© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
„Recht auf eine eigene Position“
John Burgess, zweiter Auslandsressortleiter der „Washington Post“, über freie Presse und den Vorwurf des Antiamerikanismus
Moritz Schwarz

Herr Burgess, Amerika hat mit dem Abschuß eines Hubschraubers in Afghanistan erste Verluste hinnehmen müssen. Und das in einer Phase, in der die meisten Leute den Krieg dort schon für durchgestanden gehalten haben. Geht nun in Ihrem Land die Angst vor einer Eskalation des Krieges um?

Burgess: Natürlich hatten wir in Amerika den Eindruck, dieser Krieg sei weitgehend zu Ende. Die jüngsten Gefechte kamen also überraschend für die Menschen hier. Aber deswegen ist das Land noch lange nicht seelisch erschöpft vom Krieg. Schließlich waren die amerikanischen Verluste bislang äußerst gering. Ich glaube sogar, die Leute waren erstaunt, daß es bislang auf unserer Seite fast keine Verluste gegeben hat. Die Stimmung läßt sich wohl mit Sätzen wie „Der Job muß erledigt werden“ oder „Tut, was getan werden muß“ beschreiben.

Taucht nach dem Abschuß des Hubschraubers die Erinnerung an Vietnam wieder auf oder die Furcht vor einem „amerikanischen Afghanistan“, wie es ein „russisches Afghanistan“ gegeben hat?

Burgess: Ich glaube nicht, daß das derzeit in den Köpfen der Menschen umgeht. Wie sich das in Zukunft entwickeln wird, vermag ich jedoch nicht vorauszusagen. Allerdings ist dieser Krieg ganz anders als Vietnam. Das beginnt schon damit, daß wir diesmal selbst angegriffen worden sind, was im Fall Vietnams schließlich nicht der Fall war.

Der Irak gilt wahrscheinlich als nächstes Ziel eines US-Angriffs. Wie ist diesbezüglich die Stimmung in den US-Medien?

Burgess: So etwas ist immer schwer zu beurteilen, weil die amerikanischen Medien, wie Sie sicher wissen, im Vergleich zum Beispiel zu den deutschen Medien eine ausgesprochen dezentrale Struktur haben. Sich ein Gesamtbild zu verschaffen, ist also nicht leicht. Der mögliche Feldzug gegen den Irak ist eher eine Sache der Politiker, die eventuell zu der Überzeugung kommen, daß das der nächste notwendige Schritt sei, den wir unternehmen müssen. Anders als im Falle Afghanistans, wo sich doch wohl jeder Amerikaner in gewisser Weise persönlich betroffen gefühlt hat.

In den europäischen Medien erscheinen die US-Medien seit dem 11. September als äußerst konform mit der Politik ihrer Regierung.

Burgess: Natürlich unterstützen die Leitartikel der amerikanischen Medien gewöhnlich den Präsidenten und die Linie der Kriegführung. Dennoch hat es aber auch Auseinandersetzungen zwischen den Medien und der Regierung gegeben, etwa im Falle der Bürgerrechte, als es um den Vorschlag ging, Militärtribunale einzurichten.

Es gab aber nie eine Debatte über den Krieg in Afghanistan an sich?

Burgess: Was den Krieg selbst angeht, so trifft das zu: Dennoch gab es Kritik, zum Beispiel, was die Frage der zivilen Opfer unserer Angriffe anbelangt. Es gab bekanntlich zwei oder drei Zwischenfälle, bei denen die US-Truppen die falschen, nämlich zivile Ziele angegriffen haben. Die Washington Post positionierte sich dabei sehr kritisch gegenüber der Regierung bezüglich der Art und Weise, wie sie mit diesen Unglücksfällen umgegangen ist. Ich weiß, daß die Europäer glauben, bei uns fände keinerlei Debatte über diese Dinge statt, aber das stimmt nicht.

Eine Debatte, die vor allem in Deutschland unter großer Anteilnahme geführt worden ist, war die um den Einsatz von Streubomben.

