© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Auf der Suche nach der eigenen Geschichte
Schüler und Veteranen diskutieren über das Flüchtlingsdrama „So weit die Füße tragen“ / Spende an DRK-Suchdienst
Moritz Schwarz

Nach einer jetzt erst bekannt gewordenen internen Vereinbarung der Produzenten des Kriegsgefangenendramas „So weit die Füße tragen“ (JF berichtete) mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), unterstützen die Macher der Neuverfilmung des berühmten Romans - der die Geschichte der Flucht eines Wehrmachtoffiziers aus sowjetischer Gefangenschaft schildert - den Suchdienst des DRK finanziell. Wie der Sprecher des DRK-Generalsekretariats in Berlin gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestätigte, ist der Suchdienst des Roten Kreuzes, der sich bis heute der Aufklärung des Verbleibs von vermißten, verschleppten und kriegsgefangenen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg widmet, mit einer Spende von 30.000 Euro pro eine Millionen Zuschauer an den Einspielergebnissen des Films beteiligt. „Angesichts des erwarteten Erfolges von zwei bis drei Millionen Zuschauern, eine begrüßenswerte Untersützung unserer Arbeit“, so DRK-Sprecher Lübbo Roewer gegenüber der JF.

Da der Film nun aber wider Erwarten in der Zuschauergunst zurückbleibt - bislang haben sich nur gut 100.000 Besucher aufraffen können, eine Vorstellung zu besuchen - fällt der Obulus für die Kriegsgefangenenhilfe des Roten Kreuzes deutlich geringer aus als erwartet. Doch der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes freut sich nicht nur über die - wenn auch geringe - Beteiligung an den Einspielergebnissen, sondern auch darüber, daß der Kinofilm dazu beiträgt, die weitgehend vergessene Geschichte vieler unserer Väter und Großväter wieder ins Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit zurückzubringen. Angeregt durch die Neuverfilmung sendet das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) im März - der genaue Zeitpunkt stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest - im Rahmen seines von Guido Knopp moderierten Geschichtsmagazins „History“ eine Sondersendung zum Thema „deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion“.

Daß der Film nicht gefördert wird, stößt auf Unverständnis

Unterdessen organisieren die Filmproduzenten in Zusammenarbeit mit dem Suchdienst des Roten Kreuzes Filmvorführungen und daran anschließende Diskussionsrunden mit ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, um eine Aussprache über dieses Jahrzehnte verdrängte Thema anzuregen. Nach Mitteldeutschland, geht die Tour von Regisseur Hardy Martins und Hauptdarsteller Bernhard Bettermann derzeit durch Bayern. Mitarbeiter des Suchdienstes helfen nicht nur bei der Suche nach Zeitzeugen, sondern beteiligen sich auch an den Gesprächsrunden, um ihre Arbeit vorzustellen. Doris Goldermann, vom Regina-Kino in Regensburg, berichtet von „guten Reaktionen“ und „großem Interesse“ des Publikums: „Keiner verließ nach der Filmvorführung den Saal, alle verfolgten gespannt die anschließende Diskussion“. „So wie im Film dargestellt, ist es uns damals tatsächlich ergangen“, bestätigten laut Frau Goldermann die anwesenden Rußlandveteranen dem Publikum. Einer der eingeladenen Zeitzeugen habe gar während der Vorstellung wiederholt den Saal verlassen und „ist im Foyer auf und ab gegangen, um sich zu beruhigen“, so die Betreiberin gegenüber der JF. Deshalb habe auch „die Bemerkung des Regisseurs, der Film habe bei den deutschen Filmkommissionen keinerlei Beachtung gefunden, bei den Zuschauern Unverständnis hervorgerufen“. Ein Zuschauer beklagte, „wir wissen mehr über die Probleme in Palästina oder Afghanistan, als über unsere eigene Vergangenheit“, so Frau Goldermann.

