© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Aufstand der Struwwelpeter
Oper I: Richard Wagners Frühwerk „Liebesverbot“ im Münchner Staatstheater
Konrad Pfinke

Er selbst hielt das Werk für eine Jugendsünde, gut genug, es einem König „demüthig zu Füssen“ zu legen. Da sehen wir ihn auch schon daherfliegen auf einem Schwanenluftschiff: ihn, den König Ludwig II., dem der Komponist seine zweite Oper schenkte, hoffend, „daß Deine Gnade ihm Erlöser sei“.

Der Musiker ist natürlich kein anderer als Richard Wagner, und das Werk, das in einer Münchner Neuinszenierung eine seltene, außerordentlich bejubelte Aufführung erhielt, ist das wunderbare, kaum bekannte „Liebesverbot“. Zuletzt war es hier im Jahre 1983 zu sehen; nun erlebte es seine fulminante Auferstehung in einer Coproduktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit der Bayerischen Theaterakademie, pikanterweise in jenem Prinzregentheater, das im Jahre 1901 als Gegengründung zu den Bayreuther Festspielen eröffnet wurde.

Wagners „Jugendsünde“ muß gewiß nicht entschuldigt werden. Die ver- operte Version von Shakespeares „Maß für Maß“ hat derart starke musikalische Meriten, daß der Abend mit seinen Anklängen und Übersteigerungen der italienischen, französischen und deutschen Operntradition zu einem Hörgenuß gerät. Daß der originale Wagner sich bereits im Frühwerk ankündigt, ist Teil des szenischen Konzepts: Kein anderer als Wagner ist es, der in der Rolle des zum Tode verkleideten Claudio sich eine Oper erdichtet, und eine seltsame Sicht auf das Verhältnis zum späteren Schwiegerpapa verrät die Idee, den „Liebesantipoden“ Friedrich in der tollen Maske des Abbe Liszt erscheinen zu lassen. Sehr witzig auch die Idee, die Kerkerszene zwischen Claudio Wagner und seiner Schwester Isabella als Duett zwischen Speer und Schild, zwischen Siegfried und Brünnhilde anzudeuten.

Dahinter steckt aber noch mehr. Statt das Stück mit Aktualisierungen zu überfrachten, steigt man lustvoll ins bizarre Biedermeier ein: vom „Liebesverbot“ zur restriktiven Pädagogik eines Heinrich Hoffmann ist es nicht weit. Also bevölkern die Bühne (Christian Schmidt) all jene Gestalten, die der Autor des „Struwwelpeter“ seinerzeit zum Schrecken ganzer Generationen entworfen hatte. Wunderbar die tiefsinnige Ironie, mit der der Chor der Paulinchen und der bösen Friedriche die Revolte gegen den Zappelphilipp Friedrich probt, durchaus nicht unpassend der Wilhelm mit dem Reif alias Luzio, dessen unangepaßte Frechheit zur Lösung des Konflikts ja wesentliches beiträgt. Wenn schließlich die Herren als Damen auftreten, triumphiert die verkehrte Welt: zum Segen eines Wüterichs, dessen viereckig konstruierte Spanholzwelt Stück für Stück zerstört wurde.

So spielt Claus Guth mit den Theaterkonventionen, läßt seine Figuren, die nur im Falle Isabellas und Friedrichs zu Individuen werden, in einer betörend blöden, überdeutlichen Operngestik agieren. Wenn Janice Dixon als Klosterfrau Sister Isabella die black power zu den passenden Operettenrhythmen Richard Wagners markiert, wenn die Großbuchstaben des „Verbots“ ins Tanzen geraten und der Chor hervorragend über die Bühne geführt wird, wenn der Tyrann buchstäblich in Liebesflammen aufgeht, sieht man einen Meister am Werk, der auch für die Gefühlsverwirrungen und Chorstrecken des Bayreuther „Holländer“ Größeres erwarten läßt. Kommen hinzu die Sänger, die sich mit Verve in die schwierigen Partien werfen: allen voran Janice Dixon, deren Sopran dem ausgefuchsten, mit Koloraturen gesättigten Part ebenso gewachsen ist wie der darstellerischen Ironie. Scott Mac Allisters Luzio und Cornelia Horaks Ballettratte Dorella bestechen durch Prägnanz und Expression. Sie ragen aus einem guten Ensemble heraus, das vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatzes unter der Leitung von David Stahl eloquent und energisch gestützt wird. Wie gesagt: auch ein Hörgenuß. 


 
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