© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Das aggressivste Spionagenetz der Welt
Globalisierung: Die mächtige US-Pharmaindustrie setzt die slowenische Konkurrenz unter politischen Druck
Carl Gustaf Ströhm

Zwischen Slowenien - einem der kleinsten EU- und Nato-Kandidaten - und den USA braut sich ein Konflikt zusammen, bei dem es um viel Geld und um wirtschaftliche Macht geht. Bereits in der kommunistischen Ära bis 1991 haben die Slowenen mit viel Geschick eine eigene pharmazeutische Industrie aufgebaut, die schon damals nicht nur die übrigen Republiken Tito-Jugoslawiens, sondern auch große Bereiche des ehemaligen Ostblocks einschließlich der Sowjetunion mit Medikamenten versorgte.

Im Vordergrund standen dabei zwei pharmazeutische Werke: „Krka“ in Rudolfswerth (Novo Mesto/Neustadt) und „Lek“ in Laibach (Ljubljana). Die slowenischen Pharmazeutik-Manager haben auch nach dem Systemwechsel und der Verselbständigung ihres Staates beträchtliche Marktpositionen bis nach Rußland behalten und sogar ausbauen können. Die Stärke von „Krka“ (benannt nach dem gleichnamigen Fluß) und „Lek“ (slowenisch „Medizin“) ist die Produktion von sogenannten analogen Medikamenten: Sobald es die rechtliche Situation erlaubt, „bauen“ die slowenischen Pharmazeuten verschiedene westliche Medikamente nach: angefangen von banalen Kopfschmerztabletten bis zu kompliziertesten Heilmitteln. Sie verändern und ergänzen sie, so daß die slowenischen Produkte nicht schlechter, dafür aber wesentlich preiswerter sind als entsprechende westliche Produkte. Damit ermöglichen sie Patienten aus den ehemaligen Ostblockstaaten, in den Genuß von Medikamenten und Therapien zu kommen, die sonst für postkommunistische Verhältnisse unbezahlbar wären.

Zugleich stellen „Krka“ und „Lek“ Eckpfeiler des relativen Wohlstandes dar, der heute in Slowenien vorherrscht. Das Land südlich der Karawanken kann sich von der Wirtschaftsleistung pro Kopf mit Griechenland und Portugal vergleichen. Die stetig steigende Kaufkraft des Landes liegt inzwischen bei 72 Prozent des EU-Schnitts und damit über jener Griechenlands.

Ausgerechnet hier aber betreten die mächtigen US-Pharma-Lobbyisten die Bühne: Wie die führende slowenische Tageszeitung Delo Anfang Februar berichtete, versuchen die Amerikaner mit ziemlich brutalen Mitteln (sowie unter Einsatz massiver Industriespionage), „Krka“ und „Lek“ unter US-Kontrolle zu bekommen. Als einen der Hauptakteure nennt das Laibacher Blatt (das man als „regierungsnah“ bezeichnen kann) den US-Pharmakonzern „Pfizer“, der jährlich ebensoviel Geld für Marketing ausgebe wie für Forschung: 4,4 Milliarden US-Dollar. Durch den im Juni 2000 erfolgten Zusammenschluß von Pfizer Inc. mit der Warner Lambert Company ist der Pfizer-Konzern der zur Zeit führende und am schnellsten wachsende Arzneimittelhersteller der Welt, das bekannteste Produkt ist das Potenzmittel „Viagra“. Pfizer erwirtschaftete im Jahr 2000 weltweit einen Umsatz von 29,6 Milliarden US-Dollar und beschäftigt derzeit etwa 85.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie arbeiten in mehr als 80 Ländern und nutzen mehr als 25 Sprachen. Produkte von Pfizer sind in 150 Ländern der Welt erhältlich.

Die US-Pharma-Lobby unterhalte international, so Delo, das „beste und aggressivste Spionagenetz der Welt“, auch und gerade in Slowenien. Bereits im Jahre 2000 habe diese Lobby, die im übrigen eng mit US-Behörden (nicht nur der Food and Drug Administration) kooperiere, Slowenien auf die Liste jener Länder gesetzt, die man „streng kontrollieren“ müsse, natürlich von Amerika aus.