„Ich habe tatsächlich viele Zuschauer weinen sehen“

Auch Ernst Pletsch und Renate Goldhammer vom Broadway-Kino in Landstuhl berichten von „sehr emotionalen Reaktionen“ - „ich habe tatsächlich viele Zuschauer weinen sehen“, so Goldhammer - sowie einem „regen Interesse und vielen Fragen“ seitens des Publikums. Auch in Landstuhl reagierten nach Angaben der Betreiber „die meisten Zuschauer mit Unverständnis auf die Tatsache, daß der Film in Deutschland nicht offiziel gefördert und mehr beachtet wird“. Auch hier waren Veteranen anwesend, doch nicht alle hatten so Schreckliches erlebt wie im Film. So berichtete Heinrich Graf, Kriegsgefangener im Ural, „so schlimm habe ich es nicht erlebt, allerdings hatte ich auch großes Glück, da ich als KFZ-Mechaniker arbeiten konnte und nicht im Bergwerk schuften mußte.“ Die, die Schlimmeres erlebt haben, schweigen oft lieber und schauen sich den Film erst gar nicht an. Ein junger Mann im Publikum beklagte, daß die Erlebnisse damals seinem Vater den Mund verschlossen hätten: „Er will nicht darüber sprechen.“ Eine andere Zuschauerin, die zusammen mit ihrem Schwiegervater die Veranstaltung besucht hatte, schrieb am folgenden Tag an die Veranstalter: „Mein Schwiegervater hat mir Sachen erzählt, die er seinen Kindern nie gesagt hat. Ich war von diesem Erlebnis sehr beeindruckt. Der Film hat mir so einige seiner Charakterzüge erklärt, die ich vorher nie verstanden habe. Allein, daß wir beide über diesen Abschnitt in seinem Leben, der jahrelang tabuisiert war, reden konnten, ist für mich eine unheimliche Bereicherung.“ Kinobesitzerin Renate Goldhammer ist klar, warum der Film allgemein so beeindruckt: „Die heutige Jugend hört doch nur noch ’Nazi, Nazi!‘, zumeist sind wir Deutsche beschäftigt, uns selbst zu beschuldigen - dieser Film aber zeigt endlich, was es auch noch gab.“ Goldhammer und Pletsch haben Feuer gefangen: Sie haben bereits eine Kopie des Films mit englischen Untertiteln bestellt, die sie für die hier noch stationierten amerikanischen Soldaten - hauptsächlich auf dem US-Fliegerhorst Rammstein - vorführen wollen. Außerdem planen sie mit einer Filmvorführung und Diskussionsveranstaltung sowohl mit Veteranen als auch mit Schülern der Umgebung einen Dialog der Generationen über dieses Kapitel deutscher Geschichte in Gang zu bringen.

„Überrascht vom unerwartet großen Interesse der Schüler“

Regisseur Martins und Hauptdarsteller Bettermann besuchten mit ihrem Film auch Schulen - wenn auch noch ohne Veteranen. Gegenüber der JF spricht Martins von „faszinierenden Reaktionen“ der Schüler. Sogar die Lehrer „sind über das Interesse der Schüler überrascht“. Guido Scharrer, Geschichtslehrer der 10. Klasse am Anton-Bruckner-Gymnasium in Straubing bestätigt gegenüber der JF das „unerwartet große Interesse der Schüler“ und deren „wirklich ungewöhnlich rege Beteiligung am Gespräch mit dem Regisseur“. Die Veranstaltung habe die Schüler „positiv beeindruckt“ und ihnen auch ihre „Verantwortung für die Geschichte der Großvätergeneration“ bewußt gemacht. Lediglich das Filmende sei von einigen als „zu kitschig“ bewertet worden. Diese Kritik der Schüler bestätigt auch Katja Leonhardt, Geschichtslehrin am Sophiengymnasium in Weimar, die ebenfalls die 10. Klasse unterrichtet. Was dem „Interesse der Schüler am Thema des Films“ aber nicht entgegenstünde. „Manche haben es sich eben nur realistischer gewünscht“. Denn „das Thema ist den jungen Leuten nicht unbekannt, wie uns das hier in den neuen Bundesländern gerne unterstellt wird“. Im Vordergrund der anschließenden Diskussion habe die „Schuldfrage - also, daß die Gefangenschaft der deutschen Soldaten eine Vorgeschichte gehabt hat“ aber auch die Erkenntis, daß „das, was ihnen da passiert ist, grausam, Rache und Siegerjustiz war“ gestanden, so Frau Leonhardt.

Die Produzenten sehen sich durch das Interesse, das ihr Film bei denjenigen auslöst, die ihn gesehen haben bestätigt: „Es gibt selten Filme“, so Produzent Jimmy Gerum „bei denen die Kluft zwischen Kritik und dem Urteil der Zuschauer derart auseinanderklafft.“


 
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