© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Pankraz,
W. Mattheuer und Herakles im Augiasstall

Läßt sich ausmisten, ohne daß neuer Mist entsteht? Das fragen sich viele bei Besichtigung der aktuellen deutschen Politik und ihrer Schmiergeldaffären. Es ist ein Maß erreicht, das auch den Gutmütigsten nach drastischen Maßnahmen rufen läßt. Das ganze im Augenblick herumwuselnde Personal - so die verbreitete Auffassung - müßte weggekehrt, die ganze politische Struktur einmal komplett durchgepustet werden. Andererseits gibt es Zweifel, ob Operationen à la "Herakles im Augiasstall" in der realen Politik überhaupt möglich sind. Geriete man da nicht, um einen Ausspruch von Wolf Biermann abzuwandeln, aus der Gülle in die Jauche?

Diesseits der Politik werden laufend erfolgreich Augiasställe ausgemistet, es gibt das "Großreinemachen" in privaten Haushalten, die "schöpferische Zerstörung" in der Wirtschaft, die totale Neubewertung, das agonicing reappraisel im Finanzwesen. In der Politik sollte ursprünglich die "Demokratie" die große Mistgabel sein. Verrottete Führungsklassen sollten abgewählt werden können, und die dann zur Macht kommende Opposition, so kalkulierte man, werde eine weitgehende Erneuerung der Verhältnisse bewirken, werde für frische Luft und für saubere Fußböden und Tischplatten sorgen.

Von diesem Kalkül hat man sich schon in der alten römischen Republik verabschieden müssen. Die Demokratie, so erkannte man, führte immer wieder fast automatisch zur "Ochlokratie", zur Herrschaft des Pöbels, dem das Allgemeinwohl nichts, die eigene Vorteilnahme alles ist. Das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung entartete zum ochlokratischen Prinzip der Pfründenteilung. Das in Parteien aufgeteilte Ganze wurde zur Beute der Parteien, eines Kartells aus Patriziern und Plebejern, das sich nach außen hin wasserdicht abschottete und sich im Inneren gegenseitig die besten Brocken zuschob.

Damals entstand die Idee des "Diktators", eines untadeligen, finanziell völlig unabhängigen, einzig am Gemeinwohl interessierten älteren Gentleman, der für sechs Monate die Alleinherrschaft übernehmen sollte, um in dieser Zeit die Korruption trocken zu legen und den Staat wieder fit und sauber zu machen. Das scheint in der Frühzeit, als Rom noch nicht so reich war wie nach den Karthagerkriegen, einige Male ganz gut funktioniert zu haben, kommt uns heute aber trotzdem äußerst weltfremd, beinahe rührend vor.

Wir trauen der "Reinheit" von Diktatoren nicht mehr und haben dafür gute Gründe. Außerdem: Der Diktator benötigt doch einen "Apparat", um seine Entmistungsaktionen durchzuführen, und was ist mit diesem Apparat? Will der nicht auch seinen Anteil an den Pfründen haben? Ist er wirklich bereit, nach sechs Monaten honorarlos und rentenlos das Feld zu räumen und wieder in der Anonymität zu verschwinden?

Aber vielleicht brauchte man zum Entmisten gar keinen diktatorischen Herakles mitsamt Apparat, vielleicht täten es auch knappe, unmißverständliche Gesetze. Das Grundgesetz mit seiner Feststellung, daß die Parteien am politischen Willensbildungsprozeß "mitwirken", ließe dafür große Spielräume.

Mitwirker gehören weder ins Zentrum der Staatsverwaltung noch in den Aufsichtsrat von irgendwelchen staatlichen oder halbstaatlichen Wirtschaftsunternehmen. So könnte man es Beamten verbieten, sich in parlamentarische Gremien wählen zu lassen, und umgekehrt Parlamentariern jeglicher Repräsentationsstufe, Aufsichtsratsposten zu übernehmen. Politische Ämter in Legislative und Exekutive könnten nach Art des Bundespräsidentenamtes generell zeitlich limitiert, der Zugang zu solchen Ämtern durch Vorwahlen ("Primaries") und/oder scharfe Zulassungsbestimmungen qualitativer Art erschwert werden.

Korruptionsanfällige würden dadurch von der Bewerbung abgeschreckt, der sogenannten "Oligarchisierung" (Robert Michels) der Parteien würde ein Riegel vorgeschoben. Bisher berechnet sich die Zugehörigkeit zur politischen Klasse in erster und fast einziger Linie nach der Verweildauer im Amt und nach dem Rang, den einer in der Bakschisch-Hierarchie einnimmt, d. h. in wie viele hochdotierte Nebenämter und auf wie viele Aufsichtsposten er delegiert ist. Dies könnte von Grund auf geändert werden.

Aus der politischen Klasse, die derzeit nur scheinbar eine "politische", in Wirklichkeit eine mauschelnde, Hand aufhaltende und Pöstchen zuschiebende ist, würde möglicherweise endlich eine Formation, die ihren Namen verdient: ein Klub von klugen, leidenschaftlich an politischen Dingen interessierten Zeitgenossen, die sich untereinander diskursiv und in aller Freiheit auf dem laufenden hielten und von denen faktisch jeder einmal auf Zeit in eine Position des aktiv Handelnden einträte.

Ein frisch gewählter Bundestag, der sich einer diesbezüglichen Verbesserung der Gesetze ohne Wenn und Aber annähme, wäre effektiver und nachhaltiger als jeder bestellte Diktator, und wäre dieser noch so tüchtig und tugendhaft. Man könnte entmisten, ohne gleich den ganzen Stall mit wegzuspülen. Der betreffende Bundestag würde Ruhm ernten und in die Geschichte eingehen. Eine Statue zu seiner Erinnerung, "Herakles im Augiasstall", könnte in den Wandelhallen des Reichstags aufgestellt werden, Wolfgang Mattheuer stünde wohl zu ihrer Erschaffung bereit.

Leider wird aus diesem Projekt schwerlich etwas werden. Wer Spendenquittungen wie Ostereier verteilt und sich von außerpolitischen Kräften als williges, gutbezahltes Gleitelement bei der Müllverbrennung unterbringen läßt, der ist gar nicht mehr in der Lage, auf ernste Lagen seriös zu reagieren. Er verdient kein Heroen-Denkmal von Mattheuer, sondern allenfalls eins von Daniel Spoerri aus dessen Eat-art-Periode: glasierte, auf einem Betonuntergrund festgeklebte Bockwürste, zum Exempel, die gerade am Zerfallen sind und dringend der Restaurierung bedürfen.


 
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