleich und fordert den mühsamen Wiederaufstieg auf einen besseren Platz. Dabei kommt ihm zugute, daß die ersten wirtschaftspolitischen Maßnahmen der rotgrünen Koalition zu einer massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen geführt haben. Und hunderttausende Bundesbürger vermissen die 630-Mark-Jobs, zigtausend Selbständige werden vom Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit gequält. Wer die Wiedereinführung der 630-Mark-Jobs und Abschaffung der bürokratischen Sumpfblüten von Rot-Grün verspricht, darf auf Zuspruch hoffen. Stoiber kommen auch die anhaltenden Mißerfolge der Bundesanstalt für Arbeit zugute. Die Arbeitnehmer haben längst das Gefühl, daß ihre Beiträge nicht mehr an eine Versicherung gehen, sondern an eine Behörde, die überwiegend damit beschäftigt ist, sich selbst zu verwalten.

Auch in anderen Bereichen als der direkten Wirtschaftspolitik kann Stoiber punkten. Das NPD-Verbotsverfahren hat den nach dem 11 . September zum Superstar des Kabinetts gewordenen Innenminister Schily (SPD) ein- und auf den Boden der Realitäten zurückgeholt. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) ist nach Bade- und Mallorca-Affäre und einer mißlungenen Bundeswehr-Reform nur noch eine „Witzblattfigur“, wie der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard Gertz, meint (siehe Kasten). Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) war vom ersten Tag ihrer Amtsführung an überfordert, die Beiträge zu den Krankenkassen laufen davon und sorgen für eine weitere Erhöhung der Arbeitsplatzkosten, was zu Stellenabbau führt. Sozialminister Walter Riester hat die Rentenreform versaubeutelt. Die Kassen sind hier wieder leer. Ohne Ökosteuer läge der Beitrag weit höher als heute.

Finanzminister Hans Eichel (SPD), der sich den Ruf eines eisernen Sparministers erworben hatte, ist seit der Brüsseler Androhung eines Blauen Briefes wegen unsolider Haushaltsführung am Ende seines Lateins. Seine jüngsten Sparabsichten, die Wohnungsbauförderung weiter einzuschränken, dürften die Konjunkturpflanze endgültig absterben lassen. Rot-Grün hat einen alten Grundsatz in Deutschland vergessen: Der Bau ist einer der Motoren der Konjunktur, nicht etwa Dienstleistungen oder die Dot-Com-Szene, deren Beitrag zur Wertschöpfung sich an der Börse ablesen läßt: Kursverluste um 99 Prozent sind mehr die Regel als Ausnahme.

Die Liste des Versagens der rot-grünen Koalition läßt sich beliebig fortsetzen. Die Erhöhungen des Kindergeldes, die - das darf nicht vergessen werden - vom Verfassungsgericht verordnet und nicht von Rot-Grün erfunden worden waren, wurden von der Ökosteuer weitgehend wieder aufgefressen. Besonders Familien mit Kindern mußten erleben, daß auch Schröders Politik nach dem alten Grundsatz verfährt: Was die eine Hand gibt, nimmt die andere gleich wieder. Von zahlreichen Ressorts der Regierung war seit drei Jahren nichts mehr zu hören.

Nach den vorliegenden Daten scheint Stoibers Marsch auf Berlin nicht mehr zu stoppen zu sein. Doch pflegen sich Wahlentscheidungen weniger an Fakten, sondern mehr an Stimmungen zu orientieren. Schröders Versuche, die Stimmung gegen Stoiber zu wenden, waren bisher noch nicht von Erfolg gekrönt. Im Streit um die Zuwanderungsregelung machte sich der Bayer zum Spielführer, indem er den Ball wieder auf das Spielfeld des Bundestages brachte. Schröders Ziel war klar: Er wollte das von einer Großen Koalition regierte Brandenburg auf seine Seite ziehen. Mit dem Umfallen der brandenburgischen CDU hätte Stoiber als Verlierer dagestanden. Vorbild wäre die Bundesrats-Niederlage der Union bei der Steuerreform. Obwohl sich die damalige Unionsführung einschließlich Stoiber sicher waren, das Projekt in der Länderkammer stoppen zu können, kaufte sich Schröder die Mehrheit durch Finanzzusagen an die Großen Koalitionen in den Ländern (damals auch noch Berlin) zusammen. Von dieser Niederlage erholte sich die Union monatelang nicht.

Das Thema Zuwanderung kann die Wahl entscheiden

Das zeigt die Bedeutung des Zuwanderungsthemas. Die SPD fürchtet das Wahlkampfthema, weil Zuwanderung angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen nicht mehr zu vermitteln ist. Gleichzeitig muß sie Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner nehmen, der nach wie vor die multikulturelle Gesellschaft anstrebt. Stoibers Vorstoß, nur auf Bundestagsebene zu verhandeln und Tricksereien mit den Ländern zu verhindern, bringt Schröder in die Nähe einer Koalitionskrise. Die Grünen werden es nicht akzeptieren können, daß das Ziel einer Begrenzung der Zuwanderung in das Gesetz kommt, wie die Union es verlangt. Da Stoiber die Unionspolitiker hinter seiner Position vereinigen konnte, scheint es derzeit unmöglich, aus der Phalanx einen Akteur, etwa den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm, herauszukaufen,

Auch wenn dieses Thema nicht zieht, Schröder hat noch nicht aufgegeben. Der Niedersachse ist von Natur her ein Zocker. Er hat jetzt monatelang ein schlechtes Blatt auf die Hand bekommen, nachdem es durchaus gute Spiele gab: Die Rettungsaktion für den Baukonzern Holzmann rettete in Wirklichkeit Schröder, und die Erfindung der „Green Card“ hat die Öffentlichkeit auch monatelang beschäftigt. Von dem Niedergang des Kirch-Imperiums hat Schröder bereits hinter den Kulissen zu profitieren versucht: Wenn der Zwei-Milliarden-Euro-Kredit der Bayerischen Landesbank an den Medienzaren geplatzt wäre, hätte Stoiber eine ernsthafte Krise in Bayern. Dies Szenario scheint nach den Zusagen anderer Banken an Kirch unwahrscheinlich, so daß sich Schröder auch nicht als „Retter der Bundesliga“ wird aufspielen können, falls Kirch die Zahlungen für die TV-Rechte an die Erstligaclubs hätte einstellen müssen.

Doch Zocker bleibt Zocker. So wartet Schröder auf ein gutes Blatt. Der Trumpf, den Waggonbaubetrieb Ammendorf zu retten, stach nicht. Die Firma war zu klein. Aber eine Idee wie die Green Card, eine erfolgreiche Rettungsaktion - und Schröder wäre wieder vorne. Stoiber hätte, obwohl alle Argumente für ihn sprechen, die Wahl verloren.


 
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