© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
"Als Zerbrochener ans Ziel"
"So weit die Füße tragen": Das letzte, unerzählte Kapitel der Geschichte des Clemens Forell offenbart sein Scheitern - ein Leben in Verwirrung und Angst
Moritz Schwarz

Das ZDF hat sich am Sonntag letzter Woche, wie mehrfach in der JF angekündigt, im Rahmen seines Geschichtsmagazins "History" dem Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gewidmet und ist dabei auch auf den Fall des Clemens Forell eingegangen, dessen spektakuläre Flucht aus einem sibirischen Gulag der Roman "So weit die Füße tragen" von Josef Martin Bauer beschreibt - die Neuverfilmung des Stoffes läuft seit Dezember 2001 in den Kinos. Leider versäumte es das ZDF aber, endlich auch das Geheimnis um die Identität des Clemens Forell zu lüften. Am Tag nach der Sendung meldeten sich in der JF-Redaktion enttäuschte Zuschauer, um diesbezüglich Erkundigungen einzuholen.

Der 1922 geborene Wehrmachtsoffizier Cornelius Rost, in Buch und Film Clemens Forell genannt, war 1949 aus der Lagerhaft geflohen und dann drei Jahre zu Fuß durch die Sowjetunion gewandert und über Persien nach Deutschland geflohen. Anders als es Roman und Verfilmung, die mit der Heimkehr enden, nahelegen, ging die Geschichte des Clemens Forell keinswegs "gut" aus.

Schon Josef Martin Bauer, der im Auftrag des Verlegers Franz Ehrenwirth aus dem Tonbandbericht Rosts den Roman erarbeitete, berichtet in seinen privaten Aufzeichnungen von einem "körperlichen und seelischen Wrack", das ihm bei den gemeinsamen Sitzungen gegenübersaß, wie Josef Steinbichler, Schriftleiter des im bayerischen Mühldorf ansässigen heimatgeschichtlichen Jahrbuches "Das Mühlrad" gegenüber der JUNGEN FREIHEIT darlegt. Steinbichler, der über Josef Martin Bauer gearbeitet hat, berichtet, dieser habe vom "krankhaft fahlen Gesicht" Rosts gesprochen, habe ihn als "verbraucht und ausgehölt" beschrieben. Sein "Wagemut" habe sich zur "Lebensfurcht" gewandelt: "Er hat soviel Übermenschliches leisten müssen und so Unmenschliches erlebt, daß er als ein Zerbrochener ans Ziel kam." Dabei sei er einst "ein Mann von soviel Mut, Kraft, Triebhaftigkeit und Bedenkenlosigkeit" gewesen, "dem der bloße Schimmer einer Hoffung genug Auftrieb gab". Heute dagegen sei er "unfähig, sich dem Leben anzupassen". Alles um sich herum mustere er stets "wie in Angst und Mißtrauen". Mal versiege bei den gemeinsamen Sitzungen sein Bericht angsterfüllt, so Bauer weiter, dann wieder sprudle willkürlich "aus Furcht vor dem Vergessen alles, was ihm in den Sinn kam, sofort und unkontrolliert heraus".

Der Sohn Bauers, Martin Bauer jr., der Rost bei einer solchen Sitzung begegnet war, darf aus vertraglichen Gründen "nichts zur Person" Rosts sagen, beschreibt ihn aber gegenüber der JF als "sehr scheu" und berichtet, "die Person" habe "aus Angst" in der Öffentlichkeit nichts mit dem Clemens Forell des Buches zu tun haben wollen. "Ein oder zwei Mal allerdings ist es mit ihm durchgegangen, und er hat sich als ‚der Forell' zu erkennen gegeben, was ihm dann aber keiner geglaubt hat, denn es gab damals diesbezüglich viele Trittbrettfahrer."

Einen weiteren Zeitzeugen hat die Passauer Neue Presse ermittelt. Rosl Neset lernte im Alter von 15 Jahren Rost kennen, ihre Tante hatte ihn vor dem Krieg bei sich aufgezogen: "Wenn es einmal geklingelt hat, hat er sich sofort umgedreht und nach Fluchtmöglichkeiten gesucht", berichtete sie der PNP. Rost plagte offenbar zwanghaft die Furcht vor der Rache des KGB, auch noch in der vermeintlich sicheren Heimat. Deshalb verlangte er von seinem Verleger völliges Stillschweigen über seine Identiät, und diese Vertragsklausel gilt bis heute, neunzehn Jahre nach seinem Tod. Cornelius Rost starb 1983 in München.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen