© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Ein Schöngeist in der Politik
Christoph Stölzl, ehemaliger Kultursenator und Museumsleiter, will Berliner CDU-Vorsitzender werden
Thorsten Thaler

Der frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl will CDU-Landesvorsitzender werden. Es wäre eine der rasantesten Parteikarrieren, ist der 58jährge Stölzl doch erst seit einem Jahr Mitglied der Berliner Union. Was auf den ersten Blick wie ein Nachteil aussieht, könnte sich in dem von widerstreitenden Interessengruppen zerrissenen Landesverband als Vorzug erweisen. Er sei in der glücklichen Lage, bekannte Stölzl bei Gelegenheit in einem Zeitungsinterview, die geologischen Formationen in der Partei nur am Rande zu kennen. „Sie sind mir nach wie vor rätselhaft, weil es oft nicht um inhaltliche Positionen, sondern einzig um Posten geht.“

Das kann man dem promovierten Historiker und kunstsinnigen Intellektuellen sicher nicht nachsagen. 1944 in Westheim bei Augsburg geboren, studierte er Geschichte, Literaturgeschichte und Soziologie in München und Saarbrücken. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bayerischen Nationalmuseums und der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Ab 1980 leitete er das Stadtmuseum in München, von 1987 bis 1999 war er Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Nachdem sich seine Hoffnung, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu werden, nicht erfüllte, wechselte Stölzl überraschend das Fach. Im Dezember 1999 wurde der Enkel des Theaterkritikers und Gründers des Kabaretts „Die elf Scharfrichter“, Hanns von Gumppenberg (1866-1928), Feuilletonchef und stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt. Es war eine Liaison von kurzer Dauer, nur vier Monate später wurde er auf dem CDU-Ticket zum Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur berufen. Der Sturz des Diepgen-Senats kostete ihn voriges Jahr zwar wieder das Amt, in der Politik aber blieb Stölzl.

Für die provinzielle Hauptstadt-CDU ist der Freigeist konservativen Zuschnitts anerkanntermaßen eine Bereicherung. Wo immer der Abgeordnete und Parlaments-Vizepräsident auftritt, brilliert er mit seinem rhetorischen Talent („Sie können mich anknipsen wie eine Lampe, und ich halte Ihnen zu jedem Thema eine halbstündige Rede“) und seiner geistigen Unabhängigkeit. Seine Wahl zum Landesvorsitzenden stünde der orientierungslos vor sich hindümpelnden Berliner CDU gut zu Gesicht. 


 
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