© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
„Der Tod des Westens“
Der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Patrick Buchanan über den Zerfall des Abendlandes und den Kampf der Kulturen
Ronald Gläser / Moritz Schwarz

Herr Buchanan, worin unterscheidet sich Ihr jüngstes Buch „The Death of the West“ von dem zwischen 1918 und 1922 veröffentlichten Werk Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“?

Buchanan: Mein Titel erinnert offensichtlich an „Der Untergang des Abendlandes“ von Spengler. Aber ebenso erinnert er an das Buch „Der Selbstmord des Westens“, von James Burnham, geschrieben 1964. Und ehrlich gesagt ist es Burnham, neben T. S. Elliot, der mein Buch entscheidend beeinflußt hat.

Der Titel des Buches könnte dramatischer kaum sein. Versuchen Sie dadurch die Aufmerksamkeit zu erlangen, die Ihnen während Ihrer letzten US-Präsidentschaftskandidatur versagt geblieben ist?

Buchanan: In der Tat, denn während des letzten Wahlkampfes wurde die Buchanan-Kampagne durch die Medien weitgehend totgeschwiegen. Mir wurde die Teilnahme an den Fernsehduellen untersagt, obwohl ich für eine der drei nationalen Parteien, die Reformpartei Ross Perots, die bei den Präsidentschaftswahlen 1992 immerhin 19 Prozent der Stimmen bekommen hat, angetreten bin. Deshalb habe ich das Buch geschrieben: um die Botschaft, die ich im Jahr 2000 nicht überbringen konnte, dem amerikanischen Volk, aber auch dem Westen insgesamt mitteilen zu können.

Sie zählen auch Rußland zum Westen.

Buchanan: Ich halte Rußland für einen Teil des Westens, so wie alle christlichen Völker - katholisch, protestantisch oder orthodox. Und schließlich ist zum Beispiel russische Literatur Bestandteil des großen Kanons der westlichen Literatur. Jedermann kann doch den westlichen Einfluß sehen, zum Beispiel in St. Petersburg. Höchstens in Moskau macht sich ein wenig östlicher Einfluß bemerkbar.

Ihr Buch beschreibt also den Niedergang der „weißen Völker“?

Buchanan: Es sind nicht nur die weißen Völker, die sterben. Japan zum Beispiel ist das älteste Volk der Erde. Auch Japan stirbt aus. Während meiner Recherche bin ich auf folgendes gestoßen: Nicht die Rasse oder Hautfarbe ist für den Tod des Westens verantwortlich. Es ist der Tod des Glaubens und des Christentums, der unsere Kultur, unsere Nationen und unsere Zivilisation zerstört. Noch 1960 erlebte jede westliche Nation einen Bevölkerungszuwachs. Osteuropa und Rußland mit eingeschlossen, hatte der Westen einen Anteil von 25 Prozent an der Weltbevölkerung. Heute sind es nur noch 16 Prozent. Jede westliche Nation stirbt vor sich hin. Die Ursache für diesen Tod muß man also irgendwo in den dazwischenliegenden vierzig Jahren suchen. Ich vermute die Ursache in der Mitte der sechziger Jahre, als die antiwestliche Gegenkultur entstand. Diese Gegenkultur hat sich mittlerweile in den Köpfen Dutzender oder gar Hunderter von Millionen jungen Menschen im Westen festgesetzt.

Aber auch diese Gegenkultur ist doch Teil des Westens?

Buchanan: Ich denke, daß diese Gegenkultur aus den sechziger Jahren eine feindliche Kultur ist, denn sie ist feindlich gegenüber allen Vorschriften des Christentums. Das ist es, was ich als kulturellen Marxismus bezeichnen möchte. Und es sieht so aus, als würde es unsere Herzen und unseren Verstand gewinnen, was dem klassischen Bolschewismus und dem politischen Marxismus versagt geblieben ist.

Neben T. S. Elliot erwähnen Sie Samuel Huntington, den Autor des Buches „Kampf der Kulturen“. Huntington argumentiert, daß ein Babyboom den islamischen Fundamentalismus ausgelöst habe, da er die Gesellschaftsstruktur zugunsten junger Menschen erheblich verändert habe. Könnte der Babyboom bei uns in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Ursache für das sein, was dem Westen seitdem widerfährt?

