© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002


Stille Post
Kino: „The Time Machine“
Claus-M. Wolfschlag

Mit Neuverfilmungen verhält es sich wie bei dem Kinderspiel „Stille Post“: Ein jeder erfindet zur ursprünglich mitgeteilten Botschaft Eigenes dazu, ob aus Mißverständnis oder überbordender eigener Phantasie sei dahingestellt, und am Ende kommt großer Käse heraus. So verhält es sich auch mit „The Time Machine“, der sich als Remake von George Pals „Die Zeitmaschine“ von 1960 versteht. Pals Klassiker wiederum beruhte auf dem Science-Fiction-Roman „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells. Und obwohl es sich beim heutigen Regisseur von „The Time Machine“, Simon Wells, um einen Urenkel von H.G. Wells handelt und die Verleihfirma beteuert, die Neuverfilmung fühle sich den Vorlagen des Romans und der Erstverfilmung verpflichtet, hat alles mit dem ursprünglichen Inhalt kaum noch etwas zu tun.

Sicher, da ist immer noch der viktorianische Wissenschaftler, der eine Zeitreisemaschine entwickelt, in eine ferne Zukunft rast und dort die Welt der Eloi und der menschenfressenden Morlocks kennenlernt, aber zwischen den Motivationen der jeweiligen Verarbeitungen des Stoffes liegen Welten. Für H.G. Wells war die Eloiwelt eine weiterentwickelte Bourgeoisie, mit paradiesischer Fassade, hinter der sich aber geistige Dekadenz und vollkommene Vitalitätsschwäche verbergen. Die Morlock als genetisch degenerierte Nachkommen des Proletariats hingegen hausten in unterirdischen Produktionsstätten und forderten gelegentlich frisches Eloifleisch zur eigenen Ernährung. Die kapitalistische Produktionsmaschinerie hatte zum Kannibalismus geführt.

In der Neuverfilmung ist der Wissenschaftler (Guy Pearce) nicht mehr ein von der Forschung besessener Mann, sondern ein großer Junge, der nicht über den tragischen Tod der Geliebten hinwegkommt. Er reist 800.000 Jahre in die Zukunft, wo der Konflikt zwischen Eloi und Morlocks zum puren Monsterspektakel verkommen ist. Behaarte Morlocks jagen aus Freßtrieb die nun dunkelhäutigen, an kriegerische Maori erinnernden Eloi wie Leoparden Gazellen. Die Eloi sprechen neben ihrer Sprache noch das gute alte Amerikanisch; und sie finden immer wieder kultisch verehrte Brückenschilder und Inschriften von alten New Yorker Hochhäusern in erstaunlich guter Qualität. Da hätten die alten Griechen und Ägypter noch einiges lernen können, deren Überbleibsel nach ein paar läppischen tausend Jährchen weit schlechter erhalten sind.

Fazit: durchaus exzellente Bauten und Effekte; eine klischeebeladene schauspielerische Leistung; inhaltlich eine dumpfe Verballhornung der Ursprungsidee. „Stille Post“ ist kein sehr kreatives Spiel.


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