© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Rückzug bis zum nächsten Einmarsch
Naher Osten: Trotz der verschiedensten Friedenspläne scheint der Konflikt im Heiligen Land unlösbar / Breite Unterstützung für Scharon-Kurs in Israel
Ivan Denes

Der UN-Sicherheitsrat hat kürzlich eine von den USA eingebrachte Re-solution verabschiedet, in der zum ersten Mal offiziell ein zukünftiger palästinensischer Staat erwähnt wird. Präsident George W. Bush hatte Tage zuvor ebenfalls von einem Palästinenserstaat gesprochen. Israels Premier Ariel Scharon hat schon Wochen zuvor, anläßlich seiner Rede in der 1948 hart umkämpften Stadt Latrun, seine Bereitschaft zur Anerkennung eines Palästinenserstaates durchblicken lassen. Die Weltöffentlichkeit beginnt schon zu jubeln - es sei ein wichtiger Schritt in Richtung eines Nahostfriedens getan worden.

Dabei wird vergessen, daß vor zwei Jahren, im amerikanischen Camp David, der damalige israelische Regierungschef Ehud Barak Jassir Arafat nicht nur die Anerkennung eines Palästinenserstaates angeboten hatte, sondern darüber hinaus Konzessionen, welche die meisten bestehenden Differenzen ausgeräumt hätten - einschließlich der erneuten Teilung Jerusalems, was für die meisten Juden einem Verrat gleichkommt.

Letzte Woche ist der pensionierte US-General und Vietnamveteran Anthony Zinni zu einem dritten Befriedungsversuch in der Region eingetroffen. Das Drängen Washingtons auf einen israelischen Rückzug aus den palästinensischen Städten, die Bereitschaft der USA zur Anerkennung eines Palästinenserstaates, die US-Resolution im Sicherheitsrat, die Rundreise von Vizepräsident Dick Cheney und General Zinnis neue Mission - das sind allesamt Schritte zur Vorbereitung des US-Militärschlages gegen den Irak, ein captatio benevolentiae-Versuch: man will möglichst viele arabische Verbündete für den gewaltsamen Sturz Saddam Husseins gewinnen und liefert eine Art Abschlagzahlung an die arabische Welt, in Form erzwungener israelischer Konzessionen.

Zinni soll zunächst eine Waffenruhe durchsetzen, damit politische Friedensverhandlungen aufgenommen werden können. Sollte der ehemalige Kommandant des Central Command (früher Rapid Deployment Force - Schnelle Eingreifstruppe) Erfolg haben, dann stellt sich die Frage: Welches Ziel sollen dann die Friedensverhandlungen anpeilen? Welche Lösungen des langjährigen Konfliktes sind überhaupt möglich?

Wenn man die Frage der Heimkehr der palästinensischen Flüchtlinge (eine von Arafats unabdingbaren Forderungen) und die Jerusalem-Frage ausklammert und man einen israelischen Rückzug aus (fast allen) besetzten Gebieten und eine Räumung der meisten Siedlungen voraussetzt, stünde man zunächst vor einer Landkarte, auf der ein aus zwei Teilen bestehender Palästinenserstaat verzeichnet wäre. Zwischen dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen würde es keine Landverbindung geben. Israel müßte dann freies Geleit durch israelisches Territorium für den innerpalästinensischen Verkehr gewähren.

Angesichts der Tatsache, daß zahlreiche Palästinenserorganisationen den Gedanken an einen Frieden mit Israel selbst dann ablehnen würden, wenn Arafat einen Friedensvertrag unterschreiben sollte, ist eine solche Lösung auszuschließen, denn dies käme einer direkten Einladung zu einer neuen Terrorkampagne gleich. Während der Regierung Ehud Barak wurde daher sogar über den Bau einer Schwebeautobahn zwischen Gaza und dem Westjordanland nachgedacht, um so einen innerarabischen Verkehr auf israelischem Gebiet auszuschließen.