Buchanan: Da besteht kein Zweifel. Ich schließe mich dieser These an. Allerdings war der Geburtenanstieg nach dem Zweiten Weltkrieg Folge einer Zuwendung zu den traditionellen Werten des Christentums. Die Soldaten kamen nach Hause, nachdem sie so viel Bestialität, Tod und Leid gesehen hatten. Ich denke, daß sie sich bewußt Gott zugewandt haben, insbesondere die amerikanischen Katholiken und Protestanten. Und dies verlief Hand in Hand mit dem Babyboom. Nun zum Geburtenanstieg in den islamischen Staaten: Ich konnte nicht ein islamisches Land finden, dessen Volk nicht wächst oder geradezu explodiert. Und das führe ich ebenfalls auf die Wiedergeburt des Islam zurück. Wo Glaube und Religion stark sind, da wachsen die Völker. Und in der islamischen Welt explodieren sie geradezu. Die islamische Welt wird die westliche Welt überholen.

Sie argumentieren, daß der Westen sein wirtschaftliches und soziales Überleben in den kommenden Jahrzehnten nicht sicherstellen kann. Gibt es angesichts dieser Prognose wirklich nur die Antwort der Masseneinwanderung?

Buchanan: Je mehr die europäischen Nationen vom Aussterben bedroht sind, um so verzweifelter werden sie neue Arbeitnehmer und Steuerzahler suchen, die die medizinische und die Rentenversorgung ihrer alternden Volksteile sicherstellen. Also werden sie die Einwanderungswellen nicht stoppen können. Dieser Umstand wird die Politiker dazu zwingen, immer mehr Ausländer ins Land zu holen. Um ihren Ruhestand genießen zu können, werden sie die Zivilisation und die Kultur ihres Landes opfern, die dann zunehmend islamisch werden.

In Deutschland steht ein derartiges Einwanderungsgesetz derzeit kurz vor der Verabschiedung.

Buchanan: Deutschland ist so groß wie die Bundesstaaten Washington und Oregon. Wenn in Oregon und Washington achtzig Millionen Amerikaner wohnen würden, und plötzlich kämen fünf oder sieben Millionen Türken dazu, dann gäbe es riesige Probleme. Den Menschen in Amerika ist aber leider die geringe Größe und die hohe Bevölkerungsdichte Europas ebensowenig bewußt, wie die Auswirkungen einer großen Zahl von Zuwanderern in so kurzer Zeit.

In Bezug auf Deutschland kritisieren Sie, daß das deutsche Volk wegen seines Schuldkomplexes nicht mehr in der Lage sei, die eigene Zukunft zu gestalten.

Buchanan: Meine Mutter war eine Deutsch-Amerikanerin. Sie war eines von acht Kindern, von denen vier im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft haben. Ich meine aber, daß das deutsche Volk ein großartiges Volk ist, es sollte aufhören, sich wegen vergangener Sünden in der eigenen Schuld zu suhlen, für die es heute nicht mehr verantwortlich ist. Ich bin überzeugt, daß das Überleben der deutschen Nation, des deutschen Volkes, der deutschen Wirtschaft und seiner politischen Unabhängigkeit von entscheidender Bedeutung für das Überleben der westlichen Zivilisation als ganzer ist. Deutschlands enormer Anteil daran wird aber wegen der Ereignisse vor sechzig Jahren übersehen und ignoriert.

Sie kritisieren die Reparationsforderungen, die seitens afrikanischer Staaten wegen der Sklaverei gegenüber den USA neuerdings erhoben werden. Wie ist Ihre Haltung bezüglich der unlängst von Deutschland geleisteten Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter?

