© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Wir brauchen keine Befehle aus New York
Schweiz: Neue Volksabstimmung über Uno-Beitritt / UN-Gegner sehen eidgenössische Neutralität in Gefahr / Mitte-Links-Parteien und Wirtschaft für Mitgliedschaft
Ulrich Schlüer

Im Jahre 1981, als sich der Bundesrat bereits einmal mit dem Uno-Beitritt der Schweiz befaßte, kam er zu einer klaren Schlußfolgerung: „Die militärischen Maßnahmen, die der Sicherheitsrat nach Artikel 42 (der Uno-Charta) anordnen kann, (...) kommen für einen neutralen Staat schon allein deswegen nicht in Betracht, weil sie mit dem Neutralitätsrecht im Widerspruch stünden.“

Seither sind zwanzig Jahre verflossen. Deshalb betrachten einige diese Aussage als veraltet - obwohl an der Uno-Charta, zu der sich der Bundesrat damals äußerte, nichts geändert worden ist. Auch 1993, in seinem „Bericht zur Neutralität“ äußerte sich der Bundesrat zum Verhältnis Neutralität und Uno-Mitgliedschaft: „Die Uno-Charta spricht nirgends von Neutralität, weil es in einem stets funktionierenden System der kollektiven Sicherheit für die klassische Neutralitätskonzeption dem Grundsatz nach keinen Platz mehr gibt.“

Noch einmal: Die Uno-Charta ist weder nach 1981 noch nach 1993 geändert worden. Ihr Wortlaut, ihr Gehalt und ihre rechtliche Verbindlichkeit sind unverändert. Bei der Frage „Uno-Beitritt: Ja oder Nein?“ geht es nicht um den Kampf gegen Hunger und Armut, es geht nicht um Umweltmaßnahmen, es geht weder um Trinkwasserschutz noch um Walfangverbot. Es geht um einen Vertrag, in dem die Schweiz sich der Uno-Charta unterstellt - ohne jeden Vorbehalt unterstellt.

Welche Pflichten verlangt denn die Uno-Charta von allen Uno-Mitgliedern? Gemäß Uno-Charta verpflichtet sich jedes Uno-Mitglied insbesondere, alle Beschlüsse des Uno-Sicherheitsrats - wo den fünf Großmächten USA, Rußland, China, Frankreich und England ein Sonderrecht in Form eines Vetorechts eingeräumt ist - vorbehaltlos anzunehmen und durchzuführen. So steht es in Artikel 25 der Uno-Charta, der folgenden Wortlaut hat: „Die Mitglieder der Vereinten Nationen kommen überein, die Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen.“ Der Uno-Sicherheitsrat - nicht die Uno-Vollversammlung - hat also in der Uno das letzte, entscheidende Wort. Jenes Gremium, wo den Großmächten mit dem Veto Sonderrecht garantiert ist.

Das bedeutet, daß jedes Uno-Mitglied vorbehaltlos anerkennt, daß allein der Uno-Sicherheitsrat - nicht die Uno-Generalversammlung - für Maßnahmen zur Gewährleistung oder zur Wiederherstellung des Weltfriedens zuständig ist. So ist es festgeschrieben in Artikel 39 der Uno-Charta: „Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.“

Allein der Uno-Sicherheitsrat bestimmt auch die Maßnahmen, welche zu treffen sind, wenn ein Land nach Meinung des Sicherheitsrats vom Pfad des Friedens abweicht. Aber sämtliche Uno-Mitglieder der ganzen Welt sind uneingeschränkt verpflichtet, die vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen auch auszuführen. So fordert es Artikel 41 der Uno-Charta: „Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen - unter Ausschluß von Waffengewalt - zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraph- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.“

Gemäß diesem Artikel 41 der Uno-Charta kann der Uno-Sicherheitsrat also für alle Uno-Mitglieder verbindliche Boykott-Maßnahmen gegen unbotmäßige Staaten und Regierungen erlassen. Die Anwendung von Waffengewalt ist zwar zunächst ausgeschlossen, aber die obligatorischen Maßnahmen sind zumindest kriegsverwandt. Eigenständiges Vorgehen ist den Uno-Mitgliedern bei Sanktionen nicht erlaubt. Was der Sicherheitsrat anordnet, ist für alle Uno-Mitglieder obligatorisch.

