© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Der Moloch ohne entscheidendes Plebiszit
Roland Vaubel beklagt die demokratischen Defizite der EU-Institutionen
Josef Schüßlburner

Der Durchschnittsdeutsche ist wohl als ehemaliger Europa-Enthusiast einzustufen, den zunehmend Unbehagen überkommt, wenn von Europa die Rede ist. Diese Mißstimmung hat der an der Universität Mannheim über Wirtschaftspolitik und Internationale Organisationen lehrende Professor Roland Vaubel, der sich selbst einstiger Europabegeisterung bezichtigt, überzeugend in Worte gefaßt.

EU-Europa verletzt drei fundamentale Verfassungsprinzipien, nämlich Gewaltenteilung, Demokratie und Subsidiarität. Ein Staat, der so verfaßt wäre, könnte wohl nicht in die EU aufgenommen werden, die ihren Bewerberstaaten eben jene Grundsätze abverlangt. Diese Konstruktion, die durch Mangel an Demokratie gekennzeichnet ist, kommt aber den Bedürfnissen der politischen Klasse sehr entgegen, da die Europäisierung einer politischen Sachfrage diese der Einflußnahme der Bürger und den nationalen Parlamenten weitgehend entzieht. Die Lockerung der Verbindung von Wählern und Gewählten durch Europa steigert sich die Macht der Lobbyisten. Mit der Interessenverflechtung von politischer Klasse und Lobbyisten entsteht, was der Autor als „Hochmut der Institutionen“ beschreibt. Dieser Hochmut drängt unerbittlich zur Zentralisierung, die den Einfluß des Wählers auf die Gestaltung der Politik weiter schwinden läßt. In der Europapolitik zählt die Bürgermeinung wenig.

Damit wird verständlich, weshalb die Einstellung zu Europa zwischen den Politikern und den Bürgern in immer größerem Maße kontrastiert. Dabei wird die Rechtfertigung für Europa immer weniger überzeugend. Gemeinsame Probleme erfordern, wie der Verfasser zu Recht feststellt, mitnichten eine gemeinsame Lösung: Obwohl jeder einmal Zahnschmerzen hat, wäre keinem geholfen, wenn die Zahnbehandlung „europäisiert“ würde. Vielmehr muß jeder seinen Zahnarzt aufsuchen. Politisch kann nur insoweit geholfen werden, als sichergestellt ist, daß es mehrere Zahnärzte gibt, unter denen man als Patient auswählen kann. Deshalb darf die optimale Lösung von Problemen, die sich in mehreren Staaten feststellen lassen und deshalb auf einer sehr abstrakten Ebene als „gemeinsam“ beschrieben werden können, wie das Problem der Arbeitslosigkeit, nur im Systemwettbewerb der einzelnen Mitgliedstaaten liegen. Bei diesem richtigen Ansatz ist klar, daß der Verfasser das Heil nicht in einer formalen Europademokratie sieht, da damit das Mehrheitsprinzip äußerst strapaziert würde, das nur in dem Rahmen, den man als Nation beschreiben kann, als legitim angesehen wird. Vielmehr ist die Redemokratisierung der Mitgliedstaaten die Lösung. Der dabei erzeugte Systemwettbewerb sichert den Einfluß des Wählers und sei es, daß er in ein anderes Land auswandern kann. Genau durch diesen Staatenpluralismus hat sich Europa von Asien unterschieden, wo Großreiche einheitliche Lösungen erzwungen haben. Somit verkennt die EU die historische Besonderheit von Europa!

Der Autor hat ein Bündel von Vorschlägen, wie dieser Systemwettbewerb innerhalb Europas verstärkt und die Zentralisierungstendenz gebrochen werden könnte. Hervorzuheben ist der Vorschlag, daß jeder Mitgliedstaat denselben Prozentsatz seines Haushaltes zur EU-Finanzierung abführt. Will dann ein Staat seine Zahlungen an Europa vermindern, muß er nur seinen Gesamthaushalt vermindern. Dies hätte den heilsamen Effekt, daß die Staaten wegen eines möglichst geringen Staatshaushaltes in den Systemwettbewerb einträten, was die Steuerbelastung der Bürger insgesamt vermindern würde. Im übrigen sollte nicht das Europaparlament, das sich mangels eines europäischen Volks letztlich nur selbst vertritt, Europa parlamentarisch kontrollieren, sondern die Abgeordneten der Mitgliedstaaten.

Vaubel erkennt jedoch, daß aufgrund der Machtinteressen der von EU-Europa Begünstigten diese Vorschläge kaum eine Realisierungschance haben. Zumal die EU-Konstruktion mit einem Gerichtshof, der im Zweifel immer auf Seiten der Kommission ist, die nur durch Zentralisierung Macht gewinnt, so zugeschnitten ist, daß eigentlich nur der Weg der Zentralisierung möglich ist. Auch wenn sich Europa um eine liberale Wirtschaftspolitik Verdienste erworben hat, ist nicht zu verkennen, daß letztlich auch diese Liberalisierungspolitik instrumentalen Charakter zum Zwecke einer weiteren Zentralisierung hat: Man will den nationalen Behörden Kompetenzen entreißen, um dann auf europäischer Ebene, insbesondere gegen die Außenwelt Dirigismus machen zu können. Dieser Vorwurf ist mit dem Titel „Europa-Chauvinismus“ gemeint.

Letztlich haben daher Gegenvorschläge im Interesse von Demokratie und Bürgerinteressen gegenüber der Europazentralisierung nur dann eine Chance, wenn eine Frage eindeutig geklärt ist, die der Verfasser leider nicht unter einem selbständigen Kapitel, sondern vor allem bei der Frage „Braucht Europa eine Verfassung?“ behandelt: Es geht um das Austrittsrecht aus der EU. In der Tat ist dies die wirklich zentrale Frage der sogenannten Europapolitik. Durch ein anerkanntes Austrittsrecht ist nicht nur die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die deutschen Transferleistungen reduziert werden können, sondern es geht um die Vermeidung einer Situation, die einst zum amerikanischen Bürgerkrieg, auf den Vaubel mehrmals hinweist, geführt hatte. Josef Schüßlburner

Roland Vaubel: EU-Chauvinismus. Der Hockmut der Institutionen. Universitas, München 2001, 340 Seiten, 18,90 Euro

Brüsseler Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission: Die EU verzichtet auf demokratische Kriterien, die sie ihren Bewerbern abverlangt


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen