© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Müßiggang
Karl Heinzen

44 Prozent der Internetzugriffe, die Niedersachsens öffentliche Bedienstete von ihrem Arbeitsplatz aus unternehmen, scheinen, so das Ergebnis einer heimlichen, zehntägigen Stichprobe des zuständigen Landesrechnungshofes, ausschließlich privaten Zwecken verpflichtet zu sein. Online-Shopping, Auktionen, Lifestyle-Recherchen, Erotik, Glücksspiele, Handyfun, Chat, ja sogar Jobsuche: Die Statistik läßt darauf schließen, daß die Möglichkeiten, die das Internet bietet, unterdessen auch in Behörden tatsächlich erkannt werden. Das Land läßt sich die wachsende Medienkompetenz seiner Mitarbeiter allerdings auch etwas kosten: Die Zahlen des Landesrechnungshofes auf ein Jahr hochgerechnet, muß man davon ausgehen, daß wohl allein in Niedersachsen über 750.000 Stunden Surfen ohne unmittelbares öffentliches Interesse als dienstlich anerkannt und entlohnt werden. Rechnerisch sind dies mehr als 500 Stellen. Es war also doch keine voreilige Euphorie, sich vom Internet einen gewissen Beschäftigungseffekt zu versprechen.

Die Verlagerung von vorgeblich privaten Aktivitäten in die Dienstzeit ist kein spezielles Problem des öffentlichen Sektors, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dem man mit Gelassenheit und Zuversicht gegenübertreten sollte. Auch wenn die Tischfußballspiele am Arbeitsplatz gemeinsam mit so manchen Unternehmen der New Economy wieder verschwunden sind, hält die Integration von Freizeit und Beruf unvermindert an und wird sozusagen zum Indikator des sozialen Erfolges. Je höher der Status eines Beschäftigten ist, desto weniger weiß er in so mancher Situation zu unterscheiden, ob das Pläsier, dem er sich gerade hingibt, dienstlicher oder privater Natur ist.

Klassische Arbeit, die entweder überdurchschnittlich langweilig, schmutzig oder riskant, in jedem Fall aber schlecht bezahlt ist, wird es in absehbarer Zukunft nur für die Immigranten der ersten und allenfalls noch der zweiten Generation geben. Ihnen wird man diese Chance, das objektive Elend in ihren Herkunftsländern gegen einen Zustand relativer Armut bei uns einzutauschen, nicht vorenthalten dürfen. Für die große Mehrheit der Menschen gilt es jedoch, des Problems Herr zu werden, daß immer weniger Arbeit unentbehrlich ist, um unseren Wohlstand im gewohnten Tempo weiter wachsen zu lassen. Ohne den Gemeinsinn so vieler Konsumenten, sich immer wieder neue Bedürfnisse einreden zu lassen, könnten ganze Branchen ihre Tätigkeit einstellen. Mehr und mehr Beschäftigungsverhältnisse existieren nur dank der Redundanz, die der Marktmechanismus produziert. Verlorenes Vertrauen in die Sinnhaftigkeit des eigenen beruflichen Tuns läßt sich so aber nicht zurückgewinnen. Die Einsicht in das wahre Ausmaß der versteckten Arbeitslosigkeit wird wachsen. Die Betroffenen werden dann nicht verzweifeln, wenn sie den bezahlten Müßiggang schätzen lernen. Ein freier Internet-Zugang am Arbeitsplatz ist dazu eine gute Einübung.


 
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