© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Meldungen

Überpositiv denken: Radbruchs Rückkehr

STUTTGART. Wenn höchste Gerichte in Begründungsnot geraten, ist flugs die Rede davon, daß jede andere als die vom Bundesgerichtshof (BGH) oder Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vertretene Auffassung "unerträglich" sei. Als rechtsstaatliche Variante der vor 1945 so beliebten Gemeinwohlformel kommt das naturrechtlich verbrämte "Unerträglichkeits-" Dogma primär in politisch relevanten Verfahren zum Einsatz. Etwa im Mauerschützenprozeß, wo das BVerfG die Taten angeklagter Grenzsoldaten nicht nach DDR-, sondern nach "überpositivem" Recht wertete. Dieser letztlich nur mit politischen Erwartungen zu begründenden Urteilspraxis gibt der Bamberger Strafjurist Jan-R. Sieckmann nun eine rechtsphilosophische Weihe (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 4/01). In Anknüpfung an Gustav Radbruch (1878-1949), der seinen bis 1933 gepflegten Relativismus nach 1945 mit der "Unerträglichkeitsformel" revidierte, versucht Sieckmann mit Zirkelschlüssen darzulegen, daß positives Recht dann nicht mehr gelte, wenn es "extremes Unrecht" sei. Das grundgesetzlich garantierte Rückwirkungsverbot und der Vertrauensschutz stellen dabei kein Hindernis dar. Sobald es um die Durchsetzung universaler "Gerechtigkeit" gehe, sei die Aushebelung nationalen positiven Rechts gerechtfertigt.

 

Tschechisches Denkmal für Sudetendeutsche

WEKELSDORF. In Sudetenschlesien soll nach den Plänen der dortigen Bürgermeisterin, Vera Vitova, erstmals innerhalb der tschechischenRepublik ein Denkmal errichtet werden, das an die 23 nach 1945 ermordeten deutschen Einwohner erinnert. Die Einweihung des Versöhnungskreuzes soll am 17. September 2003 erfolgen. Diese Initiative, geleitet von dem ehemaligen Brünner Jan Pinos, hat sich das Ziel gesetzt, die reichen kulturellen Wurzeln der Region wiederzuentdecken und zu pflegen. Der Plan hat freilich nicht nur Anhänger gefunden. Eine große Koalition aus Kommunisten, Sozialdemokraten sowie Vertretern der ehemaligen bürgerlichen Regierungspartei ODS verkündeten demonstrativ ihren Widerstand. Sie wollen die parteilose Bürgermeisterin wegen der Verletzung des ungeschriebenen Tabus, an die Vertreibung und Ermordung ehemaliger Einwohner des Ortes zu erinnern, bei den bevorstehenden Parlamentswahlen stürzen. Nach einer Umfrage der tschechischen Tageszeitung Dnes halten 41,4 Prozent der Grenzbewohner es für unmoralisch, alle Deutschen und Ungarn als Verräter und Kollaborateure zu bezeichnen und "nur" 35 Prozent glauben, daß die kollektive Schuldzuweisung, die sich in den Benes-Dekreten ausdrückt, der damaligen Situation angemessen gewesen war.


 
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