© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Der neue Kampf des "alten Drachen"
Bundestagswahl: Die frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Lukrezia ("Luc") Jochimsen, tritt als Spitzenkandidatin für die PDS an
Werner Olles

Die mediale Aufregung hielt sich in Grenzen, als die frühere Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Lukrezia ("Luc") Jochimsen, Mitte Februar verkündete, grundsätzliches Interesse an einer Kandidatur für ein PDS-Bundestagsmandat zu haben. Schon damals hatte die 66 Jahre alte Journalistin betont, es gehe dabei ausschließlich um eine Kandidatur für die Offene Liste. Die Mitgliedschaft in der Partei schloß sie dagegen aus, und auch an einer parteiinternen "Ochsentour" habe sie kein Interesse. Da die PDS jedoch in den neuen Ländern die stärkste Kraft sei, könne es nicht hingenommen werden, daß dieses politische Spektrum im Westen nicht zur Kenntnis genommen werde.

Die 1936 in Nürnberg geborene Lukrezia Jochimsen hatte schon in ihrer Zeit als Fernsehchefin des Hessischen Rundfunks (HR) von 1993 bis zu ihrer Verabschiedung in den Ruhestand im März 2001 aus ihrem politischen Herzen keine Mördergrube gemacht. Die Affinität der 1961 mit einer Arbeit über "Zigeuner, eine Minderheit in Deutschland" promovierten Soziologin, die ihre Fernsehkarriere 1975 bei Peter Merseburgers Politsendung "Panorama" begann, für die politische Linke war bundesweit bekannt. Die Nachfolgerin des ebenfalls weit links stehenden Wilhelm von Sternburg im HR sendete beispielsweise beim Abschiedsfest für Gregor Gysi, den früheren PDS-Vorsitzenden im Bundestag, die Botschaft aus, "rote Hochburgen" wie etwa das zu dieser Zeit noch kommunistisch administrierte Bologna - inzwischen regiert allerdings auch dort Berlusconis "Forza Italia" -, seien als Orte der Gerechtigkeit ihr Ideal. Gysi solle doch baldmöglichst Bürgermeister eines deutschen Bologna werden: "Sie würden dem Land einen Dienst erweisen und mir einen Traum erfüllen!"

Dieser unfromme Wunsch ging schneller in Erfüllung, als die damals noch öffentlich-rechtliche, hochdotierte Träumerin es sich wohl selbst gedacht hatte. Als skandalös empfanden viele Bürger aber auch, daß in ihrer Ära, Ende des Jahres 2000, HR-Fernsehredakteure den Lieblingsfeind des Hessischen "Rotfunks", CDU-Ministerpräsident Roland Koch, zum "Arsch des Jahres" nominierten. Zwar wurde der geplante Beitrag gerade noch rechtzeitig aus dem Abendprogramm genommen, im Hörfunk wurde jedoch immer noch dafür geworben.

Bei der PDS-Basis war die von der Berliner Parteiführung um Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und dem hessischen Landesvorstand forcierte Kandidatur Jochimsens indes nicht unumstritten. Die Frankfurter Parteivorsitzende Angela Grollmisch-Witt kritisierte, dies sei vorher nicht abgesprochen worden, und Jochimsen habe "keinerlei Verbindungen" zur Partei. Die bereits als Direktkandidatin für ihren Bundestagswahlkreis Marburg nominierte Bundestagsabgeordnete Pia Meier zeigte sich über das Vorgehen der Parteiführung enttäuscht, bekräftigte aber ihren Anspruch auf den ersten Platz der Landesliste, der als einzig sicherer Platz für ein Bundestagsmandat gilt.

Am 9. März sprach sich schließlich der Vorstand der hessischen PDS mit großer Mehrheit für eine Kandidatur Jochimsens aus. Mit diesem Votum war sie allerdings noch nicht zur Spitzenkandidatin gewählt. Die endgültige Entscheidung sollte erst am 23. März auf der Landesmitgliederversammlung der rund 60 PDS-Delegierten in Frankfurt am Main fallen. Pia Meier, die erst im August für den verstorbenen Fred Gebhardt in den Bundestag nachgerückt war, hatte für diesen Tag eine Kampfabstimmung angekündigt. "Massiver Druck" aus Berlin sei der Entscheidung des Landesvorstandes vorangegangen, kritisierte der Marburger Fraktionsvorsitzende Köster: "Berlin hat dem Landesvorstand eine Seiteneinsteigerin aufgedrängt, deren Aussagen zur inneren Sicherheit und zu Schily im Gegensatz zu den Positionen der PDS stehen". Tatsächlich hatte die in Hamburg und Venedig lebende Jochimsen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung Verständnis für die Wähler der Schill-Partei bekundet: Sie stehe zwar nicht bei Schill, aber bei Schily.

Nachdem der Landesvorstand mit der Begründung, man hoffe, Jochimsen werde "eine Brücke zu neuen Wählerschichten" bauen, sich zu ihren Gunsten entschieden hatte, wurde der 23. März mit einiger Spannung erwartet. Mit 39 von 52 Stimmen setzte sich der "alte Drachen" (O-Ton Jochimsen) in der von Pia Meier angekündigten Kampfabstimmung gegen ihre Konkurrentin durch. Die deutlich enttäuschte Meier erhielt lediglich 19 Stimmen und beklagte später das mangelnde Selbstbewußtsein der Partei, die glaube, nur mit prominenten Seiteneinsteigern etwas erreichen zu können. Während die PDS-Bundesvorsitzende Gabi Zimmer diesen "Kultursprung" noch bejubelte, kündigte ein Marburger Delegierter seinen Parteiaustritt an.

Die Einheit Deutschlands hat sie immer bekämpft

Zu Jochimsens ersten Gratulanten gehörte neben ihrem Förderer Gerhard Zwerenz der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg, der ihr aus gemeinsamen Talkshow-Zeiten offenbar immer noch verbunden ist. Die Kandidatin kündigte indes an, für die "innere Einheit" der Bundesrepublik eintreten zu wollen, die sie durch die "Gleichgültigkeit des Westens" gefährdet sieht. Starke Worte für eine Frau, die noch zu Zeiten der Wende die Einheit Deutschlands fanatisch bekämpft hatte und entschieden für die Zweistaatlichkeit und damit die Fortführung der SED-Diktatur eingetreten war.

Zweierlei hat die siegreiche Kandidatur Lukrezia Jochimsens immerhin bewiesen: Trotz Verfassungsschutzüberwachung scheint die PDS inzwischen auch im Westen salonfähig zu sein. Und deutlich geworden ist die schiefe Ebene, auf der sich die Bundesrepublik Deutschland seit Ende der sechziger Jahre politisch-kulturell befindet: Ein vergleichbarer Vorgang, bei dem sich ein Prominenter bei einer eindeutig rechts von der Union angesiedelten Partei in dieser Form engagieren könnte, ist heute undenkbar. Darin liegt der eigentliche Skandal der Jochimsenschen Kandidatur.


 
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