© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Der amerikanische Totenschein
Ein Buch des US-Politikers Patrick J. Buchanan über den „Tod des Westens“ sorgt für heftige Diskussionen
Ronald Gläser

Horrorszenarien in Buchform sind immer Verkaufsschlager. Thomas Malthus wurde durch seine Prognose einer Explosion der Weltbevölkerung berühmt. Andere Voraussagen warnen vor versiegenden Ölquellen oder kollabierenden Finanzmärkten. Zuletzt sorgten das Ozonloch und die Erderwärmung für Angst und Schrecken.

„Der Tod des Westens“ ist im Unterschied dazu keine Voraussage, sondern eine Bestandsaufnahme. Der amerikanische Kolumnist und Ex-Präsidentschaftskandidat Patrick J. Buchanan analysiert die gegenwärtige Situation des Westens. Als diesen definiert er Nordamerika, Europa und auch Japan. Buchanan prophezeit ein Ende der westlichen Kultur, die sich auflöst und von außen überrannt zu werden droht.

Die pessimistische Grundeinstellung verrät der Autor schon in seinem Titel. Daß gerade er so hoffnungslos für die Zukunft ist, überrascht nicht. Sein dritter und letzter Versuch, im Jahr 2000 die US-Präsidentschaft zu gewinnen, endete im Desaster. Zu sehr war das Wahlvolk damals auf die Kontrahenten Gore und Bush fixiert. Das Interesse der Öffentlichkeit konnte Buchanan erst als Buchautor wieder zurückerlangen.

Der Bevölkerungsrückgang gleicht einer Pestepidemie

Der Niedergang der abendländischen Kultur läßt sich numerisch beweisen: 1960 machten die Europäer und Nordamerikaner noch ein Viertel der Weltbevölkerung aus. 2050 würden sie bei konstantem Wachstum auf ein Zehntel reduziert sein.

Amerikas Bevölkerung hat sich bereits fundamental gewandelt. US-Bürger nichteuropäischer Herkunft haben sich seit 1960 auf achtzig Millionen verfünffacht, die Weißen sind bald eine unter den vielen Minderheiten. Europas Völker zählen - UN-Statistiken zufolge - 2050 statt 720 Millionen nur noch 550-600 Millionen Bürger. Der Rückgang ist in Ausmaß und Umfang nur mit der Pest im 14. Jahrhundert zu vergleichen. Jeder 150. Mensch auf der Welt wäre dann noch ein Deutscher. Unser Volk wäre bereits um zwanzig Millionen geschrumpft. Jeder dritte Deutsche sei 2050 im Rentenalter, verheißen die Statistiken. Deutschland widmet Buchanan im übrigen besondere Aufmerksamkeit. Aber auch andere Kulturnationen stehen vor dem Aus: Spaniens Geburtenrate bildet das Schlußlicht und Italien droht ein Freiluftmuseum für antike Bauwerke zu werden, wenn der Trend nicht gestoppt wird. Rußland schließlich steuert auf die 80-Millionen-Marke zum Ende des 21. Jahrhunderts zu. Schon 2025 dürfte der Iran mehr Einwohner als Rußland haben. Ein expandierendes China könnte sich spielend der unbewohnten Landmassen bemächtigen.

Die politischen Eliten dieser Länder reagieren allerorts mit dem gefährlichen Allheilmittel Einwanderung. Die sozialen Sicherungssysteme müssen schließlich aufrecht erhalten werden. Stück für Stück wird somit das Schicksal des Westens besiegelt.

Eine Steigerung der Geburtenrate ist im Westen nirgendwo in Sicht. Statt dessen schwillt die Bevölkerung in den südlichen Mittelmeeranrainern oder im Nahen Osten deutlich an. Diese Völkerscharen werden bei der kommenden Völkerwanderung ihre Religion, ihre Kultur, ihre Sprache mitbringen. Den verbliebenen Europäern steht dank ihrer Untätigkeit ein Lebensabend in einem fremden Land bevor.

Auf der Suche nach den Ursachen für die freiwillige Kinderlosigkeit hat Buchanan mehrere Gründe ausfindig gemacht. Die ausufernden Sozialsysteme haben die Familie obsolet werden lassen. Der Staat sorgt für die Altersvorsorge und sogar die Pflege im Alter. Qualitativ hochwertige Verhütungsmittel und legale Abtreibungen verhindern die ungewollte Schwangerschaft. Die Industrie- und die Informationsgesellschaft haben neuartige Arbeitsplätze geschaffen. Frauen haben es leichter und opfern die Kinder daher öfter der Karriere.

