© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002


Abgeschreckt
von Peter Lattas

Schurken leben gefährlich in diesen Tagen. Der Sheriff hat geschworen, sie auszurotten, wo immer sie sich verstecken, er will sie lebendig oder tot. Schurken sind keine Menschen, sondern „terroristische Parasiten“, gegen sie ist jedes Mittel recht - notfalls auch Atombomben. Schurke wird man schnell in diesen Tagen. Neutralität gibt es nicht, wer nicht für den Sheriff ist, ist gegen ihn. Eben noch durften Rußland und China sich als Mitglieder der Anti-Terror-Koalition fühlen, jetzt finden sie sich mit den üblichen Verdächtigen - Iran, Irak, Nordkorea und Libyen - auf der Liste der potentiellen Atomziele.

Es war kein Versehen, daß der Pentagon-Bericht zur US-Atomwaffenpolitik gerade jetzt bekannt wurde. Er bildet einen bedrohlichen Dreiklang mit Präsident Bushs Anti-Terror-Rede sechs Monate nach dem Anschlag. Der Tabubruch ist kalkuliert. Macht mit, oder es kann alles passieren, lautet die Botschaft. Das amerikanische Rasseln mit dem Nuklearsäbel wird aber die „Schurkenstaaten“ am wenigsten abschrecken. Hasardeure, die nichts zu verlieren haben, können sich dadurch bestärkt fühlen; bei den Verbündeten, die keine Satelliten sein wollen, nährt es Zweifel an der unilateralen Weisheit der Führungsmacht. Amerika kann es sich leisten, die Welt mit einer selbstherrlich vom Zaun gebrochenen Atomdebatte zu erschrecken. Sicherer wird sie dadurch nicht. Die USA begehren Einblick in die Arsenale der anderen, doch die gefährlichsten Massenvernichtungswaffen lagern nach wie vor in ihren eigenen. Wer kontrolliert den Weltsheriff?


 
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