© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Anwalt der kleinen Leute
Literatur: Zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers und Nobelpreisträgers John Steinbeck
Werner Olles

Das Salinas Valley liegt in Nordkalifornien. Es ist eine lange, schmale Rinne zwischen zwei Gebirgszügen, und der Salinas-Fluß krümmt und windet sich da hindurch, bis er sich schließlich in die Bucht von Monterey ergießt. Ich erinnere mich, daß das Gabilan-Gebirge östlich des Tals aus hellen, fröhlichen Bergen bestand, die erfüllt waren von Sonne, Liebreiz und einer Lockung, so daß einen der Wusch ankam, in ihre warmen Vorberge hineinzuklettern, so wie ein Kind das Verlangen hat, auf den Schoß einer geliebten Mutter zu klettern.“

Bereits diese ersten Sätze von „Jenseits von Eden“ geben jenen beweglichen Rahmen zu erkennen, der John Steinbeck Spielraum für lyrische und gemütvolle Abschweifungen ließ, die sich nicht viele Autoren gestatten dürfen. An anderen Stellen dieses anspruchsvollsten seiner Werke gewinnt dagegen die Darstellung eine Knappheit und Schärfe, die nur einem ganz großen Realisten gegeben sind. 1953 erschienen, erzählt der figurenreiche Roman von drei Generationen mehrerer Familien. Grundproblem ist das des Bösen, das meist einem abgewiesenen Liebesbedürfnis entspringt. Diesem scheinbaren Zwang tritt jedoch der Gedanke der Entscheidungsmöglichkeit zwischen Gut und Böse entgegen. Meisterhaft beschreibt Steinbeck mit der Figur des jungen Caleb Trask die Fähigkeit des Einzelnen, sich von seinen dunklen Seiten zu distanzieren. Der vom Vater stets zurückgestoßene und verlorene Sohn, der aus Haß und Eifersucht seinen eigenen Bruder in den Tod schickt, findet in einem versöhnlichen Ende schließlich doch noch die Liebe seines Vaters.

„Jenseits von Eden“ wurde zu einem der meistgelesenen Bücher der frühen fünfziger Jahre. Selten zuvor war die Ohnmacht des sündigen Menschen und das Chaos menschlicher Leidenschaften und Verirrungen derart dramatisch und spannungsvoll thematisiert worden. 1955 wurde der Roman von Elia Kazan mit dem legendären James Dean in der Rolle des Cal kongenial verfilmt.

John Steinbeck wurde am 27. Februar im nordkalifornischen Salinas geboren. Der Vater war Kämmerer in der nahe gelegenen Kleinstadt Pacific Grove, die Mutter Lehrerin. Steinbeck studierte an der Stanford Universität Naturwissenschaften, besonders Meeresbiologie. 1925 übersiedelte er nach New York und arbeitete zunächst als Hilfsarbeiter, später als Reporter. Ende der zwanziger Jahre kehrte er nach Kalifornien zurück, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Zuerst blieb ihm jedoch der Erfolg versagt, so daß er sich mit den verschiedensten Berufen durchbringen mußte. Als Gelegenheitsarbeiter im fruchtbaren Salinas-Tal, der „Salatschüssel“ Amerikas, lernte er das Schicksal der modernen Wanderarbeiter und ihrer Familien kennen, deren bedrückendes Leben ihn später zu einigen seiner besten Werke inspirierte.

1929 erschien sein erster Roman, „Eine Handvoll Gold“. Nach der drei Jahre später entstandenen Sammlung von Erzählungen „Das Tal des Heimwehs“, einer romantischen Pastorale über verpfuschte Existenzen in einem friedlichen kalifornischen Tal, und dem ein Jahr darauf erschienenen Roman „Der fremde Gott“, in dem der Autor das Leben im Sinne von Zeugung, Geburt und Wachstum verherrlicht, lieferte ihm die Große Depression in den dreißiger Jahren den Stoff für seinen ersten großen Bucherfolg. „Die wunderlichen Schleme von Tortilla Flat“, 1935 erschienen, erzählt anschaulich und bewegend die Geschichte von Danny und seinen mexikanischen Freunden, die gleichsam als Ritter einer proletarischen Tafelrunde ihren Kampf mit den Geschicken des Lebens führen.

