© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
CD: Mediale Musik
Unerhört
Walter Thomas Heyn

Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) ist vom 22. bis 24. März Treffpunkt der internationalen Medienkunst-Avantgarde. Über 100 Einzelkünstler und Gruppen aus 15 Ländern präsentieren beim Festival „Intermedium 2“ Produktionen zum Thema „X oder O: Identitäten im 21. Jahrhundert“ Zehn öffentlich-rechtliche Radiosender übertragen das 18stündige Festivalprogramm bis einschließlich 28. März in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Elektronische Musik funktioniert zuzunehmend wie der Stein der Weisen: mit der richtigen Ausrüstung läßt sich aus jedem Klang jeder andere generieren. Die computergestützten digitalen Sudelküchen für die modernen Ton-Hexer und Klang-Magier bieten Manipulationsmöglichkeiten, die einem damit unvertrauten Kopf nur als Trauma erscheinen können. Doch Kunst kann auch mit diesem avancierten Material erzeugt werden. Wenn auch die Begriffe „Kunst“ oder „Musik“ radikal bis an die äußerste Grenze ausgedeutet und ihrer kanonisierten Bedeutung beraubt sind, so ist doch nicht auszuschließen, daß gerade auf diesem - von der Öffentlichkeit wenig beachteten - Gebiet die eigentlichen schöpferischen Leistungen der Gegenwart vollbracht werden.

Das Label Intermedium Records (Landshuter Str. 7, 85435 Erding, Tel. 0 81 22 / 8 92 02-4) präsentiert diese anspruchsvollen Hörwelten auf der Doppel-CD „From one2two“. Die beiden prall gefüllten Scheiben (über 150 Minuten) enthalten neben 26 Ausschnitten aus allen bisherigen 12 Veröffentlichungen auch noch zwei unveröffentlichte Titel.

Die Kunst bei dieser Kunst besteht darin, dem toten, industriell vorgefertigten Klangmaterial Individualität und „Leben“ einzuhauchen und es so zu verwandeln, daß andere Menschen sich dafür interessieren. Dabei führen viele Wege in den musikalischen Olymp. Vom nervensägenden Voll-auf-die-Zwölf-Geräusch-Chaos bis zur meditativen Fläche mit ihren kaum wahrnehmbaren Veränderungen ist alles vertreten. Auf der ersten CD liefert Thomas Meinecke mit dem Track „Welche Farbe hat Maria Carey“ eine gelungene Montage musikalischer Schichten ab, die sich allmählich verdichten und einander verdrängen. Das „Concerto in Koch-Minor“ von Sparks jagt Streicherklänge im Stile von Rondo Veneziano durch allerlei digitale Foltergeräte, während eine Männerstimme euphorisch dazwischenruft, wie „wunderbar“ alles sei. Das klingt eher lustig formuliert, aber der Höreindruck ist von gespenstischer Eindrücklichkeit.

Die zweite CD beginnt mit dem „original theme“ von Daniel Kluge und Edouard Stork. Die beiden Klang-Tüftler verbinden die Aggressivität von ursprünglichem Hard-Rock mit entrückter Meditation. Die beiden Ebenen werden zusätzlich von rasenden Linien und Flächen durchkreuzt und durchschossen und immer mal wieder überschlagen sich alle Elemente in einer Konsequenz, die Arte nicht in tiefster Nacht zu senden sich wagen würde.

Philip Jeck montiert in „Vinyl Coda IV“ romantische Klavierklänge mit häßlichen Schabgeräuschen. Auch das liest sich banal, ist aber von beeindruckender Suggestion. Von Hans Platzgumer und Ca Mi Tokujiro wird eine fünfteilige Suite mit dem Titel „Shonen A“ vorgestellt. Auch hier ist eine starke Textpassage Anlaß für die Hervorbringung eigenständig geformter Hör-Welten: „Das, was man nicht aufhalten kann, kann man nicht aufhalten. Das, was man nicht töten kann, kann man nicht töten.“ Dieser bemerkenswerte Satz möge auch auf die vorgestellten Werke zutreffen. Man kann diese Art Kunst nicht ignorieren oder aufhalten. Sondern die Hörer sollten sich hineinbegeben in eine große und freie Welt unerhörter Klänge und eindrucksvoller ästhetischer Positionierungen. Nur Mut!


 
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