© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Multikultureller Feldversuch
Demographie: Ein brisantes Plädoyer für die Steigerung der Geburtenrate und eine Begrenzung der Zuwanderung
Robert Wiemer

Die „Vergangenheitsbewältigung“ ist in Deutschland kein geschichtspolitisches Glasperlenspiel, das einem kleinen Kreis von Gedenkstättenleitern und Mahnmalbetreuern zu subventioniertem Nichtstun verhilft. In den letzten dreißig Jahren ist sie vielmehr zu einer Zivilreligion ausgewachsen, die das Selbstverständnis und das Handeln nicht nur der politischen Klasse bestimmt. Die Fixierung auf das Dritte Reich determiniert darum vor allem jene gesellschaftspolitischen Entscheidungen, die man früher die „Schicksalfragen der Nation“ genannt hätte.

Nirgends wird das deutlicher, als in der laufenden Migrationsdebatte. Denn der aktuelle Streit um die „Zuwanderung“, so argumentiert der CDU-Politiker Norman van Scherpenberg im neuen Heft des List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik (4/01), ist dem volkspädagogischen Tabu geschuldet, das in der alten Bundesrepublik über den Begriff der „Bevölkerungspolitik“ verhängt worden sei. Noch heute gelte vielfach, daß renommierte Bevölkerungswissenschaftler ausdrücklich betonen müßten, daß sie Bevölkerungspolitik ablehnen, weil die demographische Forschung zwischen 1933 und 1945 durch rassenideologisch motivierte Zielsetzungen „belastet“ gewesen sei.

Die Tabuisierung von demographischer Forschung und aktiver Bevölkerungspolitik war so erfolgreich, daß die „bürgerliche Mitte“, die das Land fast zwanzig Jahre regierte, auf jede Gestaltung der Zuwanderung verzichtete. So half sie kräftig mit, gerade jene multikulturellen Visionen zu realisieren, vor deren Umsetzung sie ihre Wählerschaft im Ringen um den rot-grünen Gesetz-entwurf warnen zu müssen glaubt. Die „unbedachte“, passive Bevölkerungspolitik der Kohl-Ära hat also die „besorgniserregenden Veränderungen in der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland“ zu verantworten, um deren „Zukunftswirkungen“ augenblicklich politisch so heftig gestritten wird.

Die Eckdaten der demographischen Malaise, die van Scharpenberg in seinem Beitrag rekapituliert, sind bekannt: Zum einen ist Deutschlands Geburtenrate mit einer Kinderzahl von 1,3 „pro Frau im gebärfähigen Alter“ ganz unten auf der europäischen Skala zu finden, das vermeintlich so progressive Eldorado der „Frauenförderung“ nahe bei den „Macho-Kulturen des Mittelmeerraums (Spanien, Italien, Griechenland)“, wo man noch keinen gangbaren Weg der Verbindung zwischen Mutterschaft und Erwerbstätigkeit beschritten habe. Zum anderen sei man als De-facto-Einwanderungsland nicht in der Lage gewesen, zu selektieren: Was Bildung und Beruf angehe, habe man Zuwanderer ins Land gelassen, die „im Durchschnitt sehr viel geringer qualifiziert“ seien, „als die Bestandsbevölkerung in Deutschland“. Daher lautet van Scharpenberg Fazit: „Mit der Bevölkerungspolitik, die die Deutschen seit einigen Jahrzehnten betreiben, ruinieren sie ihr Land, ihr Volk, ihre Gesellschaft...“

Angesichts so verhängnisvoller politischer Weichenstellungen präsentiert van Scharpenberg brisante Denkanstöße, um gegenzusteuern. Der ehemalige niedersächsische Staatssekretär hält dabei - vorsichtshalber unausgeprochen - am Leitbild ethnischer Homogenität fest. Erteilt er doch der fatalen Koalition von Multikulturalisten und Rentenarithmetikern eine klare Absage, die allein in Quantitäten denkt und propagiert, „Bevölkerung“ mit „Menschen“ aus aller Herren Länder beliebig „auffüllen“ zu können.

Bevölkerungspolitik ist „ideologisch belastet“

Ein Volk, so van Scharpenberg, bestehe aber nicht nur aus gezählten Köpfen. Nicht auf Quantitäten, auf Qualitäten komme es an. Erziehung und Ausbildung als „für das Volk spezifische Prägung“, müßten im eigenen Land erfolgen und mit der Geburt beginnen. Das sei nur scheinbar teurer, als „fertig ausgebildete Menschen“ zu importieren. Denn erstens wisse man nicht, welche Menschen freiwillig kommen, wenn man Zuwanderung brauche. Zweitens benötigen Zuwanderermassen einen erheblichen Aufwand für Integration und Assimilation, „ganz zu schweigen von den Kosten, wenn dies nicht gelingt“. Und „zum Dritten existieren emotionale Faktoren wie Heimatgebundenheit und Zugehörigkeitsgefühl, die möglicherweise die in den Menschen latent grundsätzlich vorhandene Konfliktbereitschaft verringern und damit auch die Kosten der Konfliktkontrolle im Innern vermindern.“ Womit van Scharpenberg die bereits bestehenden sozialen Konfliktzonen im Rahmen der von Ghettoisierung, Arbeitslosigkeit und Ausländerkriminalität sich ausbildenden „Parallelgesellschaften“ noch höflich umschreibt.

Eine aktiv gestaltende, die deutsche Geburtenrate steigernde Bevölkerungspolitik müsse primär Frauenpolitik sein. Aber eine, die sich von herkömmlich „emanzipativen“ Rastern emanzipiere. „Wir brauchen eine eigenständige Alters- und Gesundheitsversicherung der Frauen, unabhängig von ihrer eigenen Erwerbsbiographie, damit sie sich auch bei einer Entscheidung für Mutterschaft und Familie sozial hinreichend gesichert fühlen.“ Ferner müßten die Wiedereinstiegschancen ins Berufsleben für Mütter verbessert werden. Kindergartenzeiten hätten sich am Tagesrhythmus der Mutter zu orientieren, nicht an „tarifgeregelten Arbeitszeiten für Kindergärtnerinnen“. Der finanzielle Familienlastenausgleich müsse endlich lohnende Anreize bieten, Kinder bekommen und großziehen zu wollen.

Da die Geburtenrate sich aber nicht von heute auf morgen steigern lasse, bleibe dieses Land, nach den schweren bevölkerungspolitischen Fehlern der Vergangenheit, auf eine maßvolle Zuwanderung angewiesen. Die sei aber künftig ausschließlich nach der Devise zu regeln: Wir müssen mit Einwanderungspolitik „unsere Probleme lösen wollen und nicht die Probleme der ganzen Welt“. Keinesfalls dürfe die bislang auf dem Asylticket geduldete Zuwanderung aus Billiglohnländern anhalten. Deutschland werde sonst zum Standort für Niedriglohnfertigung und -dienstleistung von „Bewohnern“, womit der politische und wirtschaftliche Niedergang vorprogrammiert sei.

Ob die politische Klasse dies wolle oder nicht, ist nach van Scharpenbergs Ansicht eine bevölkerungspolitische Grundsatzfrage. Nämlich die, „welches Volk wir eigentlich durch unsere Politik gestalten wollen“.


 
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