Die US-Pharma-Lobby wirke auf die offiziellen US-Handelsvertretungen ein, die ihrerseits Slowenien auf eine amerikanische „watch list“ setzen könne. Unter starkem US-Druck hat das slowenische Parlament bereits ein Gesetz erlassen, welches der Produktion von analogen Medikamenten bestimmte Grenzen setzt. Das aber genügt Washington nicht, das bei dieser Aktion auch seinem Botschafter in Laibach vorschickte. Den US-Konkurrenten ist es ein Dorn im Auge, daß die slowenischen Pharma-Firmen speziell auf den perspektivisch immer interessanteren polnischen und russischen Märkten große Gewinne einfahren und sich dort sogar als Marktführer etablierten.

Der politische Druck, der von amerikanischer Seite auf Slowenien ausgeübt werde, lasse es - schreibt Delo - als möglich erscheinen, „daß die USA zum Schutz ihrer Interessen ihre dominante Positionn im Weltwirtschaftssystem einsetzen werden.“

Anders gesagt: die Amerikaner könnten gegen das „pharmazeutisch ungehorsame“ Slowenien mit Sanktionen vorgehen. Bereits im Vorjahr hat Washington verlangt, die slowenische Regierung solle „mit bürokratischen Verboten“ die Registrierung gewisser Medikamente verhindern, obwohl das Produkte beträfe, die nach slowenischen Gesetzen zugelassen sind. Der Delo-Artikel rügt die slowenische Regierung, die aus Angst vor der pharmazeutischen „watch list“ gegenüber den US-Forderungen zurückgewichen sei, statt sich ihnen entgegenzustellen.

Der amerikanisch-slowenische „Medikamentenkrieg“ hat aber noch eine besondere Pointe: In der slowenischen Zeitung meldete sich eine waschechte Amerikanerin zu Wort, welche die Washingtoner Vorgehensweise scharf kritisierte. Sie heißt Jean McCollister und stellte sich als US-Bürgerin vor, die in Slowenien lebe und deren Kinder slowenische Bürger seien.

Unter der Überschrift „Warum habt ihr Slowenen nicht den Mut, eure eigene Mannschaft zu unterstützen?“ erklärt die Amerikanerin, sie genieße in Slowenien eine Lebensqualität und eine Sicherheit, um die sie viele einfache Amerikaner beneideten. Deshalb störe es sie sehr, wenn sie mit ansehen müsse, wie die Führung dieses Staates Slowenien „Stück für Stück einige ihrer besten Spezialitäten“ verkaufe. Und das alles für ein paar Dankesworte und Schulterklopfen von „Leuten wie Jimmy Shea“ (den Nato-Sprecher während des Kosovo-Krieges).

Frau McCollins sagt dann - und Delo druckt es an prominenter Stelle -, daß „die USA alle Mittel ausnutzen, um andere Staaten zu zwingen, die Spielregeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu akzeptieren“. Das WTO-Abkommen über das sogenannte intellektuelle Eigentum sei, so wörtlich, „eine Demonstration für die politische und wirtschaftliche Gewalt, welche der amerikanische Staat immer häufiger anwendet.“ Amerika wende gegenüber dem „Esel“ Slowenien - so die streitbare Lady - die Taktik von „carrot and stick“ an. Die in Aussicht gestellte Nato-Aufnahme sei die Karotte - die „watch list“ hingegen der Stock, mit dem Amerika häufig winke, „um unfolgsame Staaten zu unterwerfen.“

Daß das kleine Slowenien mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern den Konflikt mit den Pharma-Riesen an die Öffentlichkeit bringt und sich dabei einer amerikanischen „Dissidentin“ als Kronzeugin bedient, zeigt, daß man sich in Laibach nicht mit Zuckerbrot und Peitsche abspeisen lassen will. Hier handelt es sich um eine tiefgreifende Interessenkollision, bei der der kleine slowenische David (der sich jüngst schon gegenüber der EU aufmüpfig zeigte - siehe JF 8/02) sich seiner Haut wehren will. Sollte die US-Pharma-Lobby Erfolg haben und „Krka“ und „Lek“ vom Markt zu drängen, wäre das ein schwerer ökonomischer und sozialer Rückschlag für Slowenien - aber zugleich, was noch schlimmer wäre, eine Verschlechterung (vielleicht sogar eine dramatische Situation) für unzählige Patienten im Osten, die sich zwar die „Krka“-Medikamente, nicht aber die teuren US-Produkte leisten können.


 
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