© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Alles wagen, immer scheitern
Konradin, der letzte Staufer: Vor allem die Jugendbewegung identifizierte sich mit seinem Schicksal
Götz Kubitschek

Politik ist für die Deutschen seit jeher ein Geschäft, an dem Schmutz haftet. Realpolitisches Abwägen, Kompromißbereitschaft und geschickte Diplomatie stehen einer tiefwurzelnden Sehnsucht nach blütenreinem Tun und völliger Verwirklichung eines Ideals gegenüber. Die Deutschen mögen einem geschickt errungenen Erfolg Anerkennung zollen; ihr Herz aber gehört denen, die den Gedanken an ein Mehr-oder-Weniger im entscheidenden Moment verwerfen und dem Alles-oder-Nichts folgen, damit freilich den Teilerfolg gefährden, aber noch oder gerade im Scheitern das einlösen, was man den Volkscharakter nennen kann.

Deutsche sind romantisch und jugendbewegt

Das Leben des letzten Staufers, Konradin, ist ganz und gar ein sehnsüchtiger Ritt und ein Scheitern. Jedenfalls ist Konradins Leben so gedeutet worden: Der edle Erbe des Reichs, der mit sechzehn Jahren in Neapel von seinem skrupellosen Widersacher Karl II. von Anjou (1220-85) hinweggesenst wird - Nationalgeschichtsschreibung und Jugendbewegung rezipierte das Scheitern als romantische Tragödie. Es ist aus mythosophischer Sicht einerlei, ob sich durch Quellenstudium das Bild Konradins anders darstellen ließe, und ob er nurmehr durch Reduzierungen als Jugendgestalt schlechthin aus der Vergangenheit herausgelöst würde. Denn es gibt wiederum nichts, was dem deutschen Gemüt näher läge als Romantik und Jugendbewegung, und so haben sich beide Strömungen Konradin als einen Träger ihrer Wünsche auserkoren.

