© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Neue Technologien: Biochips
Mensch und Maschine greifen ineinander
Angelika Willig

Das Projekt der "Künstlichen Intelligenz" (KI) scheint in aller Stille begraben worden zu sein. Mit der Entwicklung der Mikroprozessoren entstand die Furcht vor einem "Superhirn", das die menschliche Intelligenz übertreffen werde. Nichts davon traf ein. Der Computer ist ungeheuer leistungsfähig geworden, aber die Qualität seiner Leistung ist immer die des "Rechners" geblieben.

Auf ganz anderem Wege sind die Produkte der Elektronik dabei, sich vom technischen Gerät zu einer Gehirnprothese zu entwickeln. Die Verbindung von Bio-Wissenschaft und Computer-Technologie wird noch Stoff zu vielen Nature-Beiträgen (und Horrorfilmen) bieten.

An der Universität Providence (USA) haben Forscher es kürzlich geschafft, daß Affen einen Cursor auf dem Bildschirm nur mittels ihrer Gedanken steuerten. Und wenn man Affen Gedanken nicht zutraut, auch mit Menschen hat es solche Experimente schon gegeben, zum Beispiel an der Universität Tübingen, wo gelähmte Patienten in einer Art Telepathie ebenfalls Cursor bewegt und sogar ganze Sätze geschrieben haben.

Wie geht das? Zunächst ist die Erklärung relativ einfach. Eine Elektrode wird in das Hirn eingepflanzt, und zwar dort, wo das motorische Zentrum liegt. Kommt jetzt ein Befehl vom Affen in diesem Bereich an, wird er in ein elektronisches Signal umgewandelt und an den Computer weitergegeben. Dabei gibt es einen Punkt, wo es unheimlich wird. Wenn die Nervenzellen einen Impuls aussenden, wird dieser von dem implantierten Chip in etwas verwandelt, das gar nicht mehr Biologie ist, sondern Physik. Nicht Leben, sondern tote Materie. Die Kommunikation geschieht über eine bisher stets eingehaltene Grenze hinweg. Daß dies möglich ist, beweist erneut, daß auf der molekularen Ebene Organisches und Anorganisches prinzipiell gleich aufgebaut sind. Die Reizweiterleitung in den Nervensträngen ähnelt im Prinzip dem Fließen des elektrischen Stroms in der Leitung, deshalb läßt sich der Nervenimpuls an den Strom "anschließen".

Offizielles Ziel dieser Forschungen ist die Herstellung von Prothesen aller Art, wozu auch die Artikulationsmöglichkeit mittels Gedankenschreiben zählt. Es fallen einem aber auch weniger humanitäre Zwecke ein. Schließlich ist der Biochip ein perfekter Lügendetektor. Ins Hirn eingepflanzt, verrät er den Ermittlern hundertprozentig die Täterschaft. Denn wo der Verdächtige schweigen will, sprechen seine Gedanken, die nicht dem Bewußtsein und der eigenen Kontrolle unterliegen. Irgendwann könnte der Alptraum Wirklichkeit werden, daß jedem die Gedanken "an der Stirn abzulesen" sind. Für diesen Tag sollten wir uns mit einer ordentlichen "Psycho-Hygiene" wappnen: schmutzige Gedanken gleich im Keim ersticken und Edelmut pflegen - es könnte bald Besuch kommen.


 
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