Buchanan: Das ist eine Sache, die nur das deutsche Volk zu entscheiden hat. Aber soweit ich weiß, wurden ja schon vor langer Zeit Reparationen geleistet. Eigentlich dachte ich, in der Adenauer-Ära wäre alles bereits bereinigt worden. Es ist an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Die Forderung nach Entschädigung der Sklaverei ist allerdings ein ganz anderes Kapitel: Diese Forderung ist absurd. Der Westen hat die Sklaverei nicht erfunden. Im Gegenteil, er hat sie abgeschafft. Ohne den Westen würden Schwarzafrikaner noch heute in Saudi-Arabien auf Märkten verkauft werden - ebenso wie in Mauretanien oder im Sudan.

Was sind die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika: Freiheitskämpfer oder Sklavenhändler? - Sie behaupten, die amerikanischen Kinder würden umerzogen, über ihre Ahnen würden sie in den Schulen meist nur noch Schlechtes gelehrt.

Buchanan: In so vielen Schulen, Colleges und Universitäten lernen unsere Kinder, daß sie das Produkt und die Nutznießer einer spießigen, üblen, ausbeutenden, korrupten Vergangenheit und Erben brutaler Kolonisatoren, Imperialisten, Sklavenhalter, Rassisten und Sexisten seien. Es ist ein regelrechter Krieg gegen die Vergangenheit. Ziel ist es, die alten und guten Ideen in den Köpfen der Jugend Amerikas zu vernichten. Sie sollen ersetzt werden durch die Litanei eines neuen Glaubens und einer neuen Religion, die aus Seäkularität, Globalisierung, Konsumdenken, Gleichheitswahn und allem, was ich als Kulturmarxismus bezeichne, besteht.

Und Sie sehen dieses Problem nicht auf Amerika beschränkt?

Buchanan: Nein, es ist ein Problem des gesamten Westens. Und diese Krankheit ist in Europa sogar noch weiter vorangeschritten als in den Vereinigten Staaten.

In diesem Zusammenhang sprechen Sie davon, daß der Humanismus das Christentum im öffentlichen Leben zunehmend ersetze.

Buchanan: Dieser „Humanismus“ ist die neue, etablierte Religion in Amerika. Ihre Gebote lauten, es gibt keinen Gott, kein Leben nach dem Tod, keine unsterbliche Seele. Alles beginnt und endet hier. Es gibt keinen objektiven Moralkodex. Jedes Volk und jedes Individuum schafft sich seinen eigenen Moralkodex für eine bestimmte Zeit. Jede Form der Sexualität ist angeblich gut. Wir entscheiden selbst, wann wir leben und wann wir sterben. Abtreibung beispielsweise ist jedermanns Recht. Es ist eine Philosophie von Individualismus, von Materialismus, von Konsumismus, von Hedonismus und von Agnostizismus oder Atheismus. Václav Havel hat dazu gesagt, wir versuchten die erste atheistische Gesellschaft zu gestalten. Aber Völker, die diese neue Religion oder Philosophie verinnerlichen, können nicht als solche überleben. Es ist wie Heroin, es verschafft ein phantastisches Gefühl, aber es zersetzt einen innerlich.

Könnte man Ihre außenpolitischen Vorstellungen als „isolationistisch“ bezeichnen?

Buchanan: Nein, die USA sollten eine unabhängige statt eine isolationistische Außenpolitik betreiben. Aber wir sollten uns nicht in Kriege rund um die Erdkugel einmischen, die nicht Amerikas Interessen berühren. Und wir sollten nicht versuchen, unsere Ideen und Institutionen Ländern zu oktroyieren, die eine völlige andere Geschichte haben. Wie die amerikanischen Gründungsväter sollte Amerika der Welt ein leuchtendes Beispiel setzen, statt anderen unsere Wertvorstellungen aufzudrücken. Wir brauchen keine amerikanische Breschnew-Doktrin.

Wie würden Sie „Verantwortung“ in außenpolitischen Angelegenheiten definieren?