Zudem ist die Populärkultur durchsetzt mit kinderfeindlichen Denkmustern. Der Feminismus hat die Gesellschaft beeinflußt, und die durch Musik, Kino und Fernsehen transportierten Vorstellungen predigen die Spaßgesellschaft. In dieser dient Sex ausschließlich der Lust; Alleinstehende sind die Regel und nicht die Ausnahme. Wer wünscht sich schon wie Roseanne zu sein, wenn er Ally McBeal nacheifern kann?

Schließlich zeigt der Niedergang des Christentums Wirkung: Jahrhundertealte Wertvorstellungen werden beiseite geschoben oder gar verunglimpft; Kruzifixe werden aus Schulen verbannt. Was bislang ein Tabu war, dem wird nun Beifall gezollt. Frauen protzen mit der Zahl ihrer Abreibungen, Homosexuelle stolzieren halbnackt durch Straßen. Die einzige Tugend der neuen gottlosen Gesellschaft ist die grenzenlose Toleranz.

Gerade der kulturelle Aspekt dieser Verfallserscheinungen wird zu sehr unterschätzt. Buchanan weist ihm große Bedeutung zu. Der weltberühmte Beatlesmusiker John Lennon predigte schon vor Jahren in Liedern wie „Imagine“ die religionslose Gesellschaft, in der sich die Nationen aufgelöst haben.

Wertvorstellungen wurden gezielt pervertiert

Buchanan beschränkt sich nicht auf die kritische Zustandsbeschreibung. Vielmehr benennt er auch die Verursacher. Als solche hat er marxistische Vordenker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgemacht. Diese waren enttäuscht, weil Europas Arbeiterschichten gehorsam in den Ersten Weltkrieg zogen. Die Internationale Solidarität hatte sich als Luftschloß erwiesen. Statt den Klassenkampf zu führen, überwog beim Proletariat das Nationalgefühl. Als dann noch das bolschewistische Rußland zum Sturm gegen Polen antrat, standen Polen aller Schichten tapfer gegen die vermeintlichen „Befreier“. Karl Marx wurde zum ersten Mal durch die Realität widerlegt.

Entsetzte Intellektuelle entwarfen einen Plan B. Weil Christentum, Heimat- und Volksverbundenheit die Völker gegen den Marxismus immunisiert hatten, mußten diese zuerst vernichtet werden. In Frankfurt errichteten kommunistische Abtrünnige 1923 ihren Stützpunkt: die „Frankfurter Schule“ war geboren (siehe Beitrag unten auf dieser Seite). Die eigenen Intentionen verschleiernd, attackierten die Kulturmarxisten die bürgerliche Gesellschaft. Sie beherberge und produziere Rassismus, Sexismus und Faschismus, lautete der Vorwurf, die jeweils Unterdrückten, Frauen, Ausländer, Homosexuelle etc., sollten das neue Proletariat für den Sturm auf die virtuelle Bastille bilden.

Auch geostrategisch befindet sich der Westen auf dem absteigenden Ast. Der technische Vorsprung ermöglicht ihm Kriege, die fast ohne Verluste auskommen. Aber Machtpolitik ohne Selbstbewußtsein bleibt Makulatur. Buchanan traut kommenden Generationen den Einsatz des Lebens für „La dolce vita“ nicht zu. Die zahlenmäßige Überlegenheit der in einer starken Wachstumsphase befindlichen islamischen Welt wird am Ende obsiegen. In Israel sieht Buchanan das erste Opfer der kommenden Mosleminvasion.

Amerika ist von diesem Trend nicht abgekoppelt. Ein bis zwei Millionen Einwanderer strömen jährlich legal oder illegal in die USA. Mit der ethnischen Komposition ändert sich auch die politische Landschaft zugunsten der Linken. Die hilflos-peinlichen Anbiederungen der Republikaner an diverse Minderheiten trägt letztlich nicht zu einer Verbesserung der Lage bei.

Patrick J. Buchanan selbst hofft auf ein Wunder oder eine „göttliche Fügung“, die eine Wende ermöglicht. Der Anstoß, den seine Kritiker an seinem neusten Buch nehmen, beweist, daß er ins Schwarze getroffen hat.

Patrick J. Buchanan: The Death of the West. How Dying Populations and Immigrant Inva-sions Imperil Our Country and Civili-zation. St. Martins Press New York, 15,57 Dollar.


 
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