© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
„Das ist Korruption“
Der Kölner Parteienkritiker Erwin K. Scheuch über die kriminellen Hintergründe des „Kölschen Klüngel“-Skandals
Moritz Schwarz

Herr Professor Scheuch, Sie sind Autor diverser Bücher, die sich kritisch mit dem Parteienstaat beschäftigen. Als hätten Sie es vorausgeahnt, haben Sie sich in Ihren Arbeiten sogar konkret mit der Situation in Köln auseinandergesetzt. Was sind die Ursachen für den sogenannten „Kölschen Klüngel“?

Scheuch: Als besonders schlimm erscheint mir die Ausbreitung der Ämterpatronage. Es gibt heute keinen Schulleiter mehr, der nicht über Patronage zu seinem Posten gekommen ist, nicht einmal bei leitenden Oberärzten verhält es sich anders. In der Kölner Stadtverwaltung wirkt sich das sogar bis auf die Referatsebene aus! Die zweite Ursache ist der inzwischen eingebürgerte Umgang der Parteien mit Geld. Auf diesem Feld sind die Politiker aller Fraktionen und aller politischen Ebenen ungeheuer erfinderisch: immer wieder bieten sie neue Begründungen, warum irgendetwas bezahlt oder vergütet werden muß. Dazu kommen die politischen Stiftungen, die in dreifacher Millionenhöhe Steuergelder erhalten. Insgesamt erscheint die Parteienfinanzierung inzwischen als gewaltiger Selbstbedienungsladen, mit dem die Parteien Steuergelder in ihre Kassen leiten. Die dritte Hauptursache für solche Skandale ist die miserable Personalauswahl der Parteien. Die Verquickung von Parteiinteresse und politischen Sachentscheidungen ist inzwischen so dicht geworden, daß sich überall Seilschaften gebildet haben, die alles beherrschen und die jeden unabhängigen Politiker, der ja in seinen Entscheidungen nicht kontrollierbar ist, ausbremsen.

Der Skandal von Köln ruft die Erinnerung an die CDU-Spendenaffäre 1999 wach sind die beiden Affären vergleichbar?

Scheuch: Natürlich ist das involvierte Personal im Fall des „Kölschen Klüngels“ von erheblich weniger politischem Gewicht, als das beim CDU-Spendenskandal vor gut zwei Jahren der Fall war. Und anders als damals wissen wir, wer zumindest einer der Hauptspender war, nämlich Hellmut Trienekens, Geschäftsführer der Trienekens Entsorgungs GmbH. Zwar hat der frühere SPD-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Rüther, der damals die Spenden entgegengenommen hat, zunächst ganz im Stile Helmut Kohls geschwiegen, doch Trienekens selbst hat sich schließlich offenbart. Immerhin macht die SPD-Parteiführung in Berlin Anstalten, sich klar von den Schuldigen trennen zu wollen, man wird wohl versuchen, die Verantwortlichen rigoros aus der Partei zu drängen. Natürlich erklärt sich das aus der Stellung des verantwortlichen Personals, denn sicherlich trennt sich die SPD leichter von einem Herrn Rüther als die Union von Herrn Kohl.

Das Personal mag politisch weniger bedeutend sein, aber die Verfilzung erscheint wesentlich aggressiver als im Falle der CDU-Spendenaffäre, auch wenn dies vielen Medien nicht aufzufallen scheint.

