© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Kleiner Mann überlebensgroß
Film: Der beliebte Volksschauspieler Heinz Rühmann wäre am 7. März hundert Jahre alt geworden
Werner Olles

Heinz Rühmann gehörte zu jenen heute kaum noch vorhandenen Schauspielern der alten Schule, die sich in kleinen und großen Glanzrollen zu einer liebenswerten Karikatur des typischen Kleinbürgers stilisierten. Aber Rühmann ließ in das Gehabe des sprichwörtlichen „kleinen Mannes von nebenan“ immer auch einen Hauch Ironie einfließen. Die melancholisch gemilderte Komik, mit der er das Geschehen um ihn herum beobachtete, gehörte ebenso zu seinen Merkmalen wie der hohe Ton seiner eigentümlich belegten, oft sogar tragisch umflorten Stimme.

Der am 7. März 1902 als Sohn eines Gastwirts und Hoteliers in Essen geborene Heinrich Wilhelm Hermann Rühmann lebte nach dem Selbstmord seines Vaters ab 1916 mit der Mutter und zwei Geschwistern in München. Im Frühjahr 1920 gab er sein Debüt als jugendlicher Liebhaber auf dem Theater in Breslau. Bei Friedrich Basil, einem der berühmtesten Schauspiellehrer im München der zwanziger Jahre, bekam er dann seinen letzten Schliff. 1926 folgte der erste Spielfilm: „Das deutsche Mutterherz“, aber der ganz große Durchbruch gelang ihm erst vier Jahre später mit seinem ersten Tonfilm: „Die drei von der Tankstelle“ mit Willy Fritsch, Oskar Karlweis und Lilian Harvey. Ganz Deutschland sang damals das im flotten Marschrhythmus intonierte Titellied „Ein Freund, ein guter Freund, / Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt, / Ein Freund bleibt immer Freund, / Und wenn die ganze Welt zusammenfällt. / Drum sei auch nie betrübt, / Wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt. / Ein Freund, ein guter Freund, / Das ist der größte Schatz, den’s gibt.“

Und genau dies war das Geheimnis Rühmanns. Er entwickelte sich zum zuverlässigen, dabei jedoch unaufdringlichen Freund von nebenan, wobei ihm sein natürlicher Mutterwitz, sein komödiantisches Talent und sein jungenhafter Charme bestens zustatten kamen. Von nun an wurde jeder Film mit Heinz Rühmann ein Erfolg.

Dabei war er mit der Auswahl seiner Rollen gewiß nicht immer zimperlich. Aber seine Schauspielkunst und sein Name zogen das Publikum an, gerade wenn das Stück nicht ganz so großartig war. So vermochte er noch dem banalsten Lustspiel mit gegenwartsfrohem Milieu und stets glücklichem Ausgang, jung verliebten und immer reizvoll anzuschauenden Menschen von heiter unbeschwertem Charakter Gehalt und Gestalt einzuflößen. Ob er 1938 einsam und verlassen zwischen „Dreizehn Stühlen“ saß, mit Hans Albers gemeinsam „Bomben auf Monte Carlo“ warf oder als „Mustergatte“ reüssierte.

Und wer erinnert sich nicht an jenen schlimmen Rüpel im Klassenzimmer, den mit den drei „f“ im Namen: „eins vor dem ei und zwei dahinter“ in der 1944 von Helmut Weiß nach Heinrich Spoerls Schelmenroman verfilmten „Feuerzangenbowle“. Heinz Rühmann hat uns diesen „Schöler“ Hans Pfeiffer so unvergeßlich gemacht wie Erich Ponto und Paul Henckels die beiden originellen Pauker. Wer genauer hinsah, konnte schon damals die leise Wehmut hinter dem soliden Maß Frechheit erkennen, die zurückhaltende Komik hinter dem hinreißenden Imitationsauftritt. Niemand traf wie er jene Ober- und Untertöne, die nicht süßlich und verlogen moralisch klingen, sondern echt. Sie, und nur sie allein trennen naive Weisheit von Kitsch und ehrliches Mimenhandwerk von halbseidenem Kunstgewerbe und billiger Gefallsucht.

Und unvergeßlich auch die gottlob auf Schallplatten konservierte Klangfarbe, mit der Rühmann in dem Lied „Der Clown“ den Zuhörern und Zuschauern auf seine eigene Art klar machte, daß auch das Komödiantische dem Komödianten nicht immer nur eine Lust bereitete: „... und keinen ließ der Clown in sein Herz hineinschauen“. Nichts Sentimantalisches sprach bei ihm aus diesen Zeilen, sondern fleischgewordene Sozialpsychologie. „Als junger Mensch störte mich die vordergründige Heiterkeit nicht. Die Hauptsache war, die Leute amüsierten sich. Heute bin ich glücklich, wenn sie mitten aus dem Lachen heraus ganz still werden.“ Ein Zitat, das fast zwei Jahrzehnte zurückliegt, aber viel über den greisen, weisen Rühmann aussagt. Der kleine Mann, den dieser Schauspieler so gern verkörperte und beseelte, erschien einem da plötzlich ganz groß, und dies ohne die Größe des Menschlichen zu sprengen und zu verraten. Denn Rühmann besaß die seltene Gabe, mit seinem Publikum eine einzigartige Symbiose einzugehen, gemeinsam mit ihm lachte es alle Nöte vorwitzig hinweg. Locker, gleichsam aus dem Stand gelangen ihm Rollen wie „Quax, der Bruchpilot“, „Briefträger Müller“, „Charleys Tante,“ „Lumpazivagabundus“ oder „Vater sein dagegen sehr“.

