© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Fähnlein im Winde
Kino: "Wir müssen zusammenhalten" von Jan Hrebejk
Ellen Kositza

Marie und Josef Cizeks leben in einer tschechischen Klein stadt, als 1939 die Deutschen einmarschieren. Sie sind verheiratet, er knapp über 40, sie etwas darunter. Mit ihrer Kinderlosigkeit haben sie sich abgefunden und, man schreibt das vierte Kriegsjahr, aus der Not eine Tugend gemacht: Wozu in diese Welt Kinder setzen?

Josef war zuvor bei einem reichen Juden angestellt gewesen, doch nun ist die Familie Wiener deportiert worden. Er könnte nun wie sein sudetendeutscher früherer Arbeitskollege Horst der Besatzungsmacht zuarbeiten, doch lieber liegt er, der grantelnde tschechische Patriot, auf der heimischen Couch unter einem großen Marienbild und pflegt sein krankes Bein.

Als Josef von Horst erfährt, daß die Villa der Wieners anderntags von der NS-verdienten Familie Kepke bezogen werden soll, begibt er sich nächtens dorthin, um den jüdischen Familienschmuck zu stehlen. In der dunklen Villa trifft Josef überraschend auf David, den Sohn seines ehemaligen Arbeitgebers. David ist es gelungen, aus Theresienstadt zu fliehen; nun will er den Schmuck holen, um sich nach einigen Tagen weiter fortzumachen. Als Josef erzählt, daß schon morgen Deutsche in das Haus ziehen werden, bittet David ihn verzweifelt um Obdach für eine Nacht. Josef ist weder ein Widerstandskämpfer noch verfügt er über sonstige heldische Qualitäten, doch aus Menschlichkeit und auch purer Schwäche, "Nein" zu sagen, nimmt er den zitternden David mit in die Wohnung. Er darf sich in der als Schrank getarnten, reich gefüllten Speisekammer ein Lager richten. Dort bleibt der junge Jude, diese Nacht und länger: Wochen, Monate. Die Cizeks sind ängstlich und wollen nichts riskieren, auch nachts darf David das winzige Gemach nicht verlassen. Weil die illegal geräucherten Schweine und nun der illegale Mitbewohner die Kammer fast zum Bersten bringen, wird das Schweinefleisch nach und nach verbraucht. Der Bratenduft weckt das Mißtrauen der Nachbarn und lockt Freund Horst, längst zum bekennenden Nationalsozialisten geworden, herbei, der nun zum häufigen Essensgast des Ehepaares wird. Eigentlich nervt Horst, und obwohl selbst dreifacher Familienvater, stellt er unverhohlen der hübschen Marie nach. Josef drängt er, wieder eine Arbeit aufzunehmen, wie er selbst soll er den Deutschen bei der Räumung und Neuzuweisung von Wohnungen helfen. Aus Angst gibt Josef nach - und ist sofort ein Gefallener in den Augen der Nachbarn.

Ständiger Nebenschauplatz ist die inzwischen hakenkreuzgeschmückte, eigentlich jüdische Villa, Albrecht Kepke hat soeben den zweiten seiner drei Söhne im Feld verloren und ist dadurch in der Achtung seiner Partei noch gestiegen. Dann jedoch wird sein jüngstes Kind als Pimpf eingezogen - und sehr rasch als Deserteur auf der Flucht erschossen. Die Familie Kepke fällt sogleich in Ungnade und wird aus der Villa verwiesen, dem verwaisten Ehepaar soll als dürftiger Wohnraum ein Zimmer bei einer tschechischen Familie zugeteilt werden. Unerbittlich fällt die Wahl, gelenkt durch den von Marie zuletzt gewaltsam zurückgewiesenen Horst, auf die Bleibe der Cizeks. Da verkündet Marie, daß sie schwanger sei: geteilt durch drei ist die Wohnung nämlich zu eng, so darf ihnen kein Fremder einquartiert werden. Horst und Kepke rücken ab, doch die Cizeks haben ein Problem: Sie müssen die vorgeschobene Schwangerschaft beweisen. Und da sich mittlerweile die Zeugungsunfähigkeit Josefs erwiesen hat, kann es für das Ehepaar nur eine Lösung geben ...

An diesem Punkt überschlagen sich die Ereignisse. Marie wird schwanger, und ein Dreivierteljahr später übernehmen Russen und Tschechen die Führung des Landes. Die vorher das Sagen hatten, werden erschossen oder verhaftet, brave Bürger spielen Revolutionär, wer zuvor den überzeugten Judenhasser gab oder passiv blieb, übt sich nun in selbstgerechter Siegerpose und geht als Richter und Henker auf die Besiegten, die Deutschen und ihre mutmaßlichen Kollaborateure los.

Wo der über zweistündige Film zunächst als findige Burleske begann, offenbart er in seinem letzten Drittel eine vorzüglich pointierte Schau auf den Menschen in der Bewährung. Im brutalen Durcheinander des Kriegsendes zeigt sich, mit wem man wirklich rechnen kann und wer sein Fähnlein stets nur nach dem Wind hängt. "Wir müssen zusammenhalten" ist ein versöhnlicher, doch kein lauer Film, ein Film über Helden und Verräter, Großmut und Feigheit, über Menschliches und Übermenschliches.

Für Regie, Drehbuch, beide Hauptdarsteller und als Gesamtfilm wurde "Musime Si Pomahat" gleich fünffach mit dem Tschechischen Filmpreis 2001 ausgezeichnet, mit Preisen überhäuft wurde er zudem auf verschiedenen Filmfestivals weltweit von Pilsen bis Vancouver, zuletzt für den Oscar nominiert. Bereits Hrebejks voriger Film "Pelisky" ("Gemütliche Nischen", eine komödiantische Betrachtung der Wirren um 1968) konnte in seiner Heimat triumphale Erfolge feiern. Für "Pelisky" wie für seinen neuen Film über das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs hatte er sich ursprünglich eine Zusammenarbeit mit deutschen Produzenten gewünscht - doch ist das wohl kein Stoff, der Filmemacher hierzulande interessiert. Und so ist "Wir müssen zusammenhalten" eine rein tschechische Produktion geblieben.


 
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