Scheuch: Ja, denn genau genommen versteckt sich hinter dem Skandal von Köln ein ganzes Konglomerat von Affären. Da ist erstens das - schon vom CDU-Spendenskandal her bekannte - Unterlaufen des Parteienfinanzierungsgesetzes durch die sogenannte Stückelung der Spenden, also das Aufteilen einer meldepflichtigen Großspende in mehrere nicht-meldepflichtige, kleinere Spenden. Zweitens, und das unterscheidet den SPD-Skandal vom damaligen CDU-Skandal doch sehr, hat die Kölner SPD Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet - und das auch noch in zweifacher Weise. Zum einen hat sie „ehrenamtliche“ Mitarbeiter, die für sie Leistungen erbracht haben, mit falschen Spendenquittungen „bezahlt“. Statt zum Beispiel einen für die SPD gehaltenen Vortrag aus der Parteikasse zu entgelten, erhielt der Vortragende eine Spendenquittung, die er von der Steuer absetzten konnte. Das Finanzamt, nicht die SPD, vergütete also dem Mann seine Rede, die er aber für die SPD gehalten hatte. Aber es kommt noch dicker: Da die Parteien für jede gespendete Mark zusätzlich eine vom Staat bekommen, strich die SPD obendrein auch noch die für diese Spendenquittungen fällig werdende Spendenbeihilfe aus dem Steuersäckel ein. Natürlich war das nur ein Nebeneffekt bei dem Versuch, die gestückelten Großspenden zu waschen, aber die Dreistigkeit, mit der hier ein Unrecht auch noch bis zur letzten Konsequenz zur „Abzocke“ ausgenutzt wurde, wirft ein Schlaglicht auf die Mentalität, die sich bei vielen Politikern in unserem Staat entwickelt hat.

Das Stückeln von Spenden mögen unsere Politiker als Kavaliersdelikt betrachten, ist es aber tatsächlich nicht schon kriminell - von der Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit ganz zu schweigen?

Scheuch: Sicher, denn das ist schlicht Diebstahl. Aber nicht nur das, die Spendenquittungen wurden ja quasi wie Bargeld verteilt, das Ganze hat schon den Charakter von Falschgeld - als ob die Partei selbst Geld gedruckt hätte.

Manfred Biciste, ehemaliger Schatzmeister der SPD in Köln, äußerte offen seine Einschätzung über die Genossen, die diese Art von Entlohnung nach wie vor für Rechtens halten: „Sie haben kein Unrechtbewußtsein.“

Scheuch: Bezeichnend ist die Reaktion des ehemaligen Kölner SPD-Parteichefs Kurt Uhlenbruch, der gegenüber der Presse sinngemäß erklärt hat: Das haben wir immer so gemacht, ich weiß gar nicht, warum man sich jetzt darüber so aufregt. Und der Mann ist auch noch von Beruf Rechtsanwalt. Ich bin beinahe vom Stuhl gefallen, als ich diese Aussage las, denn es ist eine Sache, ein Unrecht zu tun, aber eine andere, daraus auch noch ein Gewohnheitsrecht abzuleiten.

So etwas kann nur entstehen, wenn diese „Gesellschaft“, völlig abgeschlossen von der Umwelt, eine eigene „Ganovenmoral“ entwickelt. Sind solche Reaktionen also ein Indikator dafür, wie tief die Verfilzung reicht?

Scheuch: Ja, und dabei geht es schon mit der Stückelung los, schon da fanden zumindest zwei Genossen nichts dabei. Dabei gibt es schließlich gute Gründe, warum es das Gesetz vorsieht, daß große Spenden nicht anonym erfolgen dürfen. Nämlich um sicherzustellen, daß das große Geld nicht die Parteien kauft. Und genau da liegt schon der nächste, vielleicht größte Skandal aus dem Kölner Affärenreigen: Denn anders als wohl bei der CDU-Spendenaffäre, ist offensichtlich genau das hier passiert. Die Trienekens Entsorgung GmbH hat ihre Spenden ja wohl nicht geleistet, um der SPD einen Wahlkampf zu finanzieren, sondern um sich einen Vorteil zu verschaffen, bekanntlich ging es um den Bau einer lukrativen Müllverbrennungsanlage.

Das heißt, wir haben es also nicht nur mit Spendenschwindel, Steuerhinterziehung und dem „Abzocken“ staatlicher Spendenbeihilfe zu tun, sondern vor allem mit Korruption. Und das nicht einmal nur zum Vorteil der Trienekens Entsorgungs GmbH, sondern auch noch zum Schaden der Allgemeinheit, denn die öffentliche Hand verkaufte Trienekens im Jahr 2000 einen Anteil von 49,9 Prozent an der städtischen Abfallwirtschaft für 60 Millionen Mark, obwohl ein Konkurrent 100 Millionen Mark bot.