Konradin wurde am 25. März 1252, vor 750 Jahren, als Sohn des deutschen Königs Konrad IV. (1227-54) und seiner Frau Elisabeth von Bayern (um 1227-73) geboren. Seinen Vater sah er nie, der war aufgebrochen, um sich neben dem Deutschen auch sein Sizilisches Königreich zu sichern. Jedoch erlag er bereits 1254 dem fiebrigen Klima Unteritaliens. Zum Vormund wurde Ludwig der Strenge von Bayern (1229-94) benannt. Das Erbe, das Konradin anzutreten hatte, war gewaltig und glanzvoll. Er rechnete sechs deutsche Kaiser zu seinen Vorfahren, stammte in direkter Linie von Barbarossa (1122-90), Heinrich VI. (1165-97) und Friedrich II. (1194-1250) ab und konnte Anspruch geltend machen auf die Kaiserkrone, die Königreiche Deutschland, Sizilien und Jerusalem und das Herzogtum Schwaben. Daß es sich dabei eher um ein ideelles Erbe als um verfügbare Machtfundamente handelte, teilte Konradin mit seinem Großvater, Kaiser Friedrich II. Dieser hatte nach dem jähen Tod seines Vaters, Kaiser Heinrichs VI., halb verwahrlost zunächst die Hinterhöfe Palermos kennengelernt, bevor er - gerade mündig - in Apulien Ordnung herstellte und dann als der "Bub aus Pulle" seinen Siegeszug nach Deutschland antrat, von wo er acht Jahre später als König nach Rom zog, um sich zum Kaiser krönen zu lassen. Sein Traum war der aller Staufer: das Römische Reich wieder zu errichten, als das weltliche Schwert und im Verbund mit dem geistlichen Schwert des Papstes, und durch dieses Einigungswerk ein Reich des Friedens zu verwirklichen. Doch stand dem die militante Theokratie der Päpste entgegen, die vor allem eine Umklammerung der Staufer von Sizilien und Deutschland her nicht dulden konnten. Nach dem plötzlichen Tod Friedrichs II. im Jahre 1250 geschah erneut das, was die staufische Epoche überhaupt kennzeichnet: Unfertiges wurde den Erben übertragen, einzelne Stücke, die nach dem Wegfall der sie fügenden Kraft auseinanderfielen. Die Aufgabe, das Reich für sein Haus zurückzuerobern, ließ Konradin nurmehr in Kategorien eines Alles-oder-Nichts denken, und Pläne von Seiten der Mutter, man könne sich doch zunächst um die Konsolidierung des schwäbischen Herzogtums bemühen und den großen Schritt der nächsten Generation überlassen, wies er ab. Für einen Italienzug sprachen auch handfeste politische Gründe: Der Papst Urban IV. (Jaques Pantaléon, vor 1200-64) hatte jede Aussicht auf eine Wahl zum deutschen König erfolgreich hintertrieben, aus Italien aber kamen deutliche Signale der staufertreuen Partei für eine mögliche Rückeroberung des Königreichs Sizilien. Im August sammelte Konradin sein Heer auf dem Lechfeld bei Augsburg und marschierte über den Brenner nach Verona, in das er Ende Oktober einzog. Gegen den allgemeinen Rat stieß er durch die tief in Stauferfeinde und -freunde gespaltene Lombardei weiter vor. Der Erfolg seiner Kühnheit verschiebt nun die Ausstrahlung Konradins weg vom beinahe unrealen, spirituellen Reiter hin zur politischen Größe: Nie sprach die Situation deutlicher für Konradin, als bei seinen Märschen nach Pavia, Pisa und Rom. Die Lombardei kippte zu seinen Gunsten, Pisa entband ihn jeder Geldsorgen, der Papst floh, Rom feierte ihn, und von allen Seiten stießen neue Streiter zu seiner Heermacht. Der letzte Staufer, der mit nicht viel mehr als einem großen ideellen Erbe aufgebrochen war, stand im August 1268 tatsächlich kurz davor, Sizilien wieder an sich zu reißen. Jedoch veränderte der überraschende Sieg Karls von Anjou in der Schlacht auf den Palentinischen Feldern (Tagliacozzo, 1268) die Lage völlig. Erfahrung und listige Taktik hatten den ungestümen Siegesrausch unterlaufen. Die Tage danach sahen Konradin auf der Flucht zurück nach Rom, dann weiter an die Küste, von wo aus er mit einem Schiff ins aufständische Sizilien zu gelangen hoffte. Er wurde aber von Giovanni Frangipani festgesetzt und gemeinsam mit Friedrich von Österreich und anderen Getreuen an Karl II. von Anjou ausgeliefert und in Neapel schließlich geköpft. Die Niederlage verändert wiederum die Ausstrahlung des letzten Staufers: Mit dem Verlöschen der Erfolgsaussichten treten die Jugend, das Ideelle, Sehnsucht und Traum in den Vordergrund.

Die Geschichte von Konradin ist abgebrochen

Es hat etwa hundert Versuche gegeben, Konradins Schicksal dramatisch zu fassen. Kein Ansatz glückte wirklich, und der Grund ist darin zu suchen, daß der Stoff zu undramatisch ist, keine Verwicklungen bietet und insgesamt eher nach einem Bekenntnis verlangt. Das stärkste hat Otto Gmelin (1886-1940) geschrieben und 1933 erstmals veröffentlicht. "Konradin reitet" ist ein hochgespanntes Lied auf das Jugendliche und Unreife im deutschen Hang nach Reinheit, Reich und verwirklichtem Ideal. Gleichzeitig aber täuscht Gmelin nicht über das der Unreife innewohnende Scheitern hinweg: "So reitet immer Jugend ins Leben, so reitet seit Jahrtausenden Knabendummheit in die Welt."

Wer nicht so gestimmt war wie Gmelin oder in solcher Gestimmtheit Gefahren der Verführung witterte, fragte sehr nüchtern, wann Konradin wohl zum letzten Mal für den deutschen Seelenhaushalt aufs Schafott zu steigen habe. Er steigt seit längerem nicht mehr, die Erzählung ist schon lange abgebrochen, und es stellt sich die Frage, wer sie wieder aufgreifen soll.


 
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