© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Kein Kniefall vor der EU
Bulgarien: Das Atomkraftwerk Kosloduj könnte ein zweiter Streitfall „Temelín“ werden / Besonnene Haltung Griechenlands
Gregor M. Manousakis

Temelín muß umgehend vom Netz“, forderte letzte Woche Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf - und schloß sich damit der Haltung Österreichs an, daß in einem Volksbegehren eine Stillegung des tschechischen Kernkraftwerks verlangt hat (JF 3/02). „Ich habe Zweifel an der Sicherheit der Anlage und halte es für unverantwortlich, daß das Kernkraftwerk nach der Pannenserie vom 7. Februar jetzt wieder angeschaltet wurde“, so der CSU-Politiker. Das Problem Temelín bleibt so weiterhin in der Diskussion - auch in den EU-Beitrittsverhandlungen.

Doch auch Bulgarien hat sein Temelín: Das etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Sofia gelegene Atomkraftwerk Kosloduj könnte einen EU-Beitritt in Frage stellen. Daher versprach der bulgarische Ministerpräsident Simeon Saxkoburggotski im Januar seinem griechischen Amtskollegen Kostas Simitis, die Reaktorblöcke 3 und 4 von Kosloduj bis 2006 abzuschalten. Schon im Dezember 1999 vereinbarte Bulgarien mit der EU, die beiden ältesten Reaktoren bis 31. Dezember 2002 zu schließen.

Und die Zeit drängt: Ab 1. Januar 2003 wird Athen die EU-Präsidentschaft für sechs Monate übernehmen. Eines der Hauptziele ist die Förderung der Integration Bulgariens und Rumäniens in Nato und EU. Um dies vorzubereiten, hat Ministerpräsident Simitis im Januar Bukarest und Sofia besucht.

In beiden ehemals kommunistischen Ländern ist die Wirtschaftslage desolat, was einen EU-Beitritt in immer weitere Ferne verschiebt. Doch beide Länder würden lieber heute als morgen beitreten. Schwierig ist auch die Lage des benachbarten Griechenlands, daß seit dem Jugoslawien-Krieg verkehrstechnisch - und damit auch wirtschaftlich - von der EU weitgehend isoliert ist. So muß Athen einerseits die EU-Atompolitik vertreten, andererseits darf in Sofia nicht der Eindruck entstehen, man setzte sich nicht mit genügendem Nachdruck für ihre Interessen in Brüssel ein.

Doch auch ohne den Streitfall Kosloduj ist das Verhältnis Sofia-Athen schwierig genug. In der bulgarischen Koalitionsregierung von Ex-König Simeon II. spielt die Partei der bulgarischen Türken, die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), eine überproportional wichtige Rolle, weil sie die Unterstützung Ankaras genießt. Im Gegenzug strebt die DPS eine Wiederannäherung Bulgariens an die Türkei an - das Land war bis 1878 Teil des Osmanischen Reiches. So gibt es in Sofia viele Ungereimtheiten bei Investitionen griechischer Unternehmen in Bulgarien, wie auch mit dem Privatisierungsprogramm des Landes. Die „türkenfreundliche“ Haltung wirkt sich negativ auf den Zufluß von griechischem Kapital im Rahmen des Privatisierungsprogramms aus.

Trotzdem versucht Athen, den Nachbarn weiterhin zu helfen. Simitis kündigte am 22. Januar in Sofia an, daß Griechenland bis 2006 Wirtschaftshilfe in Höhe von 550 Millionen Euro an die südosteuropäischen Staaten gewähren will. Die Gelder sollen direkt an die betreffenden Regierungen, aber auch an private und staatliche Unternehmen, an karitative Institutionen und an Nicht-Regierungs-Organisationen fließen. Teil dieser wirtschaftlichen und politischen Misere ist auch das AKW Kosloduj. Ein gut gehütetes Geheimnis der griechischen Regierung sind immer noch die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl in Nordgriechenland. Ärzte in der Region sprechen von einer Steigerung der Krebserkrankungen um 30 Prozent. Vier der sechs Atommeiler von Kosloduj sind älterer sowjetischer Bauart und nicht mehr betriebssicher. Seit Mitte der neunziger Jahre verlangt daher die EU ihre Schließung, was auch in der „Agenda 2000“ vorgesehen ist.

Bulgarien hatte zunächst eingewilligt, die Atommeiler 1 und 2 bis spätestens 2005, die Meiler 3 und 4 bis 2012 zu schließen. Simeons Ankündigung, die Reaktoren bis 2006 abzuschalten, löste einen Sturm der Entrüstung in seinem Lande aus. Die oppositionellen Sozialisten und die bürgerliche „Union Demokratischer Kräfte“ warfen dem Ex-Monarchen vor, Bulgarien schwer zu schaden. Er werde mit seinem „Kosloduj-Kniefall“ vor der EU im Sofioter Parlament scheitern. Der neue sozialistische Staatspräsident, Georgi Parvanov, warnte davor, sich dem Druck der EU wegen Kosloduj zu beugen. Die Reaktoren 3 und 4 dürften 2006 auf keinen Fall geschlossen werden. Diesen Monat machte Premier Simeon nun einen Rückzieher: Er sei mißverstanden worden, feste Termine gebe es noch nicht. Experten Bulgariens und der EU sollten einen Kompromiß ausarbeiten.

Energieexperten sind in der Tat der Ansicht, daß Bulgarien auch mit 100 Millionen Euro von der EU nicht in der Lage sein werde, die ältesten vier Reaktoren bis 2006 abzuschalten. Die Wirtschaftskrise im Land würde sich verschärfen und auch die Nachbarländer betreffen. Bulgarien produzierte letztes Jahr insgesamt 43.900 Gigawattstunden Strom: Erzeugt fast zur Hälfte vom AKW Kosloduj, der Rest von sieben Kohlekraftwerken, zwei größeren und mehreren kleineren Wasserkraftanlagen sowie zwei Gaskraftwerken in Sofia.

Bulgarien exportierte 2001 etwa 7.000 Gigawattstunden Strom in die Balkanländer, weitere 4.000 Gigawattstunden gingen in die Türkei. Die gesamten bulgarischen Stromverkäufe brachten fast zwei Milliarden Euro ein. Premier Simeon versprach sogar - mittels 15 Milliarden Euro an Auslandsinvestoren - Bulgarien zum größten Stromversorger auf dem Balkan zu machen. Woher die Geldgeber kommen sollen, steht noch in den Sternen. Griechenland droht aber nicht - im Gegensatz zu Österreich - den EU-Beitritt Bulgariens wegen Kosloduj zu blockieren. Doch Kosloduj ist auch ein griechisches Problem.


 
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