Burgess: Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo Kritik zum Einsatz bestimmter Waffen gelesen zu haben. Natürlich wurde aber auch bei uns über das Problem geschrieben, daß nicht explodierte Streubomben später herumliegen und eine Gefahr für Zivilisten darstellen.

In Europa zeichneten die Medien, zumindest für die erste Zeit nach dem 11. September und für die Zeit, als der Feldzug in Afghanistan begann, das Bild einer vor lauter Patriotismus pflichtvergessenen - die Pflicht zur kritischen Berichterstattung - US-Presse.

Burgess: Nach dem 11. September gab es in der Tat jede Menge patriotischen Journalismus in unserem Land. Nach der Aufregung der ersten Wochen besannen sich die Medien allerdings durchaus auf ihre kritische Rolle und ihre Verpflichtung zur Objektivität. Die Situation der Medien in diesem Land würde ich so beschreiben: Wir führen einen Krieg, und wir werden keine Informationen publizieren, die den Erfolg dieses Krieges in Frage stellen könnten. Natürlich gibt es seitdem zwischen der Regierung und den Medien eine Auseinandersetzung darum, was „in Frage stellen“ bedeutet.

Welches Selbstverständnis hat die US-Presse derzeit, ist sie letztlich in erster Linie dem Land verpflichtet oder der Pressefreiheit?

Burgess: Die Kollegen glauben, beiden Pflichten genügen zu können, denn wir Amerikaner sehen da nicht zwingenderweise einen Unterschied.

Ist es typisch europäisch, Patriotismus und Anstand, zum Beispiel in Form der Pressefreiheit, gegeneinander auszuspielen?

Burgess: Das mag sein, wir betrachten es als unsere Pflicht, den Fakten den Vorrang vor der Rücksichtnahme auf die Öffentlichkeit einzuräumen. Aber in der Tat erhalten wir viele Beschwerden, etwa bei Berichten über versehentlich getötete Zivilisten. Dann heißt es von Seiten mancher Leser, es sei unpatriotisch, solche Tatsachen zu veröffentlichen.

Wie reagierte die „Washington Post“ darauf?

Burgess: Wir halten es im Gegenteil für patriotisch, der Öffentlichkeit die Wahrheit über den Krieg, den sie schließlich führt, zu sagen. Wir erfüllen also unsere Pflicht als Presseleute und dienen damit gleichzeitig unserem Land und seiner Gesellschaft.

Sind Sie unter Druck geraten?

Burgess: Nein, es gab Vorwürfe, aber von Druck würde ich nicht sprechen.

Die europäische Presse vermittelte den Eindruck, in den USA übten die Medien durchaus einen gewissen Druck auf besonders kritische Kollegen aus?

Burgess: Meinem Eindruck nach kam der „Druck“ wie gesagt nur von Seiten der Leser.

Wäre es in der gegenwärtigen Atmosphäre für eine Zeitung oder eine Partei möglich, demonstrativ unpatriotisch, ja sogar antiamerikanisch zu sein, wie es die amerikanische Demokratie und Freiheit schließlich verbürgen?

Burgess: Das hängt davon ab, was Sie unter antiamerikanisch verstehen. Die Demokraten im Kongreß haben gerade von der Regierung mehr Informationen über Kriegführung und Kriegsziele verlangt. Die Republikaner quittierten diese Forderungen sofort mit dem Entsetzen darüber, wie die Demokraten so etwas ausgerechnet in einem Moment fordern könnten, in dem amerikanische Truppen in Übersee sich in großer Gefahr befinden. Die Demokraten entgegneten nur: „Wir sind eine Demokratie, diese Forderung ist unser Recht.“ Letztlich haben die Republikaner nun klein beigegeben. Sicherlich, wenn sie sich in diesen Tagen besonders provozierend hervortun, können sie schon unter Druck geraten, aber Amerika ist und bleibt dennoch eine Demokratie, und es bleibt auch dann ihr Recht gewahrt, ihre Meinung frei zu äußern. Allerdings mache ich mir natürlich keine Illusionen darüber, daß es in diesen Zeiten auch einige unsichere Menschen gibt, die jetzt nur so oder so reden und handeln, weil es von ihnen „verlangt“ wird, sich ansonsten aber nicht entsprechend verhalten würden.