Aber auch hier kommt es noch schlimmer...

Scheuch: … denn Trienekens wird nicht nur beschuldigt, Entscheidungen geschmiert zu haben, sondern er hat obendrein auch noch politische Funktionsträger gleich ganz eingekauft, indem eine ganze Reihe von Politikern mit einträglichen Posten in den verschiedenen Firmen Trienekens versorgt wurde.

Es ging also nicht nur um die Entscheidung in der einen oder anderen Sachfrage, sondern um strategischen Einfluß?

Scheuch: Ja, Trienekens kaufte systematisch Politiker ein.

Haben Sie den Eindruck, daß die SPD den Fall ernsthaft genug anpackt?

Scheuch: Nicht wirklich, denn erstens ist die Kölner Parteiführung, die vor etwa einem Jahr wechselte, sehr schwach, es handelt sich um zwei zu junge Leute, und zweitens sehe ich bei einigen in der Partei nicht genug Schuldbewußtsein - Stichwort: „Das haben wir doch immer schon so gemacht“.

Hier der bundespolitisch bedeutende, aber noch nicht kriminelle Fall der CDU-Spendenaffäre, dort der lokal begrenzte, aber kriminelle Fall in Köln.

Scheuch: Wenn wir annehmen müssen, daß wir es im Fall Trienekens mit einem für die Verhältnisse in unserem Land exemplarischen Fall zu tun haben, dann ist das zweifellos der gewichtigere Fall.

Köln ist kein Einzelfall?

Scheuch: Wahrscheinlich nicht, auch in anderen Gegenden der Parteienlandschaft wird so verfahren. Spendenquittungen werden offenbar allgemein als eine Art Monopoly-Geld betrachtet, das die Parteien nach Gutdünken zur Belohnung von „ehrenamtlichen“ Tätigkeiten - die damit ja eigentlich keine mehr sind - meinen verteilen zu können.

Es betrifft also nicht nur die SPD, sondern genauso die anderen Parteien, wenn sie irgendwo nur lange genug regiert haben?

Scheuch: Das ist doch auch schon in Köln der Fall. Offensichtlich ist, daß - was Interessenverquickung und Pöstchenschieberei angeht - mindestens auch zwei CDU-Leute beteiligt waren, und zwar nicht irgendwer, sondern zwei Kandidaten der CDU für den Bundestagswahlkampf. Der eine ist Prokurist bei Trienekens, der andere vertritt ihn als Rechtsanwalt. Letzterer ist zudem Fraktionschef der CDU im Kölner Rathaus. Da Köln vier Bundestagswahlkreise hat, übt Trienekens also Einfluß auf fünfzig Prozent der Bundestagskandidaten der CDU aus. Und seit dem letzten Wochenende gibt es die Aussage eines früheren Mitarbeiters der Geschäftsstelle der CDU, auch die Kölner Union hätte eine Spende von 64.000 Mark gestückelt. Es muß sich allerdings erst noch erweisen, ob an diesem Vorwurf etwas dran ist.

Müssen wir uns also von unserem Selbstbild, Deutschland sei ein sauberer Beamtenstaat preußischer Tradition, verabschieden?

Scheuch: So sauber ging es auch in Preußen nicht zu, das Bild vom unbestechlichen Beamten ist in erster Linie der „Eigenpropaganda“ Preußens geschuldet. Und so ist auch das Selbstbild der Bundesrepublik geschönt. Es gibt eine Vereinigung mit dem Namen „Transparancy international“, die jährlich einen Korruptionsindex erstellt, dazu wird Politik, Wirtschaft, etc. von 48 Staaten unter die Lupe genommen. Auf Platz eins dieses Index findet sich derzeit Finnland, als transparentester, am wenigsten korrupter Staat. Die Bundesrepublik Deutschland belegte zunächst Platz 14 - übrigens in Nachbarschaft der USA und Frankreichs -, ist aber inzwischen auf Platz 20 abgerutscht.

Die Bundesrepublik Deutschland - ein korrupter Staat, das hört sich doch etwas übertrieben an?

