© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lebensträume
Karl Heinzen

„Welcher Lebensstandard wird mir im Alter möglich sein?“ Auf diese zentrale Frage eines jeden, der seinen Weg in der Wirtschaftsgesellschaft geht, ant­wortet die Politik heute nicht mehr ausweichend. Man kann sich unterdessen darauf verlassen, daß der Übergang vom Erwerbsleben ins Rentnerdasein in Zukunft sehr viele zu einer stärkeren Senkung des Lebensstandards zwingen wird, als sie vergangene Generationen hinzunehmen hatten. Für diese Gewißheit gesorgt zu haben, ist der eigentliche Kern der Rentenreform.

Offen bleibt allerdings die Frage, in welchem Ausmaß die staatliche Rentenversicherung ihren ursprünglichen Zweck verfehlen wird. Aus Erfahrung kann man davon ausgehen, daß sich die Prognosen der politischen Verantwor­tungsträger beizeiten als zu optimistisch erweisen dürften. Die Un-sicher­heit, für die der Staat hier sorgt, ist aber ausnahmsweise produktiv: Sie weckt die Nachfrage nach neuen Ver-sicherungsprodukten, die der Markt bereitzustel­len vermag. Private Altersvorsorge heißt nämlich zu allererst: Der Staat versperrt privaten Anbietern nicht län­ger die Chance, die er selber nicht wirklich genutzt hat: an der Furcht der Menschen vor Altersarmut zu verdienen. Zudem darf ein demokratisches und so­ziales Gemeinwesen den Menschen die Übernahme von Verantwortung für sich selbst nicht erschweren, indem es ihnen diese abnimmt.

Wer privat vorsorgt, will sich vor allem vor Selbstkritik im Alter schützen: Habe ich wirklich alles versucht, um Wohlstandseinbußen abzuwenden? Das soll niemand verneinen müssen, ganz gleich, wie gut oder schlecht es ihm später dann auch ergehen mag. Je pessimisti­scher die Rentenaussichten für die Zu­kunft erscheinen dürfen, desto weniger ist es angeraten, sich mit dem Nachsin­nen über Gegenstrategien, die ja doch nichts ändern können, die Gegenwart zu vermiesen. Eine wirkliche Hilfestellung für den Kunden bieten daher einzig jene Finanzdienstleister, die ihm das Heute erleichtern wollen, in dem sie nicht an das Morgen rühren. Die Menschen glauben nicht mehr an die Sicherheit, und sie wissen, daß sie als Eigentümer eines kleinen Vermögens dieses nie wirklich gewinnbringend anlegen können. Was sie sich aber leisten wollen, ist ein gutes Gefühl, das für eine Weile vorhält. Die private Altersvorsorge hat folglich eher etwas mit Wellness oder Lifestyle denn mit klassischen Versicherungs- oder Bankgeschäften zu tun. Wenn Tchibo Axa-Policen verkauft und Karstadt in Bälde mit dem Partner Ergo diesem Bei­spiel folgen wird, handelt es sich also nicht um eine zwar originelle, letztlich aber perspektivlose Vertriebsstrategie, sondern um den ausgeklügelten Versuch, auf Dauer eine neue Nähe zum Kunden mit seinen tatsächlichen Bedürf­nissen zu gewinnen. Sparen und Konsum sind nicht mehr sauber auseinanderzu­halten. Auch Produkte der Altersvor­sorge sind hübsch zu verpacken und in einem angenehmen Ambiente zu präsentie­ren. Der Policenverkäufer von morgen setzt auf Eleganz, nicht auf Eloquenz.


 
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