© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Auf der Suche nach dem solaren Paradies
Energiewende: Eine Fachtagung in Berlin widmete sich der Atomkraft und den erneuerbaren Energien
Alexander Barti 

Das Vorhaben klingt verrückt: Trotz eines stetig steigenden Energiehungers der Gesellschaft sollen bisherige maßgebliche Energiequellen durch andere ersetzt werden. Wie das funktionieren soll und was die Probleme bei dieser Entwicklung sind, diskutierte man am 15. und 16. Februar 2002 auf einer hochkarätig besetzten Fachtagung des Bundesumweltministeriums - „Energiewende , Atomausstieg und Klimaschutz“- in Berlin. Der Name der Tagung signalisierte deutlich, daß die Bundesregierung mit ihrer Energiepolitik mehrere Ziele verfolgt: Einmal soll der sogenannte „Atomausstieg“ dauerhaft verwirklicht werden, zum anderen möchte man den Klima-Umschwung, der vermutlich durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen (Öl, Gas, Stein- und Braunkole, Holz) entsteht, verhindern. Gleichzeitig soll auch der steigende Energiebedarf abgedeckt werden. Als Nebeneffekt erwartet die Regierung durch das „Solarzeitalter“ einen technischen Innovationsschub und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Die Zeit der Atomkraft scheint vorbei zu sein

Bei diesen ehrgeizigen Zielen ist es nicht verwunderlich, daß Martin Jänicke von der „Forschungsstelle für Umweltpolitik“ der Freien Universität Berlin von einem „ungewöhnlich anspruchsvollen Experiment der Umwelt- und Energiepolitik“ sprach, „für das es keinen Präzedenzfall“ gäbe. Aber auch ohne Energiewende sei die Ära der Atomkraftwerke (AKW) abgelaufen: Die Wettbewerbsfähigkeit der nuklearen Kilowattstunde (kWh) sei „deutlich geringer als angenommen“, wie man bei der gescheiterten Privatisierung der britischen AKW festellen mußte; die Endlagerung des Strahlenmülls sei weiterhin unklar und riskant und letzlich bestünden „Akzeptanzprobleme“ in der Bevölkerung, die nach dem 11. September einen neuen Schub bekommen hätten. John L. Jurewitz von der Southern California Edison Company konnte das Ende des Atomzeitalters bestätigen, weil, wie er in seinem Referat über die „U.S. Nuclear Power Industry“ feststellte, seit 1980 kein neues Atomkraftwerk in den USA bestellt worden sei.

Erwartungsgemäß lobte Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) die Politik von Rot-Grün; der Atomkonsens - der zur Folge haben wird, daß noch einmal soviel Atommüll entsteht, wie seit der zivilen Nutzung der Atomkraft - sei der „Ausstieg“ aus der gefährlichen und unkalkulierbaren Technologie. Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), das den aus Solaranlagen gewonnenen Strom durch eine gesetzlich gesicherte Vergütung „subventioniert“, habe - verbunden mit dem 100.000 Dächer Programm - den Markt für Solartechnologie nachhaltig stimuliert.

Mit erfrischendem Spott konterkarierte der Vorstandsvorsitzende von Eon Energie, Hans-Dieter Harig, die Lobrede des Ministers und erntete dafür aus dem bürgerbewegten Publikum manchen Protestruf. Harig äußerte sein Unverständnis darüber, daß man aus einer „beherrschbaren Technologie“ in einem nationalen Alleingang aussteige, obwohl der Atomstrom nicht nur ohne Kohlendioxid erzeugt werde - das Klima also schone -, sondern durch den wachsenden Energiehunger Deutschlands Atomstrom importiert werden müsse; zum Bespiel aus osteuropäischen Reaktoren, die bei weitem nicht deutschen Sicherheitsstandards entsprächen. Gleichwohl sträube sich Eon nicht, die Chancen der erneuerbaren Energien zu nutzen, denn „auf einem hochgradig subventionierten Markt“ ließe sich trefflich Geld verdienen; das sei eine Chance, die sich kein Unternehmer entgehen lasse. So sei Eon zum Beispiel an dem Projekt eines großen Off-Shore-Windparks westlich von Sylt beteiligt. Nicht einzusehen war für den Unternehmer, wieso die „Energiewende“ als effizienter gepriesen werde, wo doch für die gleiche Strom-Menge Tausende von Menschen zusätzlich arbeiten müßten; dies sei, so Harig, eine schlimmere Subventionspolitik als im deutschen Bergbau. Im übrigen ließ der „Atom-Boss“ durchblicken, daß der „Ausstieg“ aus der Atomkraft noch längst nicht beschlossene Sache sei, denn bekanntlich werde im September gewählt; und Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) habe schon signalisiert, daß er den „Ausstieg“ rückgängig machen wolle.

