© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Der große Unbequeme
Günther Nenning hat eine Auswahl seiner Kolumnen und Kommentare zum Zeitgeschehen vorgelegt
Thorsten Thaler

Tagesaktuelles zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, ist eine zweischneidige Angelegenheit. Damit ein solches Unterfangen gelingen kann, sollten zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen müssen die Texte ihrer Entstehungszeit und ihrem Anlaß entrückt sein, zum anderen sollte der Autor über eine gewisse Prominenz, einen „guten Namen“ verfügen. Das ist bei Günther Nenning zweifellos der Fall. Der inzwischen 80jährige zählt zu den Urgesteinen der deutschsprachigen Publizistik. Von 1958 bis 1996 war er erst Mitherausgeber, später Eigentümer und Chefredakteur der Wiener Kulturzeitschrift FORVM, von 1960 bis 1985 Präsident der österreichischen Journalistengewerkschaft. Über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt wurde Nenning als Moderator des „Club 2“ im österreichischen Fernsehen sowie der ARD-Talkshow „III nach 9“.

Er hat für alle großen Zeitungen (Weltwoche, Zeit, Welt am Sonntag) und Zeitschriften (Spiegel, Profil) geschrieben sowie über 20 Bücher verfaßt, darunter vielbeachtete Titel wie „Grenzenlos deutsch“ (1989), „Die Nation kommt wieder“ (1990) und „Auf den Klippen des Chaos“ (1993).

Jetzt hat Günther Nenning eine Sammlung von Kolumnen, Kommentaren und Essays herausgegeben, die allesamt schon einmal veröffentlicht wurden. Es sind vornehmlich Texte aus der Kronen Zeitung und der Presse; für beide Blätter ist Nennig als regelmäßiger Kolumnist tätig. Dazu kommen Beiträge aus deutschen und Schweizer Zeitungen und Zeitschriften sowie Vorträge bei Kongressen. Der älteste Artikel stammt aus der Züricher Weltwoche von 1992, die weitaus meisten aus den beiden letzten Jahren.

Nenning schreibt über Gott und die Welt. Jedes Thema scheint ihm recht, jeder Anlaß willkommen. Mehr auf Meinungsausstoß denn auf einen stilistisch geschliffenen Ausdruck bedacht, sind es vor allem die Kräfte der Zerstörung, die seinen Widerspruch herausfordern. „Wir leben im Wohlstand“, schreibt Nenning, nur um fortzufahren: „Wohlstand heißt: wir sind trotzdem unglücklich. Also leben wir gar nicht im Wohlstand, sondern in der Verkümmerung. Der Wohlstand wächst, die Seele schrumpelt.“

Verantwortlich dafür macht er den Größenwahn eines Brutal- und Globalkapitalismus, der alles unterpflügt, einebnet und normiert. Zornig reagiert Nenning auf die von „Werbefritzen und Werbegreteln der globalen Spaßgesellschaft“ erfundene Sprechblase vom „Weltdorf“, die durch ein Konzept der Dorferneuerung zum Platzen gebracht werden muß. „Die Verdorfung der Welt ist die wahre konservative Revolution“, schreibt er, und wie alle Revolutionen müsse sie zuerst im Kopf stattfinden. Nenning ist zuversichtlich, daß es für eine Umkehr noch nicht zu spät ist. „Es kommt der große Pendelschwung von der Zerstörung zum Aufbau, von der Brutalität zur Zärtlichkeit, vom Größenwahn zur Demut.“

Daß er mit solchen Gedanken aneckt, ist dem unbequemen, unangepaßten Publizisten einerlei. Nenning steht für seine politischen Überzeugungen ein, Konsequenzen schrecken ihn nicht. Als der Sozialdemokrat in dritter Generation Mitte der achtziger Jahre zu den führenden Unterstützern eines Volksbegehrens gegen das geplante Donaukraftwerk in der ländlichen Gemeinde Hainburg gehörte, wurde er aus der Gewerkschaft und nach fast 40jähriger Mitgliedschaft bei den österreichischen Sozialisten ausgeschlossen. Nachdem Nenning mit seinem Funktionärsdasein in der SPÖ und später bei den Grünen, zu deren Mitbegründern er gehörte, abgeschlossen hatte, etablierte er sich als „vogelfreier Schrift- und Sprechsteller“ - und genießt diese Rolle bis heute.

So räsoniert er unbefangen über Begriffe wie Nation und Identität, Volk und Heimat, Patriotismus und Populismus. Mit Lust am Streit verteidigt er dabei das eigentlich Selbstverständliche gegen die Zumutungen politisch korrekter Oberlehrer. Demokratie versteht Nenning als einen Mythos im Homerschen Sinne, als „wahre Erzählung“. Sie sei geistig nur zu retten als „historisch tief verwurzelter Glaube, reich an Varianten und reich an Zweifeln“. Deswegen gehen ihm „die totalitären Demokratisten auf den Hammer, weil sie ihre Form von Demokratie dogmatisieren und alle Zweifler und Widersprecher auf den Scheiterhaufen schicken wegen mangelnder Korrektheit“.

Und Nenning legt noch einen drauf mit Sätzen, die ihm hierzulande einen schroffen Tadel im Klassenbuch des Verfassungsschutzes eintrügen: „Die heutige westlich-parlamentarische Demokratie ist bei näherem Zusehen teilweise bis fast gänzlich schwindelhaft. Unsere Demokratie ist Abschaffung der Demokratie unter ständiger Bejubelung der Demokratie. Es ist Demokratie, die nicht Begeisterung weckt, sondern Unmut und Abwendung.“

An anderer Stelle schreibt Nenning, es sei schlecht um die Demokratie bestellt, „wenn die Bürger sich in Schweigen verschanzen“. Schlichter Anlaß dafür ist ihm der Anruf einer Frau, die ihm ihr Herz ausschüttet, daß in den Medien immer nur von Ausländern die Rede sei, die Sorgen und Nöte von Inländern aber nur selten vorkämen. Es gebe wirklich einen „Anti-Inländerismus“, stellt Nenning daraufhin in einer Kolumne fest. Und schreibt: „An der ’politischen Korrektheit‘ stört mich gar nicht die Besserwisserei und der Hochmut - sondern die Aufforderung zum Schweigen und damit zum Lügen. (…) Aber das Geheinmnis der Demokratie ist: Die Wahrheit darf und soll gesagt werden.“

Daß der rot-weiß-rote Patriot sein Land und seine Landsleute liebt, daraus hat er nie ein Hehl gemacht. „Patriotismus ist nämlich - was immer sonst noch - etwas Schönes.“ Deswegen empfiehlt er nach den Anschlägen vom 11. September, sich von den Amerikanern „eine Scheibe abzuschneiden, oder zwei, drei“. Und den Europäern schreibt er ins Stammbuch: Eine nötige europäische Solidarität komme nicht zustande, indem man die Patriotismen für das jeweils eigene Land subtrahiere vom größeren Gemeinschaftsgefühl, sondern „durch Addition der einzelnen Patriotismen zum größeren Ganzen. Je fester die Liebe zum eigene Land, desto stärker der europäische Zusammenhalt. Der Westen ist die Summe aller Patriotismen“, ist Nenning überzeugt. Franzosen wissen, was er damit meint.

Scharf ins Gericht geht Nenning mit den Errungenschaften der Gentechnik, die im Begriff ist, an die Stelle der Schöpfung zu treten. Entschieden hält Nenning dagegen: „Gott ist der Schöpfer alles Lebens. Kein Menschenmediziner kann auch nur das kleinste Stück Leben selber herstellen. Was er kann, ist: Gottes Schöpfung mißbrauchen als Roh- und Spielmaterial für seine Allmachtsfantasien.“ Für den bekennenden Christ liegt das Gebot der Stunde klar auf der Hand: „Vor dem großen Tuten und Blasen der Gen-Propaganda gilt keine kleine Feigheit. Sondern nur ein klares, wohl abgemessenes Nein.“

Recht hat Nenning sicher auch mit seinem Hinweis, daß zur Zügelung der Gen-Industrie und ihren Milliardengeschäften keine „schwafelnden und schwankenden“ Ethik-Kommissionen ausreichen. In einer Zeit zunehmender Säkularisierung mutet es freilich reichlich naiv an, wenn er postuliert, die Christen müßten „die Avantgarde des Widerstandes“ sein. Die Kraft des Glaubens an das Wahre und Gute hat, wie die geschichtliche Erfahrung lehrt, noch keinen Forschrittsjünger und erst recht keinen Geschäftemacher bekehrt.

Günther Nenning: Anders gesehen. Ueberreuter Verlag, Wien 2002, 203 Seiten, 19,90 Euro


 
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