© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Von einem der auszog, einen Antiamerikaner zu finden
Eine Podiumsdiskussion mit Andreas von Bülow und Eckart Werthebach sollte die amerikafeindliche Substanz der Deutschen aufdecken, zeigte aber nur ihre Substanzlosigkeit
Moritz Schwarz

Eines der Dinge, die sich durch die Anschläge vom 11. September 2001 auf das Welthandelszentrum in New York und das US-Verteidigungsministerium in Washington nicht geändert - im Gegenteil - haben, ist die deutsche Gretchenfrage: „Wie hälst du’s mit Amerika?“ Sind wir Bundesdeutsche trotz Denglisch, Seifenopern und fünfzig Jahren Bündnistreue nicht vielleicht doch noch heimliche Anti-Amerikaner?

Bei welcher Gelegenheit ließe sich dieser Frage besser auf den Grund gehen, als bei einer Podiumsdiskussion mit Andreas von Bülow, Sozialdemokrat und Bundesminister a.D. Denn während etwa die Frankfurter Allgemeinene Zeitung in einer „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“-Atmosphäre wie anno 1914 die Amerikakritik im Blatt geschickt durch Beiträge ausländischer Gastautoren (Arundhati Roy, John Le Carre und Susan Sontag) erledigen ließ, hat sich von Bülow mit seinen amerikakritischen Interviews in der Zeitschrift Konkret, dem Berliner Tagesspiegel und der JUNGEN FREIHEIT (JF 6/02 und 7/02) selbst ins Kreuzfeuer gestellt. Ihm gegenüber saß am vergangenen Freitag Abend in der Berliner Urania Eckart Werthebach, einst Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und danach bis Juni 2001 CDU-Innensenator von Berlin.

Die Rollen waren also verteilt: Ganz wie man es sehen will, da der Ami-Knecht, dort der Freigeist, oder: da der historisch geläuterte Deutsche, dort der Polit-Desperado. Das Publikum von Anfang an unruhig, vor allem ältere Herrschaften, aber auch viele Studenten, allesamt mit Hang zum Co-Referat und deutlich voreingenommen: Ihr Matador hieß von Bülow, und erwartet wurde, daß er den Stier bei den Hörnern packt. Also mitten hineingeraten in einen Pfuhl des Anti-Amerikanismus? Und wer wird wen zuerst als Anti-Amerikaner bzw. als CIA-Büttel stigmatiseren? Von Bülow erhält als erster das Wort, ohne Eifer trägt er vor: Hinter dem 11. September 2001 steckten nicht „die Muslime“ - das sei eine professionelle Aktion gewesen, wozu die Höhlenbewohner von al-Quaida wohl kaum in der Lage gewesen sein dürften. Dann der erste Angriff: „Mich überzeugt die Verschwörungstheorie der CIA nicht!“ - Applaus im Publikum. Verschwörungstheorie? Ist das nicht ein Begriff, aus dem Vokabular der Anti-Antiamerikaner, mit dem sie vermeintliche Anti-Amerikaner so gerne desavouieren? Des Gegners Aufmarschfeld vorwitzig zu besetzen, wie geschickt. Und von Bülow legt nach: Von den neunzehn Araberndie auf der FBI-Täterliste vom 11. September stehen, seien sieben nachweislich noch am Leben. Diese Personen hätten sich daraufhin auch bei US-Konsulaten beschwert. Doch die interessiere das schlicht nicht. Seine Quelle? Der Fernsehsender CNN! Das sitzt.

Werthebach trägt die Attacke mit Fassung, geduldig wartet er, bis der Moderator ihm die Initiative zuteilt. Doch er nutzt sie nicht, weder greift er offen an, noch versucht er, seinen Gegner zu Fall zu bringen. Statt dessen streitet Werthebach schlicht ab, er dementiert, leugnet, weiß von nichts. In kürzester Zeit verspielt er auch bei den Gutwilligen im Saal jeden Kredit. Ein Student bringt es nach der Diskussion auf den Punkt: „Herr Werthebach, Sie haben eingangs von einem Duell zwischen Ihnen und Herrn von Bülow gesprochen. Ich habe daraufhin eine Strichliste geführt: Es steht 28 zu 0 für Herrn von Bülow!“

Doch das bekümmert Werthebach nicht im geringsten, selbstzufrieden blickt er in die Runde. Werthebach meint offenbar, er schulde dem Publikum noch nicht einmal eine gute Show, geschweige denn die Wahrheit. Immerhin muß er dafür auch einen „Arschkriecher!“ aus dem Publikum einstecken. Wir werden aufmerksam: Arschkriecher? Bei wem? Dem Ami?! - Der erste Antiamerikanismus des Abends?! Doch keiner nimmt davon Notiz, nicht einmal Werthebach.

Dann wird es noch besser: „Amerika ist der wahre Schurkenstaat!“, tönt es aus dem Saal. Da macht einer aus seinem Herzen keine Mördergrube. Doch nichts passiert. Und dabei bleibt es dann auch. Im Gegenteil, die Menge bemüht sich, Boden gut zu machen. Werthebach kommt aus der Beamten-Laufbahn, offenbar weiß er nicht, daß man einen Saal nicht mit Dementis abspeisen kann, wie wohl weiland als Politiker die Journalisten. Weil die Methode „Alles Verleumdungen!“ hier nicht zieht, greift er schließlich doch noch zu dem Vorwurf, auf den jeder den ganzen Abend nur gewartet hat: „Herr von Bülow, Sie sind kein AntiAmerikaner, aber sie schüren den Anti-Amerikanismus!“ Doch es wirkt nur wie „Mir fällt sonst nichts mehr ein“.

„Ich bewundere Amerika“, wehrt von Bülow indessen ab. „Wir sind den USA dankbar für 1945, wie für 1989, aber heute müssen wir uns von ihnen emanzipieren.“ Doch dann - zweifelsohne auch in amerikanischen Augen - der Sündenfall: „Mir sind die Amerikaner manchmal sogar lieber, als die eigenen Landsleute.“ Und es passiert, was nur in Deutschland passieren kann: das Publikum ist empört - aber natürlich nicht über von Bülows Aussage. „Wir sind auch keine Anti-Amerikaner!“, ruft einer und der Ruf pflanzt sich fort, bis er in aufbrandendem Applaus untergeht.

Da wendet sich der Gast mit Grausen. Das Rätsel des Anti-Amerikanismus vermochte er auch an diesem Abend in der Urania nicht zu lösen. Aber er ist sich sicher - so wie er „die Amis“ kennengelernt hat: Selbst ihnen ist ein aufrechter Anti-Amerikaner lieber, als diese sich mit Vorliebe selbstbezichtigenden Deutschen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen