© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Die Kraft des Geistes
Religion und Politik in der Zeitenwende: Eine Tagung erkundete das menschliche Schicksal in Ewigkeit
Wolfgang Saur

Es hat eine Zeit gegeben, wo alles Wissen Wissenschaft von Gott gewesen ist. Unsere Zeit hat dagegen das Ausgezeichnete, von allem und jedem ... zu wissen, nur nichts von Gott", so Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dies Verschwinden des Absoluten in der säkularisierten Welt sind nicht alle hinzunehmen bereit. Teils in, teils außerhalb der christlichen Kirchen gibt es Versuche, den technokratischen Schlaf einer "schlechten Unendlichkeit" zu durchbrechen und "metaphysische Unruhe" zu stiften. Bleiben religiöse Initiativen aufgrund der profanen Konstruktion westlicher Staaten auch öffentlich folgenlos, so hat das Denken doch seine eigene Kraft. Jene die glauben, der Mensch als Geistwesen sei transzendental und nicht materiell bestimmt, werden sich durch die Übermacht der Verhältnisse nicht bange machen lassen.

Dazu gehört auch der kleine Dresdner Verlag Zeitenwende mit der 1998 begründeten Vierteljahreszeitschrift Hagal (JF 12/99) und seinen Tagungen, von denen eben die 15. stattfand. Themenfelder sind Philosophie, Mythen und Symbolkunde, Metapolitik und Europaideen. Im Bemühen um eine geistige Fundierung durch kulturelle Erinnerung diskutierte man über "Heiden- und Christentum", "frühe Sinnbilder Europas" wie den "Gral" und rief "Meister Eckhart" oder "Nietzsche" ins Gedächtnis zurück. Hier ergibt sich seit 2000 auch eine enge Zusammenarbeit mit der deutschen Sektion von Synergon. Die 1993 ins Leben gerufenen "Europäischen Synergien", kurz: Synergon, verstehen sich als eine gesamteuropäische Bewegung, in der man über "die Vision eines Reiches für das zukünftige Europa" nachdenkt. Zu ihren geistigen Gründervätern gehören der jahrelange Protagonist der französischen Neuen Rechten, Guillaume Faye, der ehemalige Generalsekretär der GRECE (Forschungs- und Studiengruppe für die Europäische Kultur), Gilbert Sincyr, und der flämische Publizist Robert Steuckers. Der 45jährige Steuckers fungiert heute als Generalsekretär des Europäischen Koordinationsbüros von Synergon.

Die universale Dimension des religiösen Gedankens kommt nun in den Frühjahrstagungen stark zum Ausdruck, die einen Bogen spannen von den antiken Mysterien, über das Tao, den Buddhismus und den germanischen Schicksalsglauben bis hin zum Islam und den theologischen Implikationen der Lehren Carl Schmitts. Der erste Block dieser Erkundung fand vom 15. bis 17. März statt.

Die Tagung bot Gelegenheit, Martin Schwarz, Schriftleiter des Wiener spirituellen Organs Kshatriya, mit zwei Referaten zum Islam kennenzulernen. Schwarz selbst stellt sich in die Nachfolge des Traditionalisten René Guénon (1886-1951). Über den persischen Religionsphilosophen Hossein Nasr stieß er zu den "Traditionalisten", die aus unterschiedlichen Quellen allesamt die transzendente Dimension der Wirklichkeit und damit auch die "Mitte der Religionen" wiederzugewinnen trachten, um dem Menschen erneut "einen Zugang zum Absoluten" zu bahnen.

Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Idee der im Islam so stark betonten Einheit Gottes. Als Signatur des absoluten Urgrundes, kommt sie auch der menschlichen Seele zu und verlieh zumal der vormodernen Kultur ihre Kohäsion. Diese wahrte die Einheit des Geistes in der Pluralität der Erscheinungen, in welche sich das Ewige auseinanderlegt. Erst die Moderne mit ihrer explosiven Entfesselung von Fortschritt und Empirie bringt die metaphysische Mitte zum Verschwinden und versieht damit alle Erscheinungen mit dem Stigma der Zufälligkeit, Beliebigkeit, ja entrückt die Welt ins Sinnlose.

Dem "Monotheismus des Mammons", der das entstandene Vakuum besetzt hat, treten nun fundamentalistische Gruppen entgegen, doch wurden gerade sie von Schwarz kritisch beurteilt. Ihre Opposition sei rein äußerlich, ihr Wesen ein völlig entspiritualisierter Glaube, der einer mystischen Evolution feindlich entgegensteht.

Ähnliches gelte für die saudischen Wahhabiten, die er als "trojanisches Pferd" in der islamischen Welt bezeichnete. Für ihn bleibt der Islam anziehend durch die große Würde und Stabilität, mit der er dem Liberalismus trotzt. Da heute konfessionelle Distanzen und kulturelle Einbettungen schrumpfen, können sich neuartige Konfliktlinien und auch Allianzen bilden. Trotzdem wurde auf der Tagung heiß über die Kompatibilität der Religionen, etwa ihrer Gottesbegriffe, und über kulturelle Schranken diskutiert.

Heilsverlangen und Erlösungversprechen

Große Bedeutung für viele Anwesende hat der Italiener Julius Evola (1898-1974), eine Hauptfigur des Traditionalismus. Bei seiner hermetischen Lehre handelt es sich im wesentlichen um eine magisch interpretierte Gnosis, deren "initiatischen" Charakter er in seinen Schriften stark betont. Jede Einweihung setzt eine imitatio dei ins Werk, trachtet nach Überwindung des profanen Ego und der Erringung von Unsterblichkeit. Als religionshistorisches Paradigma können hierfür die Mysterienkulte gelten, die, vorderasiatischer Provenienz, im Hellenismus und dann in der Kaiserzeit florierten.

Es war das individuelle Heilsverlangen und das Erlösungsversprechen, das die Zeitgenossen der frühen Christen umtrieb. Gewisse klassische Darstellungen (Peuckert, Eliade) haben die Mysterien in ein strukturelles Kontinuum mit den Mannbarkeitsriten der Naturvölker gerückt und die Ähnlichkeit des kultischen Szenariums aufgezeigt. Die große psychologische Bedeutung dieser rituellen Ablösung von der Kindheit wird seit einiger Zeit gesehen und ihr Verlust in der modernen Welt bedauert. Grassierende Neurosen und fatale Gewaltpotentiale scheinen an ihre Stelle zu treten. Da Oliver Ritter, der Referent des Themas, eben ein Buch zur Männlichkeit aus initiatischer Sicht herausgebracht hat, ist sein Interesse an den Mysterien auch von daher begründet.

Die Rechten sind von jeher Ursprungsdenker, es eignet ihnen eine pessimistische Verfallsperspektive. Das gilt auch für Carl Schmitt, dessen theologische Ideen gerade in diesem Kontext hervortreten. Der "Weg in den Abgrund" ruft historisch verschiedene "Aufhalter" auf den Plan, so bei ihm das Heilige Römische Reich, die Habsburger oder Hegel. Ihn im Verein mit seinem Vorgänger Donoso Cortés auf seine theologischen Wurzeln hin zu befragen, unternahm Robert Steuckers. Der Alte aus Plettenberg hätte sich gefreut über den romanisch luziden Interpreten, der im energischen Zugriff seiner Analyse einiges zutage förderte über die "Arkana der Politik". Intensiver Gegenstand der Betrachtung war natürlich wieder einmal die Frage nach der anthropologischen Grundentscheidung. Hier war die Auffassung vom problematischen Wesen der Spezies und der Notwendigkeit stabilisierender "Institutionen" oder der potestas des "Staates" allgemein.

Die Zentralworte der älteren deutschen Tradition heißen "Leben" und "Geist". Sie finden eine selten aktuelle Verkörperung in der strahlenden Persönlichkeit Ursula Haverbecks, die in ihrem Schlußvortrag fragte: "Brauchen wir noch Religion?" Die Anthroposophin und spirituelle Ökologin hat mit ihrem Mann jahrzehntelang für die Entwicklung eines grünen Bewußtseins gekämpft und ist gleichzeitig mit der gesamten deutschen und skandinavischen Kultur- und Sprachgeschichte zutiefst verbunden. Die gestellte Frage beantwortete sie uneingeschränkt positiv, hält sie doch den religiösen Trieb im Menschen für ein universelles Grundbedürfnis. Vieles spricht für ihren Ausblick auf neue Formen mystischer Frömmigkeit, die sich jenseits von religiösen Konventionen und Atheismus entfalten werden.

Abschließend sei ein prinzipieller Vorbehalt gegenüber den "Traditionalisten" nicht verschwiegen. So ist nämlich die hermetische Position nicht harmonisierbar. Zumal ihre politisch zugespitzte Variante einen apokalyptischen Schatten wirft, der frösteln macht. An einem fatalen Punkt konvergiert die Dekadenzidee mit dem Fortschrittsgedanken des aggressiven Rationalismus. Beide geben die wirkliche Geschichte preis, weil sie der traditionalen oder emanzipatorischen Norm nicht genügt, und verschmähen anmaßend das "hermeneutische Gespräch".

Hier muß der Historiker als Anwalt der Humanität und Treuhänder der Kultur auftreten und den unendlichen Reichtum menschlicher Schöpferkraft in den Bedeutungswelten der Vergangenheit bezeugen. Einem kryptonihilistischen Denken, das kriegerisch der Welt schon das Urteil sprach und ihr nun seine "unbeweglichen Prinzipien", die "geschmeidige Taktik" und "Härte im Kampf" androht, hat er zuzurufen: Mehr Hegel! Denn die "Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut".

Die nächste Tagung findet vom 26. bis 28 April bei Osnabrück statt. Information und Anmeldung unter Tel. 03 51 / 2 54 38 52, im Internet: www.verlag-zeitenwende.de 

Bildtext: Caspar David Friedrich, "Klosterfriedhof im Schnee" (1819): Das von oben einfallende Licht auf die im Nebel stehenden Ruinen des gotischen Kirchenbaus kündet von der Hoffnung auf ein ewiges Leben


 
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