© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
CD: Deutschrock
Höralbum
Holger Stürenburg

Mit seinem neuen Album „Wasser bis zum Hals steht mir“ ist Heinz Rudolf Kunze der große Wurf gelungen. Der politisch unkorrekteste aller deutscher Liederschreiber meldet sich ein Jahr nach seinem letzten Rock/Popalbum „Halt“ mit einem größtenteils gesprochenen Konzeptalbum zurück, bei dem die Musik nicht im Vordergrund steht, sondern meist nur zur Untermalung von Kunzes Wortspielen dient.

Gemeinsam mit seinem langjährigen Gitarristen und Produzenten Heiner Lürig und dem Keyboarder Matthias Ulmer begab sich Kunze im vergangenen Herbst in die „Madagaskar“-Studios zu Hannover, wo er eine bislang nicht dagewesene Mischung aus Synthesizerklängen und gewohnt bösartigen Reimen - die in Kunzes neueren Popsongs zu kurz kamen - ausheckte. Zwar hatte Kunze 1991 mit „Sternzeichen Sündenbock“ und 1994 mit „Der Golem aus Lemgo“ bereits zwei „literarische“ Alben veröffentlicht; dies aber waren Live-Mitschnitte von Kabarett-Aufführungen. Erstmals betrat Kunze jetzt ein Studio, um seine textbezogenen Kreationen erst dort einzuspielen - und sie dann auf der Bühne umzusetzen.

Der Hedonismus der jungen Generation, die Oberflächlichkeit besserwisserischer Zeitgenossen, die sich immer schneller drehende (Medien)welt sind die Themen, mit denen sich Kunze auf „Wasser bis zum Hals steht mir“ gewitzt, aber auch provokativ verbittert auseinandersetzt. „Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute“, rappt Kunze zu Hip Hop-Klängen. „Wir sind die ersten alten Leute / die im Recht sind / wenn sie sagen / wir waren besser / denn wir kommen aus besseren Tagen“, heißt es im Text. Kunze erklärte dazu gegenüber dem Hamburger Abendblatt: „Ich habe das Glück gehabt, die große Zeit der Rockmusik mitzuerleben. Was muß sich die heutige Jugend dagegen für einen Mist anhören!“ Doch Kunze bezieht seine Fundamentalkritik nicht nur auf Popmusik: „Im Gegensatz zu den heutigen Jugendlichen hatten wir gewisse Vorstellungen, wie die Gesellschaft und das Zusammenleben darin aussehen sollte.“ Heute hingegen, so Kunze, „beklagen sich nicht nur die Lehrer, daß die Jugend ein derart monumentales Desinteresse an allem hat, ... daß man sie gar nicht mehr erreicht“. So hat Kunze mit seiner trashigen Rap-Parodie, die er selbst als „wertkonservativ und insofern für fortschrittlich“ hält, einen wunden Punkt getroffen.

Auch die anderen zwölf Stücke der CD - nennen wir sie „Höralbum“ oder „Popbuch“ - haben es in sich. Beeinflußt von aktuellen Ambiente-Klängen begibt sich Kunze für über fünf Minuten in eine „Auszeit“, in der er sich nicht und nirgendwo zurückmeldet, bezeichnet das allgegenwärtige Schönheitsdenken bissig als den „endgültigen Ozean“ und offeriert „Die Chinesische Wasserfolter“ als ersten Preis einer Quizshow, nachdem er forderte, „Bomben auf alle Vernissagen, Filmpremieren, Echo-Verleihungen“ zu werfen. Zwischendurch gibt es die James-Brown-Parodie „Das Ding“, in der er sich in die Rolle eines oberflächlichen Modefotografen begibt. Seinem Faible für die fünfziger Jahre, in denen er aufwuchs, huldigt Kunze in „Alte Filme“ - einer Kreation aus bekannten Film-Dialogen mit Paul Hörbiger oder Marika Rökk und typischen Filmmusiksequenzen, die direkt jenen Tagen entstammen könnten. Als Macho - wenn auch mit deutlichem Augenzwinkern - tritt Kunze in seiner speziellen „Liebeserklärung“ auf. Und in „Hallo Deutschland“ wählt er - untermalt von Originaleinspielungen von Erich Honecker, Wilhelm Pieck, Willy Brandt und anderen - die Telefonnummer „70/71-14-18-33-45-89“ - aber niemand geht ran …

Man kann diese CD nicht nebenbei hören, sondern muß sich Zeit nehmen für Kunzes Gedankenwelt, die sich - immer zynisch, immer ironisch - ihren Weg durch die Boxen bahnt.


 
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