© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Der Zauberlehrling
„Sieben gegen Schröder“: Reiner Kröhnert zelebriert wunderliches politisches Kabarett
Wolfgang Scheidt

Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“, fleht Reiner Kröhnert. Gerhard Schröder, Angela Merkel, Friedrich Merz & Co. spuken in seinem Kopf umher, wollen ihn partout nicht mehr los lassen. Schizophrenie? Multiple Persönlichkeit? Nein, Reiner Kröhnert ist nur Polit-Parodist. Seit rund zwanzig Jahren schlüpft der Vollblut-Satiriker in den Körper der Polit-Prominenz, sucht nach deren verloren geglaubter Seele, um sie dann auf der Kleinkunstbühne hemmungslos offen zu legen. Selbst scheinbar unpolitische Personen wie Boris Becker, Klaus Kinski oder Erich Böhme werden bei ihm zum Politikum. Kröhnerts Stoßseufzer aus Goethes „Zauberlehrling“ ist die Zugabe seines aktuellen Soloprogramms „Sieben gegen Schröder“, mit dem er derzeit von München über Berlin bis in den Hamburger Norden gastiert.

Kröhnert ist Kabarettist mit Leib und Seele, der 43jährige Kurpfälzer lebt für seinen Beruf. „Bevor ich einen Politiker auf der Bühne imitiere, studiere ich alles von ihm, was ich in die Finger bekomme“, sagt er. Bundestagsdebatten, Biographien, Politgespräche und Nachrichten gehören genau so dazu, wie die tägliche Presselektüre. Politisch ist Kröhnert immer auf Ballhöhe. Fast ein Jahr lang hat er an seinem fünften Soloprogramm „Sieben gegen Schröder“ gearbeitet, an Figuren und Texten gefeilt. Bis jeder Seufzer, jedes Räuspern sitzt. Zufrieden ist er nie mit dem Ergebnis, ständig verändert und aktualisiert der bekennende Perfektionist die Dialoge, verfeinert die Gesten, die Mimik der parodierten Polit-Personen.

Angela Merkel zieht dümmlich-dialektisch ihre Schultern nach oben, die Mundwinkel nach unten. „Mich will ja keiner, weil ich eine Frau und aus dem Osten bin“ - paff, jedes Wort ein Volltreffer. Virtuos entlarvt Kröhnert Merkels Mitleids-Mentalität. Derweil bleckt Edmund Stoiber wie ein blau-weißer Löwe angriffslustig mit den Zähnen, im bajuwarischen Bierhaus-Dialekt appeliert er an „Zucht und Ordnung im Freistaat Deutschland“.

Kanzlerkonkurrent Gerhard Schröder setzt derweil ein dermaßen breites Grinsen auf, als wären sämtliche TV-Kameras auf ihn gerichtet. Lachen ist gesund! Dabei steht doch nur Reiner Kröhnert auf der Bühne, der chamäleongleich in seine Helden schlüpft - ohne Maskerade und fast ohne Requisiten. Nur bei Angela Merkels „Prinz-Eisenherz-Frisur“ muß eine Echthaarperücke her und bei Erich Honecker kommt die gute, alte „sozialistische“ Pelzmütze zum Einsatz. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ein Querdenker war Kröhnert von klein auf: Den Kindergarten quittiert das Enfant terrible nach drei Tagen, mit 19 Jahren verweigert er die Annahme des Abiturs. Vielleicht liebt er deshalb die Außenseiter und setzt ihnen in seinen Programmen kabarettistische Denkmäler. In „Sieben gegen Schröder“ ist der Provokateur Klaus Kinski als politischer Messias der unumstrittene Star. Wer sonst, wenn nicht Kinski, könnte unsere Republik vom „Satan im Armani-Zwirn“, dem Fleisch gewordenen „Anti-Christen“ Gerhard Schröder befreien?

Ein oppositioneller „Jüngerkreis e.V.“ der ‘Glorreichen Sieben’ aus Angela Merkel, Friedrich Merz, Daniel Cohn-Bendit, Peter „Petrus“ Hintze, Rita Süssmuth, Volker Rühe und Boris Becker harrt ungeduldig der Rückkehr des heiligen Heilsbringers. Sie alle gehören zu Kröhnerts Bühnen-Ensemble. Und Hosianna in der Höh’, dann erscheint er, der Erlöser der Republik. Rita Süßmuth zittert am ganzen Leib, die „Jungfrau im Geiste“ gerät in Ekstase. Denn aus ihrem Leibe spricht der Messias in Person des leibhaftigen Klaus Kinski. „Arsch-Apostel, ersaufen sollen sie im Lügen-Brei“, begrüßt der „Jesus Christus Superstar“ seine Fan-Gemeinde. Ein politisches Evangelium noch vor der kommenden Bundestagswahl. Wild zuckt es um Kinskis Erlösermund, aus dem vulgäre Beschimpfungen gleich einem Wasserfall bersten. „In euren Eingeweiden sollen Trichinen Hofstatt halten und euren Weibern sollen vom Arsch die Falten in die Visagen wandern“, rüpelt er. Nur der „Lieblingsjünger“ Boris Becker, dessen Hobby „poppen ohne stoppen“ ist, findet Kinskis Gnade. Doch der „Brutalinski“ scheitert am Judaskuß des Apostel Hintze, „kreuzigt ihn!“ schreit Volker Rühe. Am Ende setzt Schröder souverän sein bewährtes Kanzlerlächeln auf, indem er dem Jünger-Treiben ein jähes Ende setzt: „Bundeskanzler zu sein, ist schließlich kein schlecht bezahlter Job und sollte demgemäß weltlich orientiert sein“, schwadroniert Schröder. Operation mißlungen, Patient lebt!

Egal, ob im Berliner Mehringhof-Theater oder im Hamburger Lustspielhaus - die Zuschauer klatschen, nach zwei geistig erregenden Stunden Kabarett, enthusiastisch Beifall. In der Münchner Lach- und Schießgesellschaft zählt Hans-Jochen Vogel, selbst Zielscheibe von Kröhnerts Parodie-Attacken, seit Jahren zu den großen Bewunderern des Kabarettisten. In Berlin ist Günter Jauch stets Stammgast.

Politischen Rückenwind erhält Kröhnert von Günter Grass. „Ich finde es zeitgeschichtlich bemerkenswert, daß ein Nobelpreisträger Edmund Stoiber in eine Reihe mit Silvio Berlusconi und Joseph Haider stellt.“ Kröhnert glaubt, einem kabarettistischen Spürhund gleich, eine intellektuelle Strömung im Stile der „Stoppt Strauß“-Bewegung zu wittern. „Ich halte einen Gerhard Schröder für das geringere Übel“, bekennt er Farbe. „Deshalb muß alles getan werden, um eine zunehmende Stoiberisierung zu verhindern. Denn nicht einmal der Allmächtige kann einen möglichen Wahlsieg Stoibers rückgängig machen!“, warnt er.

Doch Kröhnert will sein Publikum nicht missionieren, sondern mit seinen Texten, seinen Figuren politisch provozieren, zum Nachdenken anregen. „Ich mache jetzt definitiv Feierabend“, verrät er am Ende von „Sieben gegen Schröder“. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und träumen Sie etwas Nettes.“ Und tatsächlich. Gerd, Angi, Edmund, Klaus, Boris - sie alle schwirren in meinem Kopf umher. Gnadenlos. Die Kröhnert rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los. Bis zur kommenden Bundestagswahl?


 
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