Erneuerbare Energien sollen Arbeitsplätze schaffen

In ein ganz anderes Horn blies der Vertreter der Gewerkschaft Verdi, Erhard Ott, der für seinen erkrankten Vorsitzenden Frank Bsirske ans Rednerpult trat. Pflichtgemäß beklagte er den Abbau von „einem Viertel der Arbeitsplätze in der Strom- und Gaswirtschaft“ in den vergangenen zehn Jahren. So könne es nicht weitergehen; gleichwohl habe Rot-Grün den richtigen Weg eingeschlagen: durch den Rückbau von AKW, durch die Errichtung von „Ersatzkapazitäten auf Kohle- oder Erdgasbasis“, durch die Ansiedlung von „Energiedienstleistungsprodukten“ und den „Aufbau neuer Dienstleistungen im Bereich Energie-Consulting, Contracting, FacilityManagement und Kundenservice“ könnte der „Energiestandort Deutschland“ gesichert werden. Immerhin kritisierte Verdi Wettbewerbsverzerrungen in der EU und die „Verschärfung der Liberalisierung“ auf dem europäischen Energiemarkt, die die „Zerschlagung der integrierten Energieunternehmen“ zur Folge haben werde; vorhandene Arbeitsplätze seien dadurch akut gefährdet.

Frau Angelika Zahrnt, Vorsitzende des BUND, erläuterte in einem sehr leidenschaftlich gehaltenen Vortrag, warum der Atomausstieg „sofort“ geschehen müsse. Dabei ließ sie kaum ein gutes Haar an dem rot-grünen Atomkonsens, der nicht ein Konsens mit der Bevölkerung, sondern mit der Atomindustrie gewesen sei, mit der gleichen Logik könne man mit der „Fleischerinnung über die Einführung einer vegetarischen Ernährung“ verhandeln. Zu Recht wies Zahrnt darauf hin, daß es noch ein enormes Einsparpotential bei der Stromnutzung gebe. Zum Beispiel müßten für den unnötigen Stand-by-Betrieb von elektrischen Geräten „zwei bis drei Großkraftwerke Tag und Nacht laufen“, ebenso verschleuderten ungeregelte und überdimensionierte Heizungspumpen nochmal acht Milliarden kWh; das sind - zum Vergleich - 50 Prozent der Energie, die die Deutsche Bahn jährlich verbraucht. Für die BUND-Vorsitzende sind also nicht so sehr „neue Kraftwerke“ die Lösung des Problems, sondern effizientere Techniken und vor allem eine andere Lebenshaltung. Außerdem wies Frau Zahrnt darauf hin, daß nach dem 11. September durch die reale Terrorgefahr das Risiko der Atomkraft weiter gestiegen sei. Der BUND fordere „deshalb eine erneute Novelle des Atomgesetzes mit dem Ziel des sofortigen Ausstiegs aus der Atomenergie“.

Auch Eberhard Jochem, tätig am Frauenhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Karlsruhe) und dem Centre for Energy Policy and Economics (Zürich) plädierte für die „Entwicklung weiser Lebensstile“. Der Klimawandel sei keine Katastrophen-Vision, sondern eine „Innovationsschraube“, die sich nicht nur auf den technischen Bereich beziehe. Jochem hält es für vorstellbar, daß sich langfristig „eine fast vollständige Kreislaufwirtschaft, die sich ausschließlich der erneuerbaren Energien für allfällige Energieverluste bedient“, etabliert. Daß Amerika unter ihrem „Öl-Präsidenten“ Bush die Solartechniken nicht stärker forciere, sei für Deutschalnd eine großartige Chance, um auf diesem Wachstumsmarkt seine Stellung auszubauen.