Können Sie sich vorstellen, daß sich die Situation in Amerika so verschärft, daß die Pressefreiheit in ernster Gefahr wäre?

Burgess: Das ist sicher vorstellbar, ist aber nicht abzusehen.

Welche Reaktion rief die Kritik Susan Sontags an den USA nach dem 11. September in Amerika hervor?

Burgess: Sie wurde dafür kritisiert, so schlimm kann es aber nicht gewesen sein, denn der Vorgang ist mir schon wieder entfallen.

Es sind Begriffe wie „Schurkenstaaten“ oder „Kreuzzug“, die viele Europäer sehr befremden, denn sie vermitteln das Gefühl, die Amerikaner seien es, die die Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse einteilen. Haben Sie Verständnis für diese Kritik?

Burgess: Auf jeden Fall, wir haben in der Washington Post selbst über diese Frage geschrieben. Die europäische Sicht der Dinge ist wohl grundsätzlich eher die „Grau-Sicht“. Allerdings dürft Ihr Europäer auch nicht leichtfertig von der US-Regierung auf ganz Amerika schließen, auch vielen Amerikanern ist das Schwarz/Weiß-Muster der Regierung zu simpel.

Nehmen amerikanische Presse und der politisch interessierte Zeitungsleser in den Vereinigten Staaten die Kritik der Europäer überhaupt wahr?

Burgess: Ja, wir haben darüber geschrieben. Zum Beispiel, als etwa vor zwei Wochen einige europäische Führer, wie Joschka Fischer, Hubert Védrine oder Chris Patton kritische Äußerungen gemacht und den Amerikanern Unilateralismus vorgeworfen haben. Das nimmt natürlich nicht der Durchschnittsamerikaner wahr, aber der politisch interessierte Leser der Washington Post sicherlich schon. Dieser Kritik wird in Washington durchaus Bedeutung, aber keine Gefahr zugemessen. Denn einerseits wissen die Vereinigten Staaten, daß sie ihre militärischen Operationen auch ohne die Hilfe der Europäer durchführen können, andererseits aber sind wir an einer Unterstützung durch die Europäer in hohem Maße interessiert.

Halten die Amerikaner die Europäer letztlich für verläßliche Partner?

Burgess: Die Amerikaner wissen wohl, daß die Europäer, außer den Japanern, Amerikas engste Verbündete sind. Selbstverständlich aber haben die Europäer ein Recht auf ihre eigene Position, auch wenn sie der der Vereinigten Staaten entgegenstehen mag. Sicherlich - dürften die Amerikaner sich eine Welt wünschen, würden sie sich eine wünschen, in der die Europäer alles tun, was die Amerikaner ihnen vorschlagen - aber so ist das eben nicht in der Wirklichkeit.

Empfinden Sie Kritik aus Europa als antiamerikanisch?

Burgess: Nein, so eng sehen wir Amerikaner das nicht. Die verschiedenen Staaten dieser Erde haben naturgemäß verschiedene Ansichten. Das dürfte es wohl sein, was da zum Ausdruck kommt, wenn Europa Kritik an Amerika übt.

Welche Kritik würden Sie als „antiamerikanisch“ qualifizieren?

Burgess: Also gut, vielleicht gibt es auch Leute, die Joschka Fischers Bemerkung „Wir sind keine Satelliten“ als antiamerikanisch bezeichnen würden, aber die Mehrheit der Amerikaner sieht das sicherlich nicht so. Es hat wohl jeder seine eigene Definition von antiamerikanisch. Ich kann das also nicht festlegen.