Buchanan: Die These meines Buches „A Republic, Not an Empire“ ist, daß Imperien immer so verschwinden wie etwa das britische Empire, sie sind überdehnt. So werden sie in Kriege und Konflikte verwickelt, die nicht die ihren sind. Sie greifen zu den Waffen, wenn ihre vitalen Interessen überhaupt nicht berührt sind - so wie im Ersten Weltkrieg. Und plötzlich finden sie sich in einem Zyklus wieder, der ihr Dasein als großartige Nationen beendet. Daher sollten die Vereinigten Staaten die Fehler der anderen Imperien vermeiden. Sie sollten vielmehr dem klugen Ratschlag ihrer Gründungsväter folgen. Was Verantwortung angeht, so denke ich, daß die Verfassung dem amerikanischen Präsidenten nicht die Autorität verleiht, Amerikaner in den Kampf und in den Tod zu schicken, wenn nicht amerikanische Interessen, amerikanische Ehre oder amerikanische Staatsbürger in Gefahr sind. Ich würde die unterschiedlichen Allianzen aus dem Kalten Krieg auflösen. Unsere Gründungsväter glaubten an befristete statt an permanente Bündnisse. Ich würde dann Freunden und Verbündeten unserer Sache und unserer Wertvorstellung Hilfe und Unterstützung zukommen lassen. Unsere Verbündeten sollten die Verantwortung in ihren Teilen der Welt selbst übernehmen, während die USA das strategische Reservoir der Demokratie bilden.

Sie kritisieren die derzeitige amerikanische Außenpolitik?

Buchanan: Ich denke, daß Präsident George W. Bush die Sache in Afghanistan richtig gemacht hat. Aber ich habe meine Zweifel hinsichtlich einer permanenten amerikanischen Präsenz in Zentralasien. Unser Anliegen ist es, daß Afghanistan kein Ausbildungslager für Terroristen ist. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, die dortige Politik zu gestalten oder gar Geopolitik in Zentralasien zu betreiben.

Das heißt, es klingt für Sie plausibel, daß die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien die Terroranschläge vom 11. September verursacht hat?

Buchanan: Soweit ich weiß, hat Osama bin Laden gesagt, er habe uns wegen unserer Präsenz auf geheiligtem Boden angegriffen. Ich nehme ihn da beim Wort.

„The Death of the West“ ist das erste Ihrer Bücher, das hierzulande große Aufmerksamkeit erregt und vielfach besprochen wird.

Buchanan: Auch „A Republic, Not an Empire“, mein Buch über amerikanische Diplomatie wurde sehr kontrovers diskutiert. Schließlich stand es auf der Bestsellerliste der New York Times.

Aber es wurde in Europa kaum wahrgenommen.

Buchanan: Zweifellos war es so. Aber das neue Buch handelt ja auch nicht mehr ausschließlich von Europa, sondern vom gesamten Westen.

Werden Sie nach Europa kommen, um Ihr Buch vorzustellen?

Buchanan: Ich würde liebend gerne „The Death of the West“ in Europa vorstellen, schließlich ist es ein Buch über den ganzen Westen. Insbesondere würde ich gerne einmal nach Deutschland kommen, um die Heimat meiner Mutter aufzusuchen. Sie kam aus der Gegend von Fulda und wuchs in einer Stadt in Ohio auf, die ebenfalls Fulda hieß.

Haben Sie denn vor, Ihre politischen Ambitionen fortsetzen?

Buchanan: Nun, ich denke, daß das amerikanische Volk sich eindeutig dazu geäußert hat.

 

Patrick J. Buchanan geboren 1938 in Washington D.C. Buchanan studierte Journalismus und arbeitete unter den Präsidenten Nixon, Ford und Reagan unter anderem als Pressesprecher im Weißen Haus. 1989 kehrte er als Kolumnist bei CNN ins Nachrichtengeschäft zurück. Wegen seiner konservativen Haltung geriet er in Konflikt mit seiner Partei, den Republikanern. Dennoch bewarb er sich 1992 und 1996 um deren Präsidentschaftskandidatur. 2000 vollzog er mit seinen Anhängern den Wechsel zur Reformpartei Ross Perots. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören „Right from the Beginning“ (1988), „The Great Betrayal“ (1997), „A Republic, Not an Empire“ (1998) und „The Death of the West“ (2002). Darin zeigt er auf, wie Europa mit dem Verfall des Christentums seine westlichen Werte preisgibt und sich den kommenden Herausforderungen ungerüstet gegenüber sieht.

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