Bemerkenswert war auch der Beitrag von Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Insitut für Wirtschaftsforschung (DIW), der „drei zentrale Strategieansätze“ für eine „Nachhaltigkeitsstrategie im Energiebereich“ präsentierte: Durch Effizienz, das heißt durch „Ressourcenproduktivität“ und „rationellere Energienutzung“, könne der Rohstoffverbrauch vermindert werden; Konsistenz meint die „weitgehende Einpassung in die Naturkreisläufe“, wodurch nichterneuerbare Rohstoffe geschont und Umweltbelastungen vermieden werden. Als dritten Strategieansatz brachte Ziesing den Begriff der Suffizienz ins Spiel; damit meinte er - ähnlich wie Jochem und Zahrnt - die „Vermeidung von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen durch geändertes Verhalten, Veränderung der Konsumgewohnheiten und des Anspruchsniveaus“. Da die Suffizienz wohl am unberechenbarsten sei, müsse vor allem die Effizienz gesteigert werden.

Felix Christian Matthes vom Öko-Insitut Berlin widmete sich folgerichtig ausschließlich dem Thema der „Energieeffizienz“. Für ihn spielt der Gebäudesektor eine ganz entscheidende Rolle bei der Energiewende: „Die strategische Bedeutung dieses Sektors ergibt sich neben dieser Tatsache vor allem aus der Langlebigkeit des Gebäudebestandes. Die Qualität der heute errichteten Gebäude wird deren Energieverbrauch für einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren maßgeblich prägen.“ Daher sei die „energetische Qualität“ der Neubauten dringend zu verbessern; Passivhäuser müßten allgemeiner Standard werden.

Das energetische Potential muß verbessert werden

95 Prozent des gesamten Heizenergieverbrauchs fallen auf die vor 1984 errichteten Gebäude, die rund 80 Prozent aller Wohnflächen ausmachen. Nur rund ein Prozent der Gebäude werden jährlich energiesparend optimiert; dabei wird aber, so Matthes, weniger als die Hälfte des technisch machbaren und wirtschaftlich sinnvollen Potentials ausgeschöpft. Ohne weitreichende politische Maßnahmen, die eine Verbesserung der energetischen Standards bei Sanierungen und Reparaturen ermöglichen, werde sich die problematische Lage im Gebäudesektor nicht ändern; dadurch blieben aber die „Emissionsminderungspotentiale für die Dauer der Sanierungszyklen von 30 bis 40 Jahren“ unerschlossen.

In seinen weiteren Ausführungen kam Matthes auf die Notwendigkeit zu sprechen, „soziale Innovationen“ zu fördern, die zu einem „Energiedienstleistungsmarkt“ führen; diese Dienstleistung wäre ein „auf die Erschließung von Energieeffizienzpotentialen fokussierter Wirtschaftszweig“. Zwar habe es diesbezüglich interessante Ansätze, zum Beispiel das „Energiesparcontracting“, gegeben, aber deren Weiterführung und Ausweitung stünde „vor einer Vielzahl von administrativen und rechtlichen Hemmnissen sowie erheblichen Informations- und Transaktionsproblemen“. Eine stetige Weiterentwicklung des Energiedienstleistungsmarktes sei daher unerläßlich.

Zwar theoretisch, aber doch mit praktischem Bezug referierte Joachim Nitsch, Ingenieur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Stuttgart) ein „Orientierungsszenario“ bis 2050. Dabei unterschied er mehrere Phasen: Bis 2010 steige die Gesellschaft „energiepolitisch gestützt“ in die Ära der erneuerbaren Energien (EE) ein; 2010 bis 2020 stabilisiere sich das Wachstum und in der dann folgenden Dekade seien die nachhaltigen Energietechniken „vollwertig etabliert“; ab 2030 beginne die „Dominanz der EE in der Energieversorgung“. Etwas zu optimistisch vermutet Nitsch, daß im Jahre 2050 rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs duch EE gedeckt sein wird; „die technischen Potentiale erlauben nach 2050 einen weiteren Ausbau bis zu einer hundertprozentigen Deckung des Energiebedarfs durch EE“.

Wie die Zukunft tatsächlich verlaufen wird, konnte letztlich natürlich nicht geklärt werden, aber daß eine autarke und dezentrale Energieversorgung der Schlüssel zu einem freien Europa sein wird, steht außer Frage.


 
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