© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Zielstrebig und widersprüchlich
Nachruf: Zum Tod der Publizistin Marion Gräfin Dönhoff
Carl Gustaf Ströhm

Mehr als sie selber wahrhaben wollte, war sie ein Produkt der alten Adenauerschen Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, obwohl sie den ersten Kanzler nicht leiden (und wohl auch nicht verstehen) konnte. Jetzt, da die letzten handelnden Personen der Adenauer-Ära dahingehen, hat auch Marion Gräfin Dönhoff, Herausgeberin und langjährige Chefredakteurin der linksliberalen Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, im Alter von 92 Jahren in der Nacht zum 11. März für immer die Augen geschlossen.

Die am 2. Dezember 1909 auf dem Familiensitz Schloß Friedrich geborene Dönhoff stammt aus ostpreußischem Adel. Ihr Vater August Karl Graf Dönhoff war Mitglied des Preußischen Herrenhauses und Reichstagsabgeordneter, ihre Mutter Ria von Lepel eine Palastdame der Kaiserin Auguste Viktoria. Nach ihrem Volkswirtschaftsstudium in Frankfurt am Main und Basel und ihrer Promotion über die Entstehung und Verwaltung des Familienbesitzes kehrte Marion Gräfin Dönhoff 1937 nach Ostpreußen zurück, wo sie zwei Jahre später die alleinige Gutsverwaltung übernahm.

Umstritten ist bis heute ihre Rolle im deutschen Widerstand gegen das Hitler-Regime. In ihren eigenen Schriften - zuletzt in dem 1994 erschienenen Buch „Um der Ehre willen“ mit dem Untertitel „Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli“ - suggerierte Gräfin Dönhoff stets ihre aktive Zugehörigkeit zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Zweifel an dieser Darstellung meldete 1999 der Ex-Diplomat Paul Stauffer in seiner Monographie über den Schweizer Historiker Carl J. Burckhardt an. Darin wies er der Gräfin, die sich vor dem Krieg mit Burckhardt mehrfach getroffen hatte und später Briefkontakt zu ihm hielt, Widersprüche und Ungereimtheiten in ihrer Biographie nach. „In der gesamten Forschungsliteratur zum deutschen Widerstand kommt der Name Marion Dönhoff so gut wie nicht vor“, stellte der Publizist Heimo Schwilk 1999 fest.

Im Januar 1945 kam sie im Flüchtlingstreck zu Pferde nach Hamburg - die mordende und brandschatzende Rote Armee auf den Fersen. Das väterliche Schloß war in Flammen aufgegangen. Über das entschwundene Ostpreußen schrieb sie 1962 ein Erinnerungsbuch unter dem Titel „Namen, die keiner mehr kennt“. Das Buch wird die meisten ihrer tagespolitischen und anderen publizistischen Arbeiten wohl überdauern.

Im Hamburg der Nachkriegs- und Aufbaujahre machte die herbe und gescheite Aristokratin bald von sich reden. Sie stieg von der freien Mitarbeiterin der Zeit (ab 1946) zur Ressortchefin für Politik (1955) und dann, im entscheidenden Jahr 1968, zur Chefredakteurin auf; vier Jahre später wurde sie zur Herausgeberin berufen. Bereits damals zeigte sich, daß mit der zielstrebigen Gräfin - wie sie in ihrer Redakion kurz genannt wurde - nicht zu spaßen war: Sie bootete die Gründungsväter der zu Beginn konservativ bis nationalliberalen Zeit konsequent aus und verpaßte dem Blatt einen scheinbar nonkonformistischen, in Wirklichkeit voll im Zeitgeist schwimmenden Trend, der bis heute anhält.

Während die Bundesrepublik ein antikommunistisches Bollwerk zu sein schien, begann die Dönhoff mit einer „Aussöhnungspolitik“ in Richtung Osten; und zwar Aussöhnung auch und gerade mit den kommunistischen Regimen. Daraus resultierten bei ihr und anderen Zeit-Autoren geradezu groteske Mißinterpretationen der Lage in kommunistischen Staaten. Ob Breschnew oder die polnischen Kommunisten, ob Rumäniens Diktator Ceausescu oder SED-Chef Erich Honecker: die Zeit und ihre Gräfin waren voller Einfühlungsvermögen für den kommunistischen Osten. Kreml-Experten wie Wolfgang Leonhard oder Botho Kirsch, die vor zu viel Euphorie warnten, wurden als Autoren kaltgestellt. Statt dessen erschienen in der Zeit noch 1987 hanebüchene Lobhudeleien auf die DDR und ihren beim Volk angeblich beliebten Staatschef Honecker. Ähnlich wie die meisten Bonner Politiker, hatte auch Gräfin Dönhoff die Wiedervereinigung längst abgeschrieben. Als dann die deutsche Einheit kam, war auch die publizistische Ära und Aura der Dönhoff vorbei. Ihre Art von Journalismus und Weltbetrachtung hatte sich spätestens mit dem Fall der Berliner Mauer überlebt.


 
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