© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Strahlkraft
Zur Erinnerung an den Tenor Fritz Wunderlich
Julia Poser

Für die Musikwelt war der 17. Juni 1966 ein schwarzer Tag: Kurz vor seinem 36. Geburtstag starb der beste deutsche lyrische Tenor, Fritz Wunderlich, an den Folgen eines tragischen Sturzes. Seine hohe Gesangskunst, das silbrige Timbre seines lyrischen, aber dennoch kraftvollen Tenors ist von keinem seiner Nachfolger erreicht worden - mögen sie noch so populär sein. Nur er hatte die Gabe, Bach-Oratorien, Händel-, Gluck- und Mozart-Opern, Schubert- und Schumann-Lieder, wie auch Komponisten des 20. Jahrhunderts, aber auch Operette und sogar Schlager gleichermaßen vollendet mit berückendem Schmelz und makelloser Schönheit zu singen.

Fritz Wunderlich wurde am 26. September 1930 im pfälzischen Kusel geboren. Der Vater war Militärkapellmeister, die Mutter Geigerin in einer Damenkapelle. Schon als Schüler wurde seine stimmliche Begabung entdeckt, und nach erstem Gesangsunterricht in Kaiserslautern kam Wunderlich an die Musikhochschule Freiburg, wo er Gesang und Waldhorn, ein großartiges Atemtraining, studierte. Nebenbei mußte der Student in Tanzkapellen Geld verdienen. In einer Freiburger Studentenaufführung sang er zum ersten Mal den Tamino in der „Zauberflöte“. Ein Agent, der ihn hörte, empfahl ihn an die Stuttgarter Staatsoper, wo er in kleineren Rollen erste Bühnenerfahrung sammeln konnte.

Fünf Jahre später holte ihn die Bayerische Staatsoper nach München. Seine erste Partie dort war wieder der Tamino. Internationales Aufsehen erregte Wunderlich im Sommer 1959 bei den Salzburger Festspielen, wo er in Richard Strauss’ komischer Oper „Die schweigsame Frau“ sang. Damit begann sein Aufstieg: Gastspiele in Berlin, Venedig, Buenos Aires, Paris, Rom, an der Mailänder Scala, in London und Wien machten ihn überall bekannt. In diesen Jahren entstanden auch zahlreiche Platteneinspielungen: Leukippos in Strauss’ „Daphne“, Hans in der „Verkauften Braut“, „Wilsschütz“, „Die lustigen Weiber von Windsor“, den Belmonte in Mozarts „Entführung“, Alfredo in „La Traviata“, Don Ottavio in „Don Giovanni“, den Tamino, aber auch Mahlers „Lied von der Erde“, Bergs „Wozzek“ und Werner Egks „Verlobung in St. Domingo“.

Aus Wunderlichs großem Schatz vielfältiger Aufnahmen hat mit Hilfe seiner Frau Eva Wunderlich die Deutsche Grammophon jetzt eine Sammlung von vier CDs zusammengestellt. Die erste CD zeigt Wunderlich als bedeutenden Bach-Sänger. Bach und barocke Musik standen während seiner Ausbildungsjahre in Freiburg im Vordergrund. Selbst später bat er seine Intendanten stets zur Osterzeit um Urlaub, um Bachs Passionen singen zu können. Sein Partner bei einer Ansbacher Bachwoche, Dietrich Fischer-Dieskau, schrieb darüber: „Fast erschrak ich beim Hören, denn diese Stimme hatten einen bedrückenden Schmelz und dabei doch das notwendige Gran Metall im Klang.“ Die CD enthält Ausschnitte aus der Matthäus Passion, dem Magnificat und dem Weihnachtsoratorium, und ist in Wunderlichs eindringlicher Interpretation überwältigend.

Dem Mozartsänger Wunderlich ist die zweite CD gewidmet. Als Mozartsänger wurde er der Welt ein Begriff, obwohl sein Repertoire von Bach bis Egk und Orff reichte. Als Belmonte in „Die Entführung aus dem Serail“ sollen „die goldene Strahlkraft seiner Stimme und die sehnsuchtsvollen Konstanze-Rufe Steine zum Erweichen gebracht haben“ (Stuttgarter Zeitung). Sein Belmonte ist ein kraftvoller Mann, kein blutarmes Bürschchen. „Er hat Schluß gemacht mit dem Gesäusel“, sagte die Sängerin Erika Köth, seine Konstanze, über ihn. Und erst sein Tamino, seine Schicksalsrolle! Jedes Wort ist beseelt, die Höhe ist leicht und frei und mit schier unendlichem Atem. Keiner hat den Prinzen strahlender gesungen als er. „Wie stark ist nicht dein Zauberton“ gilt heute immer noch. Auch nach über dreißig Jahren ist die Gesamteinspielung der „Zauberflöte“ unter Karl Böhm (DG 44974-2) unerreicht.

Auf der dritten CD singt Wunderlich Schumanns „Dichterliebe“, vier Beethoven-Lieder und neun Schubert-Lieder. Mit wunderbarer Einfachheit und Natürlichkeit drückt er die jeweilige Stimmung der Lieder aus. Wunderlichs Lehrer und Begleiter Hubert Giesen nennt den Sänger „konkurrenzlos unter den großen Liedersängern seiner Zeit“. Hierzu legt die Deutsche Grammophon als kleines Extra eine kurze Bonus-CD bei, auf der man Wunderlich und Giesen bei der Arbeit an der „Dichterliebe“ zuhören kann.

Wunderlichs großes Vorbild war Richard Tauber, der in der zweiten Hälfte seiner Karriere der leichten Muse zugetan war. Aber ob E- oder U-Musik, beides sang er mit Begeisterung und Können. Die vierte CD bringt populäre Lieder und Schlager. Keiner schmettert so hinreißend „Granada“, singt so verführerisch „Ich küsse Ihre Hand, Madame“, oder so rasant Rossinis „La Danza“ wie er. Sogar das „Ave Maria“ adelt er mit seiner begnadeten Stimme.

Den vier CDs ist eine Biographie Wunderlichs und ein liebevoller Beitrag, illustriert mit einigen privaten Fotos von seiner jüngsten Tochter, Barbara Wunderlich, beigefügt.

Anfang September 1966 stand er als Tamino bei den Edinburger Festspielen zum letzten Mal auf der Bühne. Ehe er zu einem Debüt an der New Yorker Met abreisen wollte, plante Wunderlich ein paar Erholungstage im Jagdhaus von Freunden. Nachts stürzte er dort auf der Treppe und prallte mit dem Kopf auf den Steinboden. In den frühen Morgenstunden des 17. September 1966 ist Fritz Wunderlich dann gestorben. Die CD-Sonderausgabe widmet ihm jetzt ein ehrendes Angedenken.


 
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