Scheuch: Ein Land ist mäßig korrupt, wenn sie, wie etwa bei uns in Köln, als Strafgefangener die Wächter bestechen müssen, um ihre tägliche Portion Heroin zu bekommen, oder um sich mit Prostituierten in der Zelle vergnügen zu wollen. Ein Land ist wirklich korrupt, wenn die Wächter bestochen werden müssen, um als Strafgefangener das ihnen zustehende Essen zu bekommen. Wir sind also ein mäßig korruptes Land, was aber kein Grund zur Entwarnung ist.

Ihr Kollege Hans-Herbert von Arnim meint schon seit Jahren, die Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht und sieht das nach dem Krieg etablierte Parteiensystem der Bundesrepublik „am Ende“. Auch Sie sprechen in Ihrem jüngsten Buch von den „Parteien außer Kontrolle“. Teilen Sie die fundamentale Kritik von Arnims?

Scheuch: Im Gegensatz zu meinem Kollegen habe ich etwas mehr Optimismus, mit entsprechenden Gesetzen doch noch gegensteuern zu können. Ob allerdings die notwendigen Gesetzte erlassen werden, ist natürlich die Frage.

Was halten Sie von der anstehenden Novellierung des Gesetzes zur Parteienfinanzierung?

Scheuch: Da bin ich sehr skeptisch, denn bei dem jetzt diskutierten Entwurf versuchen Politiker nach wie vor, Schlupflöcher möglichst weit offenzulassen.

Reicht es denn tatsächlich, ein paar Sicherungsgesetze einzubauen, oder muß nicht vielmehr das gesamte etablierte Parteiensystem in Frage gestellt werden?

Scheuch: Auf jeden Fall muß man feststellen, daß es in allen großen kontinentalen Ländern in Europa todkrank ist - vor allem in Italien, gefolgt von Frankreich und dann von Deutschland. Ich glaube aber, daß mehrere Maßnahmen gleichzeitig einen Genesungserfolg bringen könnten: Ein Ende der Praxis, Großspenden steuerlich absetzen zu können, die Einführung eines Rückberufungsrechts gegenüber Abgeordneten, die gefehlt haben, Aberkennung des passiven Wahlrechts für Beamte - eine Sache, die als Möglichkeit schon das Grundgesetz vorsieht - und die Einführung von Primärwahlen, also die Einflußnahme von Bürgern oder wenigstens der Parteibasis auf die Kandidatenaufstellung.

Ist in einer Demokratie nicht auch das Erscheinen neuer Parteien, etwa der Schill-Partei, ein regenerierender Faktor?

Scheuch: Nein, denn zum Beispiel in Italien ist das Parteiensystem der Nachkriegszeit zusammengebrochen, ein neues hat sich etabliert, doch nichts hat sich gebessert.

Erwarten Sie aber im Ernst, daß die Nutznießer von Filz und Korruption, die etablierten Parteien, jemals die notwendigen Reformen anpacken werden und sich damit selbst ihrer Privilegien entheben?

Scheuch: Jetzt kommen wir in den Bereich der Astrologie, dafür bin ich nicht mehr zuständig. Diesen Prozeß herbeizuführen ist in einer funktionierenden Demokratie Aufgabe der Presse und der kritischen Bürger allgemein.

 

Prof. Dr. Erwin K. Scheuch geboren 1928 in Köln. Scheuch ist emeritierter Ordinarius für Soziolgie und hat sich internationale Reputation unter anderem als empirischer Sozialforscher und durch Beiträge zur Wissenschaftstheorie erworben. Dabei scheute er auch nicht die politische Auseinandersetzung: 1970 gehörte er zu den Gründern des „Bund Freiheit der Wissenschaft“. Große Beachtung fand seine gemeinsam mit seiner Ehefrau Ute publizierte Studie „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ (Rowohlt, 1992), die sich mit dem Phänomen des Parteiensystems befaßte. Aus Protest gegen private Flüge der Bundestagspräsidentin Süssmuth mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr trat Scheuch 1996 aus der CDU aus. Zur Parteienkrise veröffentlichte das Ehepaar außerdem „Die Spendenkrise. Parteien außer Kontrolle“ (Rowohlt, 2000).

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