Steinbeck, von den Literaturkritikern inzwischen zur Primitivisten-Tradition von Schriftstellern wie D.H. Lawrence und Sherwood Anderson gezählt, durchquerte bei seiner Stoffsammlung die Vereinigten Staaten mit einem Klein-laster, den er nach Don Quichottes Pferd „Rocinante“ getauft hatte. Die Impressionen, die er dabei sammelte, schildert er 1936 in seinem Roman „Stürmische Ernte“. Es geht um einen Streik in den kalifornischen Apfelplantagen. Die streikenden Landarbeiter geraten in einen erbarmungslosen Machtkampf zwischen Plantagenbesitzern und Gewerkschaftsfunktionären, bei dem sie am Ende als Opfer auf der Strecke bleiben. Immer wieder ist das Schicksal der im harten Lebenskampf gescheiterten kleinen Leute Steinbecks wichtigstes Thema. So auch in dem kurzen Roman „Von Mäusen und Menschen“, der die Tragödie zweier einsamer Saisonarbeiter schildert.

1939 erscheint „Die Früchte des Zorns“. Wieder wird ein großes episches Thema adäquat erfaßt: Die Irrfahrt ruinierter Kleinlandwirte aus Oklahoma zum illusorischen Paradies Kalifornien und ihren zermürbenden Lebenskampf. Der Roman, der von der Literaturkritik hoch gelobt wurde und ihm kurz nach Erscheinen den Pulitzer-Preis einbrachte, ist eine der nachdrücklichsten Anklagen gegen eine Gesellschaft der anonymen Geld- und Ordnungsmächte, die den Unterprivilegierten keine Chance gibt, sondern sie ihrer sozialen Ausweglosigkeit überläßt. Doch bereits in seinen Anfangskapiteln läßt Steinbeck den zähen Willen zum Überleben, die Ausdauer der einfachen Menschen spürbar werden, in deren Herzen „die Früchte des Zorns wachsen und schwer werden, schwer und reif zur Ernte“. Die letzten Zeilen von „Früchte des Zorns“, wenn Rose, deren Kind gerade tot geboren wurde, einer Pieta gleich, dem verhungernden Wanderarbeiter ihre Brust reicht, gehören zum Bewegendsten, was die amerikanische Literatur jener Jahre hervorgebracht hat.

Weitere Werke von ihm - „Die Straße der Ölsardinen“, „Autobus auf Seitenwegen“, „Wonniger Donnerstag“, auch die Satire „Laßt uns König spielen“ und „Meine Reise mit Charlie“ (seinem Pudel) - knüpften nicht an die früheren Erfolge an. Als letztes Werk erschien 1966 - bereits stark patriotisch gefärbt - „Amerika und die Amerikaner“. Unter dem Eindruck des Vietnamkrieges und der weltweiten Proteste gegen die Intervention der USA wandelte sich der Schriftsteller zu einem glühenden Nationalisten. Steinbeck distanzierte sich scharf von den demonstrierenden Studenten und bezeichnete deren Happenings als „lächerlich“.

Die linken Intellektuellen, die ihm - der sich selber nie als Linker verstanden hatte - bis dahin zu Füßen gelegen hatten, wandten sich nun von ihm ab. Hatte Steinbeck schon für die Hippies, die durch sein geliebtes Salinas zogen, nur wenig Verständnis, so erschien ihm die destruktive Gewalt, die auf die Zerstörung der Ordnung, der Moral, der Familie und des Staates hinauslief und die sozialen Bindungen durch eine permissive, libertäre Ideologie ersetzen wollte, nur als Greuel. Zwischen den revoltierenden Wohlstandskindern der sechziger Jahre und dem Humanisten, der noch 1962 den Nobelpreis für Literatur bekommen hatte, konnte es keine Gemeinsamkeiten geben.

John Steinbeck starb am 22. Dezember 1968, zu einer Zeit, in der Ressentiment, Haß und Gewalt ihren Höhepunkt feierten, fern von seinem geliebten Salinas im kalten New York. Die lebensvolle Klassik und Tradition des amerikanischen Optimismus, die er von einem klaren humanistischen Standpunkt aus literarisch deutete, hat in ihm einen ihrer bedeutendsten und zugleich widersprüchlichsten Verkünder gefunden.


 
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