Doch die Komödiantik war beileibe nicht die einzige Domäne dieses Schauspielers. Fritz Kortner holte ihn 1954 für Becketts „Warten auf Godot“ auf die Bühne der Münchner Kammerspiele. „Völlig ungewöhnlich“ und „absolut unterschätzt“, attestierte er ihm nach der Premiere und selbst die kritischsten Kritiker überschlugen sich in ihren Elogen. Zwei Jahre später spielte er unter der glänzenden Regie von Helmut Käutner den Schuster Wilhelm Voigt in Zuckmayers Klassiker „Der Hauptmann von Köpenick“, der zu einem seiner größten Filmerfolge wurde. Wie Rühmann diesen „preußischen Eulenspiegel“ darstellte, zwischen der Kauzigkeit des Überlebenskünstlers und der fundamentalen Traurigkeit des ewig Scheiternden, das bewies eine Einfühlungsgabe und Kunst der Anverwandlung, die nur wenigen Schauspielern gegeben sind.

Unvergeßlich auch seine Darstellung des pensionierten Kriminalbeamten, der als Gegenspieler Gerd Fröbes in der großartigen Dürrenmatt-Verfilmung „Es geschah am hellichten Tage“ seine Suche nach dem Kindermörder nicht aufgibt. Fast beklemmend und von stiller Größe spielte er den geschundenen Buchhalter in dem Remake von Vicki Baums „Menschen im Hotel“. Und auch dem „Schwejk“ verlieh sein konturensicheres Spiel Format. Auch wie Rühmann in der Titelrolle von G.K. Chestertons „Pater Brown“ bauernschlau pfiffig als geistlicher Hobby-Detektiv und eigenwilliger Querschädel seinem bischöflichen Gegenspieler einmal mehr den Rang abläuft, das dürfte ihm so verquer-glaubwürdig kaum einer nachmachen.

Natürlich hat man auch ihm politisch am Zeug zu flicken versucht. Rühmann hatte sich vor dem Krieg auf Druck der Nationalsozialisten von seiner ersten Frau, der Jüdin Maria Bernheim, scheiden lassen. Dadurch ermöglichte er ihr nicht nur die Emigration in die neutrale Schweiz, was ihr letztlich das Leben rettete, er hat sich auch später, nach seiner Heirat mit der Schaupielerin Hertha Feiler 1939, rührend um sie gekümmert, sie finanziell und anderweitig unterstützt.

Beinahe noch übler waren jedoch die Vorwürfe, er habe sich mit seinen Filmen den Nationalsozialisten als „Durchhalte-Propagandist“ angedient. Aber Rühmann hat sich effektiv weder verhüllter noch unverhüllter Kriegspropaganda zur Verfügung gestellt - und Goebbels erblaßte angeblich mehr als einmal vor den selbstironischen Späßen der Rühmannschen „Keine Angst vor großen Tieren“-Mentalität. Diese spezifisch ihm eigene Mentalität machte ihn ohne Vorurteil empfänglich für eine aufrichtige und innige Menschendarstellung. Kaum ein anderer deutscher Filmschauspieler hat damals soviel Poesie aufgebracht, als man nicht einen Pfifferling mehr dafür gab. Rühmanns Filme sprachen ihre eigene Sprache, und dies war nicht die Sprache der Herrschenden.

Am 3. Oktober 1994 ist Heinz Rühmann im hohen Alter von 92 Jahren in seinem Haus am Starnberger See gestorben. Aber seine große Schauspielkunst hat sich für immer in der Erinnerung der Menschen festgesetzt. Man vermißt diesen kleinen, weisen Mann mit dem verschmitzten Lächeln im Gesicht fast schmerzlich. Und auch Fernsehen, Bühne und Film können kaum mehr verschleiern, wie rar Persönlichkeiten vom Schlage Heinz Rühmanns heute geworden sind.

 

Literatur: Torsten Körner: Ein guter Freund - Heinz Rühmann. Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2002, 479 Seiten, Abb., geb., 25,- Euro

Georg A. Weth: Heinz Rühmann. Lebens-Rezepte eines unsterblichen Optimisten. Langen Müller, München 2002, 240 Seiten, Abb., geb., 19,90 Euro


 
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