Allein der Uno-Sicherheitsrat ist sodann berechtigt, den Erfolg der erlassenen, vorerst nichtkriegerischen Boykott-Maßnahmen zu beurteilen. Erachtet der Sicherheitsrat deren Wirkung als ungenügend, so kann er allein die Ergreifung weiterer Maßnahmen beschließen. Dabei besitzt er gemäß Artikel 42 der Uno-Charta ausdrücklich das Recht, die Uno-Mitgliedstaaten zu verpflichten, Streitkräfte zu stellen, die auch für „andere Operationen“ als bloß für Blockaden und Sperren eingesetzt werden dürfen. Die, im Klartext, also auch kriegerische Operationen durchzuführen haben - den Anordnungen des Uno-Sicherheitsrats folgend. Dieser Artikel 42 der Uno-Charta lautet wie folgt: „Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, Seeoder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.“

Artikel 43 der Uno-Charta hält dazu ausdrücklich fest, daß sämtliche Mitglieder der Uno ohne jede Ausnahme verpflichtet sind, die vom Uno-Sicherheitsrat beschlossenen und den einzelnen Mitgliedländern zugeteilten Streitkräfte-Aufgebote auch zu erlassen.

Diese durch die Uno-Charta schwarz auf weiß festgeschriebene Kompetenz-Ordnung wollen die Befürworter eines Uno-Beitritts der Schweiz nicht wahrhaben. Sie verweisen darauf, daß es eines speziellen Zusatzvertrages bedürfe, wenn der Uno-Sicherheitsrat ein Uno-Mitglied zur Stellung von Streitkräften verpflichten wolle. Wie verhält es sich mit diesem Einsatzvertrag? Darüber gibt Artikel 43 der Uno-Charta zweifelsfrei Auskunft:

„1. Alle Mitglieder der Uno verpflichten sich, zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dadurch beizutragen, daß sie nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen dem Sicherheitsrat auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen, Beistand leisten und Erleichterungen einschließlich des Durchmarschrechts gewähren, soweit dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist.

2. Diese Abkommen haben die Zahl und Art der Streitkräfte, ihren Bereitschaftsgrad, ihren allgemeinen Standort sowie die Art der Erleichterungen und des Beistands vorzusehen.

3. Die Abkommen werden auf Veranlassung des Sicherheitsrats so bald wie möglich im Verhandlungswege ausgearbeitet. Sie werden zwischen dem Sicherheitsrat einerseits und Einzelmitgliedern oder Mitgliedergruppen andererseits geschlossen und von den Unterzeichnerstaaten nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert.“ Damit ist klar: Beschließt der Sicherheitsrat Sanktionen, so können diese schrittweise bis zu eigentlichen Kriegshandlungen ausgebaut werden. Der Sondervertrag, den jedes vom Sicherheitsrat zum Mitmachen bei Sanktionen aufgebotene Land mit dem Sicherheitsrat abzuschließen hat, regelt allein Verfahrensfragen des Truppenaufgebots und des Truppeneinsatzes. Die Grundfrage, ob sich der aufgebotene Mitgliedstaat an einer bestimmten Uno-Sanktion überhaupt beteiligen will oder nicht, kann nicht mehr gestellt werden.

Wer noch immer nicht glaubt, daß die mit dem Uno-Beitritt eingegangenen Verpflichtungen allen anderen vom Uno-Mitglied getroffenen Abmachungen vorgeht, sei noch auf Artikel 103 der Uno-Charta verwiesen, der wie folgt lautet: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“

Damit ist klar: Das Sanktionsrecht der Uno, überhaupt die Mitgliedschaft bei der Uno läßt Neutralität nicht zu. Der Bundesrat will dem daraus entstehenden Dilemma dadurch entgehen, daß er - im Falle eines Uno-Beitritts der Schweiz - eine „einseitige Erklärung“ abgeben will, in der die Schweiz beteuert, auch als Uno-Mitglied neutral bleiben zu wollen. Diese Erklärung wird die Uno zwar höflich anhören. Aber sie wird der Schweiz niemals einräumen, sich gewissen Verpflichtungen der Uno-Charta, insbesondere dem Uno-Sanktionenregime entziehen zu können. Womit die Neutralität der Schweiz der Vergangenheit angehören würde.

 

Ulrich Schlüer ist Nationalrat aus dem Kanton Zürich und Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Er gibt in Flaach bei Zürich die Wochenzeitung „Schweizerzeit“ heraus.


 
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