In Europa wird dem politischen Gegner gerne vorgeworfen, er sei antiamerikanisch bzw. schüre den Antiamerikanismus. Das gilt als schwerer Vorwurf.

Burgess: Ich verstehe, eine in Amerika mehrheitsfähige Definition von Antiamerikanismus wäre wohl: Angriffe gegen Amerika, die keine vernünftige Grundlage mehr haben und jedes Maß an Recht und Billigkeit vermissen lassen.

Würden Sie die Amerika-Kritik der indischen Bestseller-Autorin Arundhati Roy (JF 42/01), die zumindest auch in Deutschland und Großbritannien auf großes Interesse gestoßen ist, als antiamerikanisch bezeichnen?

Burgess: Tut mir leid, Frau Roys Kritik ist in Amerika nicht bekannt.

Gelten Zweifel an der gängigen Theorie vom Anschlag auf das Welthandelszentrum als „antiamerikanisch“?

Burgess: Was meinen Sie?

Es gibt verschiedene Gegentheorien, bis hin zu Zweifeln an der Urheberschaft Osama bin Ladens.

Burgess: Diese Ansicht ist in der islamischen Welt weitverbreitet, hier bei uns in den Vereinigten Staaten nimmt diese Kritik niemand ernst.

Im Vietnam-Krieg beklagte die US-Armee den freien Zugang der Medien „zum Krieg“. Ist es antiamerikanisch, heute wieder einen solchen freien Zugang zu fordern?

Burgess: Natürlich will die freie Presse herausfinden, was an der Front wirklich vor sich geht. In der Tat haben wir als Resultat aus den Erfahrungen in Vietnam heute einen eher schlechten Zugang „zur Front“. Das heißt aber nicht, daß wir nicht mehr anständig unsere Arbeit machen könnten.

Im Golfkrieg gab es diverse Spannungen zwischen dem Pentagon und den Medien.

Burgess: Damals gab es in der Tat viel Streit. So etwas legt man dann gewöhnlich mit einem Kompromiß bei.

Aus europäischer Sicht sieht das aus wie eine Niederlage für die freie Presse.

Burgess: Nein. Das Pentagon hat versucht, die Informationen zu kontrollieren und wir haben versucht, so viel wie möglich Informationen zu sammeln. Es gab 1991 durchaus Gebiete, in denen die Journalisten vor den US-Truppen eingetroffen sind. Unsere Berichterstattung über den Golfkrieg war sicher nicht perfekt, aber es war im großen und ganzen journalistisch akkurate Arbeit. Ähnlich läuft es jetzt in Afghanistan. Vorfälle wie den von vor vierzehn Tagen, als US-Truppen einem amerikanischen Journalisten drohten, ihn zu erschießen, wenn er weitergehen sollte, zeigen, daß die US-Presse nicht so handzahm ist, wie die Kollegen in aller Welt das vielleicht manchmal darstellen mögen.

Das Pentagon plant, ein „Büro für strategische Einflußnahme“ zu gründen, daß die Medien gezielt auch mit Lügen füttern soll.

Burgess: Wie Sie sicher wissen, wurde dieser Plan fallengelassen, was erneut beweist, daß der europäische Blick, hier gäbe es keine Kritik an den Maßnahmen der Regierung, nicht zutrifft.

Befürchten Sie nicht, daß dieses Büro seine Arbeit im Geheimen aufnimmt?

Burgess: Das kann man natürlich nie wissen. Sie haben versprochen, es nicht zu tun. Sollten sie es doch tun, werden wir es herausfinden und darüber schreiben.

 

John Burgess geboren 1951 in Greensborough in Nord Carolina. Burgess studierte Geschichte und Sozialwissenschaften am Oberlin College der Universität von Michigan. Seit 1971 arbeitet er als Journalist, 1980 wechselte er zur Washington Post. Dort ist er inzwischen stellvertretender Auslandsressortleiter und zuständig für die Berichterstattung über Europa und Kanada.

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