© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
„Napoleon, The Kaiser and Hitler“
Brüsseler Regelungswahn: Englische Kaufleute sind in die Mühlen der Justiz geraten, weil sie ihre Waren in Pfund gewogen haben
Catherine Owerman

Steve Thoburn, ein Obsthändler aus dem englischen Sunderland, hatte tadellose Bananen. Auch über die Makrelen von John Doves, den Rosenkohl von Julian Harmans oder die Früchte von Colin Hunt und Peter Collins hatte sich kein Kunde beschwert. Trotzdem gerieten die fünf Kaufleute in die Mühlen der Justiz. Wie ein Blitz traf sie vergangene Woche der Urteilsspruch des High Court: Bewährungsstrafen und zusätzlich Verfahrenskosten von rund 100.000 Pfund (etwa 160.000 Euro). Was hatten die Männer verbrochen? Thoburn war gefilmt worden, wie er ein Bund Bananen zum Preis von 34 Pence in britischen Pfund (453,6 Gramm) gewogen hatte. Doves, Harman, Hunt und Collins hatten ebenfalls die traditionellen Gewichte verwendet. Nun befanden die Gerichte, das Rechnen in Pfund verstoße gegen Europäisches Wettbewerbsrecht.

Schätzungsweise eine Million Pfund Sterling (etwa 1,6 Millionen Euro) kostete der kafkaeske Prozeß gegen die Händler. Mit Recht sind sie empört, denn ein von 1985 stammendes Gesetz des britischen Parlaments erlaubt die freie Wahl der Gewichtseinheiten, ob Pfund oder Kilo. Aber Europäisches Recht breche nationales Recht, entschied der High Court. Die rebellischen Händler, inzwischen als „Märtyrer des metrischen Systems“ zu einiger Berühmtheit gelangt, wollen weiter kämpfen. Mit finanzieller Unterstützung der Massenzeitung Sun und konservativer Organisationen tragen sie das Skandalurteil jetzt vor den EU-Gerichtshof für Menschenrechte.

Mit dem Ende der traditionellen Pfunde schlägt nach Meinung der Sun die letzte Stunde der britischen Demokratie. Eurokraten hätten das britische Erbe zertrampelt, was selbst „Napoleon, The Kaiser and Hitler“ nicht gelungen sei, tönte die Zeitung. Seriöse Zeitungen enthielten sich solcher Anspielungen, doch zeigten sie deutliches Befremden über das Urteil. Solange niemandem geschadet werde, solle der Staat sich in die Geschäfte freier Bürger nicht einmischen, forderte der Leitartikel im Daily Telegraph. Über dem Kommentar baumelte neben dem Motto „Ein freies Land“ ein Paar Handschellen. In der Tat zeigt der Fall der Gemüsehändler exemplarisch alle Fehler des Brüsseler Systems: zentralistische Regulierung der privaten Lebensbereiche, Kontrollwahn einer seelenlosen Bürokratie und völlige Ignoranz nationaler Traditionen und Eigenarten.


 
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