Israelische Konzessionen für Aufmarsch gegen den Irak

Zahlreiche Politiker haben sich aus den genannten Gründen in den letzen Monaten für den Bau einer Art Berliner Mauer ausgesprochen. Das Ziel ist eine räumliche Trennung der zukünftigen Nachbarstaaten. Auch diese Lösung erscheint utopisch. Der Gaza-Streifen könnte theoretisch „eingemauert“ werden, das Westjordanland allerdings kaum, zumal es sich dabei um ein großes und in sich zerrissenes Gebiet handelt. Außerdem können die Israelis ihre Präsenz im Jordantal auch aus militärischen Erwägungen (irakischer Angriff, Einfallstor für Waffen und Extremisten) nicht aufgeben. Eine solche Lösung ließe auch die 18 Prozent Araber im israelischen Kernland unbeachtet, die dann ja dann von ihren Verwandten im Westjordanland und Gaza abgeschnitten wären.

Ein anderer Friedensplan, von dem man nur hinter vorgehaltener Hand spricht, ist die Rücknahme der „Erklärung von Marokko“, in der Arafats PLO das Alleinvertretungsrecht zugesprochen wurde. Da es einen Palästinenserstaat in der Geschichte bisher nie gegeben hat, könnte von israelischer Seite eine Rückkehr zur politischen Landkarte von vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 erwogen werden: den Gaza-Streifen bekommt Ägypten und das Westjordanland geht an Jordanien zurück. Dann müßten sich Kairo und Amman mit Arafat und seiner PLO befassen. Scharon ist seit Jahren der Meinung, einen Palästinenserstaat gäbe es schon, zumal über die Hälfte der jordanischen Bevölkerung aus Palästinensern bestehe.

Schließlich der Friedensplan des saudiarabischen Kronprinzen Abdullah: Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 gegen volle Anerkennung und Normalisierung der Beziehungen zu der arabischen Welt. Das einzig Neue: der Vorschlag kommt von maßgeblicher arabischer Seite. Denn schon das Mitte-Links-Kabinett von Barak hatte 98 Prozent der besetzten Gebiete angeboten.

Während seiner Pendeldiplomatie nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973 hatte US-Außenminister Henry Kissinger einmal im Spaß gesagt, eine Lösung des Konfliktes wäre die Aufnahme Israels als 51. Staat der USA. Immerhin ist Honolulu weiter von Washington entfernt als Jerusalem, und für die 40 Millionen Evangelikalen in Amerika würde sich mit dem Besitz der Heiligen Stadt das Wort von „God’s own land and God’s own people“ erst richtig erfüllen.

Zinni mag vielleicht einen Waffenstillstand durchsetzen können - eine Lösung des Konfliktes wird es in dieser Generation nicht geben. Die Europäer machen sich Illusionen über die Stimmung in Israel. Die 15.000 Friedensdemonstranten auf dem Itzhak-Rabin-Platz in Tel Aviv, die unlängst auf allen deutschen Bildschirmen zu sehen waren, verblaßten neben den von ARD und ZDF ignorierten 100.000 Israelis auf demselben Platz, die die Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde unter Arafat forderten. Fällt Scharon, kommt nach den nächsten Wahlen eine noch radikalere Regierungskoalition unter Ex-Premier Benjamin Netanjahu. Selbst der in Europa als „moderat“ geltende israelische Außenminister Schimon Peres meinte angesichts der jüngsten palästinensischen Terrorakte letzten Sonntag im israelischen Rundfunk: „Wir können uns aus diesen Gebieten nicht zurückziehen, wenn weiterhin alle Arten von Terroranschlägen von dort aus gestartet werden.“

352 Israelis und 1221 Palästinenser (davon 50 Selbstmordattentäter) kamen in anderthalb Jahren ums Leben, insgesamt 20.000 Menschen wurden verletzt. In Israel ist nach den Terrormonaten das Gefühl aufgekommen, die Palästinenser und die arabische Welt versuchten eine „zweite Endlösung“. Und diesmal will man sich mit allen Kräften wehren.


 
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