© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Kolumne
Leere der Mitte
Klaus Hornung

Aus dienstlichem Anlaß hatte ich in diesen Tagen wieder Gelegenheit, den Berliner Schloßplatz am östlichen Ende der „Linden“ zu überqueren. Der Eindruck ist noch immer niederschmetternd. Trotz der patriotischen Bürgerinitiative Wilhelm von Boddiens für den Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses hat sich hier auch im zwölften Jahr der deutschen Einheit nichts bewegt - außer einem Teilabriß des „Palazzo Prozzo“ Erich Honeckers.

Immer wenn ich über den leeren Schloßplatz gehe, kommen mir die Polen in den Sinn, die sogleich nach dem Krieg trotz Kommunismus und Armut ihre in Trümmern liegende Hauptstadt und auch das Königsschloß nach historischem Vorbild wiederaufbauten und dabei die herrlichen Vedouten Canalettos benützten. Auch in Deutschland gibt es eine nicht geringe Zahl solcher architektur-historischer „Zitate“, man denke nur an den Römer und die Paulskirche in Frankfurt, an das Stuttgarter Alte und Neue Schloß, an die Semperoper in Dresden oder die wieder so prachtvolle Würzburger Residenz. In Berlin warnen geschichtsvergessene „Baumeister“ immer häufiger vor „Rückwärtsgewandtheit“ - als ob die heutige Stahl-, Beton- und Glasarchitektur vom Potsdamer Platz bis zum Kanzleramt, stilistisch zwischen New York und Abu Dabi angesiedelt, der ästhetische Höhepunkt der Geschichte wäre.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Das heutige futuristische Geschlecht der Architekten fürchtet das Plebiszit des Vergleichs seiner Produktionen mit den großen Bauzeugen der Geschichte. Und die heutige Leere des Berliner Schloßplatzes „zitiert“ nur das Ausmaß des Geschichtsnihilismus, mit dem wir es in manchen Quartieren unserer sogenannten Kulturprominenz zu tun haben. Nachdem auch die Expertenkommission „Historische Mitte Berlins“ sich wider Erwarten mehrheitlich für den Wiederaufbau des Schlosses und seiner Nutzung analog zum Pariser Louvre als „Humboldt-Forum“ ausgesprochen hat, ist es Zeit, die Schande des leeren Schloßplatzes in der deutschen Hauptstadt so rasch wie möglich zu beseitigen. Der bewußte Kontrapunkt von Postmoderne und Historie, von Potsdamer Platz und wiederaufgebautem Schloß erscheint städtebaulich als die wohl beste Lösung. Und sollte sich die aktuelle Politik des Schlosses schämen, so ist sie doch mit Reichstag und Kanzleramt weit genug vom Ort der „Scham“ entfernt.

Wie sagte Edmund Burke vor 200 Jahren? Das politische Gemeinwesen ist eine Gemeinschaft der Lebenden, der Toten und der Kommenden. Bei diesen steht dann letztlich auch das Urteil.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.


 
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